Christen im Irak - Ausharren in schwieriger Zeit

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In der autonomen Provinz Kurdistan leben die Christen weitgehend in Sicherheit. Überall sonst im Irak gehören Terror, Angst und ein ungewisse Zukunftsperspektiven zum christlichen Alltag.

Ragheed Aziz Ganni war sich der Gefahr durchaus bewusst. In den Wochen vor seiner Ermordung hatte er Drohbriefe erhalten, in denen der 35-jährige Priester aufgefordert wurde, die Kirche zu schließen und keine Messen mehr zu feiern. Am 3. Juni 2007 war der Geistliche nach dem abendlichen Sonntagsgottesdienst in Mossul mit dem Auto unterwegs. Plötzlich stoppten bewaffnete Männern das Fahrzeug. Der junge Priester und die drei ihn begleitenden Subdiakone wurden auf der Stelle erschossen.

Das Grab von Ragheed in Karamles, einer kleinen Ortschaft rund 30 Kilometer südlich von Mossul, ist seither zum Symbol für die Christen im Irak geworden. An kaum einem anderen Ort wird ihr Martyrium, aber zugleich auch ihre Willenskraft und ihr Mut, Zeugnis von ihrem Glauben zu geben, so deutlich wie hier.

Rund 4500 Christen leben in Karamles. Mehr als 150 davon dienen in der örtlichen Miliz. Zwei Straßensperren mit schwer bewaffneten Milizionären müssen überwunden werden, bevor man in den Ort gelangt.

Wenn Pater Ammar Siman, Regens des nahe gelegenen syrisch-katholischen Priesterseminars von Karakosch, von Ragheed Ganni spricht, wird seine Stimme schwer und leise. Das Schicksal des Geistlichen sei bei Weitem kein Einzelschicksal.

Zehn junge Männer bereiten sich derzeit im Seminar auf die Priesterweihe vor. Einer, der bereits knapp vor seiner Weihe steht, ist Samir. Ob er Angst hat? - Ja, natürlich. Nachsatz: "Wir sind bereit.“ - Bereit, sich für die Menschen im Irak einzusetzen, und auch bereit, wenn es sein muss, das eigene Leben hinzugeben.

Karakosch - Zufluchtsstadt für Christen

Die syrisch-katholische Kirche in Karakosch ist bemüht, das kirchliche Leben, so gut es geht, aufrechtzuerhalten. Beispielsweise mit dem St. Paulus-Zentrum. Hier finden der Religionsunterricht für rund 2000 Kinder oder die Erstkommunion-Vorbereitung statt. Aber auch 900 Studenten der Universität Mossul besuchen hier ihre Vorlesungen, nachdem es ihnen nicht mehr möglich ist, nach Mossul zu fahren.

Vor drei Jahren wurde ein Buskonvoi mit Studenten aus Karakosch auf der Fahrt in die Millionenstadt überfallen. Vier junge Leute wurden getötet, 150 verletzt; darunter auch die Schwester von Samir. Ihre Wunden durch Splitter im Gesicht sind inzwischen weitgehend verheilt, die seelischen Narben bleiben - auch bei Samir. Der angehende Priester hat Mossul seit Jahren nicht mehr betreten.

90 Prozent der christlichen Bevölkerung von Mossul haben die Stadt bereits verlassen. Viele davon sind nach Karakosch geflohen. Die Zahl der Bewohner hat sich in den letzten Jahren auf 50.000 verdoppelt. Die Infrastruktur kann mit diesem Wachstum nicht mithalten. Immer wieder fällt der Strom aus.

Auch die Wasserversorgung ist problematisch und Arbeitsmöglichkeiten sind Mangelware. Von den 900 Studenten der Universität von Karakosch werden 70 bis 80 Prozent keine Arbeit finden, prophezeit P. Nagib, Superior der örtlichen Dominikaner.

Mossul: Christen unter Bewachung

Zu den wenigen Christen, die noch in Mossul ausharren, gehören einige chaldäische Ordensschwestern. Alle Kirchen und kirchlichen Einrichtungen seien wie Militärlager bewacht, erzählt Schwester Sanna Hana, Generaloberin der "Sisters of the Sacred Heart of Jesus“. Die Behörden bemühten sich wirklich um Sicherheit, allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Bomben würden alle Bewohner der Stadt gleichermaßen treffen, doch es würden auch Christen gezielt getötet. Vor zwei Jahren sei ein Mitarbeiter des Klosters in einem Restaurant erschossen worden, so Sr. Hana. Die Ordensfrauen würden ihr Kloster kaum verlassen und wenn doch, dann nur im Auto. Als Ordensfrau sichtbar durch die Straßen Mossuls zu gehen wäre ein Spiel mit dem Leben.

Die Schwestern haben inzwischen den Großteil ihrer Aktivitäten in die autonome Region Kurdistan verlegt. Dort ist die Sicherheitslage gut. Anders sieht es in jenen Gebieten aus, die 2003 nach dem Einmarsch der USA und ihrer Verbündeten und dem Sturz des Saddam-Regimes von den Kurden besetzt wurden.

Dazu gehört die Provinz Ninive rund um Mossul, aber auch das Gouvernat von Kirkuk, der reichen Ölstadt. Die künftige politische Zugehörigkeit dieser Landstriche ist offen. Die derzeitige kurdische Regierung bemüht sich freilich zumindest um mehr Sicherheit.

Unter kurdischem Schutz sicher

Im syrisch-orthodoxen Kloster Mar Mattei erzählt der Mönch Jussuf die Geschichte seines Bruders. Vor sechs Jahren stoppte ein Auto vor dessen Geschäft in Mossul. Zwei Männer stiegen aus, betraten den Laden und erschossen ihn - einfach so. Die Familie flüchtete daraufhin nach Kurdistan.

Das Kloster Mar Mattei gehört zum von den Kurden besetzten Teil des Irak. "Unter kurdischem Schutz fühlen wir uns hier sicher“, sagt der syrisch-orthodoxe Mönch. Nach Mossul gehe er nur mehr in den dringlichsten Fällen und selbstverständlich nur in Zivil. P. Jussuf glaubt nicht, dass es in der Region in 30 Jahren noch Christen geben wird. Aber er fügt sogleich hinzu, er werde mit Sicherheit der Letzte sein, der gehen wird.

Wer steht hinter den Anschlägen? Der chaldäisch-katholische Erzbischof Louis Sako von Kirkuk macht dafür drei Gruppierungen verantwortlich: Kriminelle, denen es vor allem um Lösegeld für entführte Personen geht; politisch motivierte Gruppen, die im komplexen Streit zwischen Kurden, Schiiten und Sunniten ihr Süppchen kochen, sowie religiöse Fundamentalisten. Bei Letzteren handle es sich vor allem um aus Saudi Arabien eingeschleuste wahabitische Extremisten, sagt P. Nagib. Ob es für das Christentum im Irak eine Zukunft gibt? Auch P. Nagib ist skeptisch. Bis 1980 sei etwa Karakosch eine rein christliche Stadt gewesen, gibt der Dominikaner zu bedenken. Inzwischen hätten sich aber schon 300 muslimische Familien angesiedelt. Die Christen würden das mit großer Besorgnis sehen. Die Beziehungen mit den Muslimen seien nicht gut. Die kurdische Regierung sei den Christen gegenüber zwar positiv eingestellt, die Mehrheit der Bevölkerung freilich denke anders: "Die Muslime akzeptieren uns hier nicht in unserem eigenen Land.“

Der Westen müsse viel mehr Druck auf die irakischen Politikern ausüben, damit diese die Christen schützen, fordert P. Nagib: "Ohne diese Hilfe von außen gibt es für uns sicher keine Zukunft.“

Der Autor ist Redakteur der Nachrichtenagentur Kathpress

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