"Christen leben in einer beständigen Spannung“

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Auf Einladung des Hilfswerks "Kirche in Not“ bereiste Joseph Coutts, der neue Erzbischof der 15-Millionen-Metropole Karachi, Österreich. Er berichtet über die Lage der Christen in Pakistan. Das Gespräch führte Otto Friedrich

Seit Jänner 2012 ist Joseph Coutts Erzbischof der pakistanischen Metropole und Hafenstadt Karachi. Zuvor war er 14 Jahre lang Bischof von Faisalabad im Nordosten des Landes.

Die Furche: Die Lage Christen in Pakistan wird immer schwieriger. Warum?

Erzbischof Joseph Coutts: Schon Muhammad Zia-ul-Haq, der von 1977-88 als Diktator regierte, hat das schreckliche Blasphemiegesetz eingeführt. Mit der sowjetischen Intervention in Afghanistan (1979) etablierte sich in Pakistan eine neue militante Form des Islam, die wir zuvor nicht gekannt hatten. Dazu kommt, dass für einen pakistanischen Muslimen der Westen - Europa, Amerika - die christliche Welt ist. In dieser Sicht sind es die Christen, die das muslimische Afghanistan oder den Irak angegriffen haben. So hält sich unter den Muslimen großer Zorn gegen den Westen - und der richtet sich in Pakistan gegen die Christen.

Die Furche: Was bedeutet das Blasphemiegesetz in dieser Lage?

Coutts: Muslime sind sehr empfindlich, was die Person des Propheten und ihr heiliges Buch betrifft. Darauf bezieht sich das Blasphemiegesetz, das für die Beleidigung des Propheten die Todesstrafe und für die Schändung des Korans lebenslange Haft vorsieht. Wobei es schon eine Schändung des Korans ist, einen Koranvers auf ein Blatt Papier schreiben und dieses dann zu wegzuwerfen. Wenn etwas Entsprechendes im Westen geschieht - siehe die dänischen Muhammad-Karikaturen, dann werden wir Christen in Pakistan attackiert.

Die Furche: Das heißt, Christen werden stellvertretend für etwas verantwortlich gemacht, was nichts mit ihnen zu tun hat.

Coutts: Wir leiden unter dem Blasphemiegesetz nicht deswegen, weil wir als pakistanische Christen etwas gegen Muhammad sagen. Aber das Gesetz kann leicht missbraucht werden, um jemandem Schwierigkeiten zu bereiten. Es reicht schon, jemanden zu beschuldigen. Bis heute ist auch noch nie jemand aufgrund des Blasphemiegesetzes hingerichtet worden. Aber mehr als 30 Personen wurden aufgrund der Anschuldigung der Blasphemie getötet - außerhalb des Gesetzes.

Die Furche: Das heißt?

Coutts: Es gab da etwa ein Verfahren gegen zwei junge Männer: Jemand hatte einen Brief gegen den Propheten Muhammad und den Islam geschrieben und darauf die Namen der beiden vermerkt. Sie wurden festgenommen und vor Gericht gestellt. Als sie in den Gerichtssaal kamen, stand ein Muslim auf und erschoss beide.

Die Furche: Im März 2011 wurde Shahbaz Bhatti, der einzige christliche Minister in der Bundesregierung, ermordet.

Coutts: Bhatti setzte sich für Änderungen des Blasphemiegesetzes ein - er erhielt Drohbriefe dafür. Freunde rieten ihm, außer Landes zu gehen. Aber Bhatti sagte: Ich laufe nicht davon. - Es ist also lebensgefährlich, für eine Änderung dieses Gesetzes auch nur einzutreten. Zwei Monate vor dem Mord kritisierte Salman Taseer, der Gouverneur der bevölkerungsreichsten Provinz Punjab, gleichfalls das Gesetz. Er selber war ein Muslim und hatte die Katholikin Asia Bibi, die nach dem Blasphemiegesetz zum Tod verurteilt worden war, im Gefängnis besucht und ihr geraten, den Präsidenten Pakistans um Begnadigung zu bitten. Taseer wurde dafür von seinem eigenen Leibwächter ermordet. Der Mörder sitzt jetzt im Gefängnis, wird aber von den Extremisten für seine Tat gepriesen.

Die Furche: Sind die die Extremisten nur eine kleine Gruppe?

Coutts: Lassen Sie es mich so sagen: Sie sind eine Gefahr für gemäßigte Muslime wie diesen Gouverneur, sie wollen Pakistan zu einer islamischen Theokratie machen. Die Extremisten sind keine große Gruppe, aber sie sind bereit zu töten - und selber für ihren Glauben zu sterben. Vor zwei oder drei Jahren hat ein geachteter Imam und Theologe in Lahore eine sehr gute Vorlesung über den Dschihad gehalten. Er sagte: Der Dschihad ist zuallererst ein Kampf gegen das Böse. Und wenn man einen Dschihad als Krieg führt, dann muss man erstens klar feststellen, wer der Feind ist. Zweitens darf man nur dann gegen diesen kämpfen, wenn man von ihm angegriffen wird. Und drittens ist es notwendig, dass eine legitime Autorität feststellt: Hier handelt es ich um einen Dschihad. Dieser Imam in Lahore sagte somit indirekt: Das, was einer wie Osama Bin Laden sagt, ist Unsinn. Kaum eine Woche später, wurde der Imam ermordet - von einem 14-jährigen Selbstmordattentäter.

Die Furche: Wie bedroht sind da Ihre Gemeinden?

Coutts: Bald nach 9/11 kamen zwei junge Muslime am Sonntag in eine Kirche, schossen wild um sich und töteten viele . Wir hatten bis dahin so etwas nach nicht erlebt. Diskriminierung ja, aber Ermordung: nein. So überlegten wir vor Weihnachten, ob wir die Mitternachtsmette abhalten sollten. Denn da würden viele Menschen aus den Dörfern in die Stadt Faisalabad kommen, ein ideales "weiches Ziel“ für Attentäter. Als die Christen von unseren Überlegungen hörten, kamen sie zu mir und sagten: Bischof, Sie wollen keine Mette abhalten? Und ich sagte: Ja, denn wir sorgen uns um eure Sicherheit! Sie antworteten: Bischof, wenn uns die Terroristen töten wollen, dann ist es besser, in der Kirche als zu Hause zu sterben. Bitte, sagen Sie die Mette nicht ab! Sie kamen wirklich! Und wir hatten guten Polizeischutz. Als ich zur Kirche ging, kam der leitende Polizeioffizier auf mich zu und sagte; Bischof, bete, bitte, auch für uns - ihr seid in der Kirche drinnen, wir werden draußen sein und auch wir haben Angst. Denn wenn wir einen Attentäter entdecken, wird er sich in die Luft sprengen!

Die Furche: Fürchten Sie sich persönlich, wenn Sie in Ihre Kirche gehen?

Coutts: Wir Christen sind eine sehr kleine Minderheit. Ich glaube nicht, dass uns Selbstmordattentäter wirklich angreifen werden. Muslime und Christen kommen ja am Arbeitsplatz zusammen, wir essen miteinander usw. Wenn aber auf einmal jemand sagt: Der Bischof hat etwas gegen denn Propheten Muhammad gesagt, dann haben wir im Nu ein Problem. Es heißt dann nicht: Dieser Bischof, dieser einzelne Mensch hat etwas gegen den Propheten gesagt, sondern: Die Christen haben etwas gegen Muhammad gesagt - und dann werden wir angegriffen. In diesem Sinn leben wir in einer beständigen Spannung.

Die Furche: Was kann man tun, um die Spannungen zu verringern?

Coutts: Das ist nicht einfach. Es geschieht wohl nur über die entsprechende Bewusstseinsbildung. Wir versuchen klarzumachen, dass wir nicht westliche, sondern pakistanische Christen sind. Ein befreundeter Imam hat zurzeit des Irakkrieges gemeint: Sagen Sie Ihrem Präsidenten George W. Bush, er soll die Muslime nicht angreifen. Und ich habe ihm geantwortet: Mein lieber Freund, mein Präsident ist dein Präsident - der Präsident von Pakistan. Und nicht George Bush!

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