Christen werden tagtäglich entführt

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Wie aus dem Traum einer christlichen Familie in Syrien ein Albtraum wurde. Die Geschichte einer Flucht aus dem syrischen Bürgerkrieg nach Wien.

Stolz umarmt Yacoub G. (Namen von der Redaktion geändert) seinen 12-jährigen Sohn Markus nach der Preisverleihung eines Musikwettbewerbs in Damaskus. Seine Familie war aus Ras al-Ayn, ihrem Heimatstädtchen an der Grenze zur Türkei, angereist, um ihr Kind nach dem gelungenen Vorspiel mit der Oud, arabischen Kurzhalslaute, zu beglückwünschen. Das war im Sommer 2010, als die Welt in Syrien noch in Ordnung war.

Entführungsdrohung am Telefon

Zwei Jahre später verwandelte sich für die fünfköpfige Familie aus Ras der Traum von heute auf morgen in einen Albtraum: "Wir werden bald ihren Sohn entführen“, riss nachts am Telefon eine unbekannte Männerstimme den Familienvater aus dem Schlaf: "Wir brauchen dringend Geld!“ Das Ehepaar stand unter Schock und hatte Todesangst. Warum ausgerechnet sein Sohn?

Wegen seines Musiktalentes wurde sein Foto in mehreren Zeitungen abgedruckt. Vielleicht deshalb ein dankbares Opfer? Was tun? In Ras in ständiger Angst weiterleben - ohne Sicherheit? Nach einer schlaflosen Nacht fassten beide schweren Herzens den Entschluss: Möglichst bald weg von ihrem Heimatdorf. Markus durfte zunächst mit seinen beiden jüngeren Schwestern zwei Monate lang seine Wohnung nicht verlassen.

Während der Kriegswirren wurden etliche junge Christen auf Syriens Straßen oder aus Bussen entführt. Jedes Mal sammelte die jeweilige Gemeinde das nötige Lösegeld für deren Befreiung. Doch die finanziellen Mittel wurden immer knapper. So auch in Ras.

Bei Elias, einem 18-jährigen Burschen aus der Umgebung, kam jegliche Hilfe zu spät: Da seine Eltern nicht imstande waren, rechtzeitig das verlangte Lösegeld zu übergeben, wurde er von Rebellengruppen kurzerhand erhängt. Daraufhin gab Yacoub mit Frau, Kindern und den letzten Ersparnissen die Wohnung und seine florierende Konditorei in Ras endgültig auf und floh mit dem Auto zunächst zu Freunden nach Zahlé, einer christlichen Stadt im Libanon.

Nach der geglückten Beantragung ihrer Einreisevisa für Österreich, dank einer helfenden Hand, landeten sie mit dem Flugzeug mit ihrem spärlichen Hab und Gut vor einigen Tagen schließlich in Wien, um ein neues Leben zu beginnen. Kaum auf österreichischem Boden, erfuhr die Familie aus erster Hand von der brutalen Vertreibung aller 500 Christen aus ihrem Dorf. Ihre jeweiligen Eltern seien, laut Yacoub, jetzt vorübergehend in Notunterkünften der Diözese von Hassake untergebracht. "Von Freunden haben wir gehört, dass gewisse Rebellen die Wohnungen der Christen geplündert und okkupiert haben.

Gewalt gegen die Kirche

Dschihadisten hätten sogar die große Thomas-Kirche in Beschlag genommen: "An deren Bau hatten wir alle zehn Jahre lang mitgearbeitet!“, berichtet der erschöpfte Familienvater. Während Yacoub beim Gespräch mehrmals von seinen kleinen Töchtern spontan umarmt wird, zeigt Markus eine Szene auf Youtube, in der Allah-Akhbar-rufende Rebellen mit erhobenen Maschinengewehren eine geschlossene Front vor dem Kircheneingang von Ras bilden.

Die 32-jährige Shamiran nimmt ihrem Sohn den Laptop weg und schließt rasch den Deckel. "Diese Leute haben sich sogar in meiner Schule einquartiert in der ich noch bis vor Kurzem unterrichtet habe. Alles liegt jetzt brach. Kann es unter diesen Umständen noch eine Zukunft in meinem Land geben? Ich wünschte mir, meine Eltern wären auch hier“. Sie zeigt auf das spartanische Zimmer eines Wiener Klosters, in dem sie alle vorübergehend untergebracht sind. Der Raum ist kaum größer als fünf nebeneinander gelegte Matratzen. Ihre grauen Augen sind von Trauer umschattet.

Eine Zukunft in Österreich?

Wie sieht die Jungfamilie ihre Zukunft in Österreich? "Wir wollen auf jeden Fall zunächst in Wien bleiben, bis sich die Lage in Syrien beruhigt und hier schnell eine Arbeit finden“, meint Jacoub zuversichtlich: "Ich in einem Restaurant und Shamiran als Haushilfe. Unsere Kinder sollen möglichst bald Deutsch lernen, eine wichtige Sprache für ihre Zukunft.“

Diese syrisch-christliche Jungfamilie wird keine Mühe scheuen, um sich hier zu integrieren. Am Ende des Gesprächs zückt Markus unaufgefordert seine Kurzhalslaute aus der Hülle, setzt sich auf die Bettkante und fängt an, eine orientalische Melodie zu spielen. Seine achtjährige Schwester Mirjam begleitet ihn auf der Geige - Töne, die wie ein leises Lamento klingen.

Die Autorin ist Pressesprecherin von Christian Solidarity International Österreich

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