Christen zum Bleiben motiviert

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Abwanderung ist das größte Problem der Christen im Heiligen Land. Die letzten Stationen des Papstes in Israel gaben der Minderheit Hoffnung.

"Yes, we can! Wir könnten es tatsächlich schaffen, weiterhin in unserem Land zu bleiben!", sagt der 38-jährige christliche Araber Wisam Tabar frohen Mutes und voller Selbstvertrauen. Eigentlich war er schon drauf und dran, nach Toronto auszuwandern, wo bereits drei seiner Tanten wohnen. Seit dem Gaza-Krieg blieben - wie so oft nach einem politischen Konflikt - wieder einmal die Pilger in seinem Hotel aus, er sah keine Zukunftschancen mehr. Dann besuchte der Papst vergangene Woche Nazareth, Wisams Heimatstadt. In seiner Ansprache hatte der Heilige Vater die Ortskirche gestärkt und die christlichen Familien mit Nachdruck aufgefordert, im Land zu bleiben, Andersgesinnten gegenüber Brücken zu schlagen und nicht aufzugeben. "Seine Worte haben meine Zukunftspläne im Ausland auf den Kopf gestellt! Nun weiß ich, was ich zu tun habe und wohin ich gehöre …" Der Gesichtsausdruck seines neben ihm sitzenden Vaters Joseph erhellt sich: "Sehen Sie? Ich kriege Gänsehaut, wie der Papst uns das Gottvertrauen und die Entschlossenheit, sich in diesem krisengeschüttelten Land für ein hehres Ziel einzusetzen, zurückgegeben hat." Seine Frau Lydia ergänzt energisch: "Es ist höchste Zeit, dass unsere sonst kaum hörbare Stimme endlich rund um den Globus wahrgenommen wird!"

Fremde im eigenen Land

In der Tat fühlten sich die meisten christlichen Palästinenser im Heiligen Land noch vor dem Papstbesuch von der Welt vergessen, ignoriert. Ihre Eltern und Großeltern wurden kurz vor der Staatsgründung Israels 1948 von den Zionisten aus ihren Heimatdörfern vertrieben. Seitdem empfinden sich die einheimischen Christen - wie übrigens auch die Muslime, die dasselbe Schicksal teilen - als Fremde im eigenen Land. Den rund 5,5 Millionen Juden stehen gegenwärtig in Israel mehr als eine Million muslimische Araber und eine verschwindende Minderheit von nur etwa 120.000 Christen gegenüber. Letztere haben ein großes Identitätsproblem: Sie besitzen zwar einen israelischen Pass, genießen aber nicht die gleichen Rechte wie die Juden; sie sind Araber, doch sie werden von den meisten Muslimen nicht als ihresgleichen betrachtet. "Daher finden wir Christen in unserer Religion die wahre Heimat. Sie hält uns geistig über Wasser, selbst in schlimmsten Zeiten", betont der melkitische Erzbischof Elias Chacour, Oberhirte der größten christlichen Gemeinde (67.000 Gläubige) im Heiligen Land und Stütze der Hoteliersfamilie Tabar. Er weiß, wovon er spricht. Schon als 9-Jähriger hatte er selber Hass, Terror und Ungerechtigkeit erfahren, seine Familie wurde brutal vertrieben und enteignet. Dem Vorbild seines Vaters habe er es zu verdanken, dass aus ihm kein "Racheterrorist" geworden ist, sondern ein Mann der Versöhnung, egal wie schwer die äußeren Umstände auch waren. Seit mehr als 30 Jahren hat sich der bereits dreimal für den Friedensnobelpreis Nominierte unbeirrbar für bessere Ausbildungsmöglichkeiten junger israelischer Palästinenser eingesetzt: vom Kindergarten bis zur Hochschule. Dafür hat er unter schwierigsten Bedingungen förmlich Berge versetzt. Heute erhalten in seinem großen Mar-Elias-Zentrum in Ibillin - zwischen Nazareth und Haifa - rund 4.500 junge Menschen qualifizierte Bildungschancen. Mehr als die Hälfte der Studierenden sind Frauen und Muslime. Ein konstruktives Miteinander in der Schule unter Menschen verschiedener Religionen sei der beste Garant für Frieden in Israel, so Chacour. Jüngst auf das heiße Pflaster Nazareth angesprochen - wo 2003 der Bau einer pompösen Moschee in unmittelbarer Nähe der Verkündigungsbasilika von israelischer Seite in letzter Minute gestoppt worden ist - hielt er prompt eine Antwort parat: "Dann ist erst recht ein interreligiöses Gebetszentrum überfällig!" Gesagt, fast getan. Im fernen Wien erfuhren österreichische Freunde (die anonym bleiben wollen) davon. Ihre Spendenaktion war äußerst erfolgreich. "Wir investieren für die nächste Generation", so die Wohltäter unisono. Sobald dem Erzbischof aus Galiläa ein Stück Land zur Verfügung steht, kann mit dem Bau des Zentrums begonnen werden.

Israel - wirklich nur ein hoffnungslos zerstrittenes Land? Während des Papstbesuchs prangte am Ortseingang von Nazareth ein überdimensionales Plakat mit dem Konterfei von Benedikt XVI., darunter der Gruß "Welcome home!" Gespendet hatte nicht ein Christ, sondern ein Jude … Auch das gibt es mittlerweile. Also vielleicht doch allmählich ein Land der Versöhnungsmöglichkeiten - in kleinen, oft unbemerkten Schritten.

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