Christine Busta: Suche nach dem Engel

19451960198020002020

"Busta entwirft keine weihnachtliche Idylle, sondern setzt den freudigen Jubel über die Geburt des Erlösers jenen Erfahrungen aus, die ihn verstummen lassen - vom körperlichen wie seelischen Leiden bis hin zur menschlichen Kälte politischer Macht."

19451960198020002020

"Busta entwirft keine weihnachtliche Idylle, sondern setzt den freudigen Jubel über die Geburt des Erlösers jenen Erfahrungen aus, die ihn verstummen lassen - vom körperlichen wie seelischen Leiden bis hin zur menschlichen Kälte politischer Macht."

Werbung
Werbung
Werbung

Die österreichische Lyrikerin Christine Busta hatte eine besondere Affinität zum Weihnachtsfest, auf das sie sich in ihren Gedichten wiederholt bezieht. Ihr erstes Büchlein "Jahr um Jahr" (1950/51) war eine "Weihnachts- und Neujahrsgabe des Verlags Herder an seine Mitarbeiter und Freunde". Busta entwirft dabei freilich keine weihnachtliche Idylle, sondern setzt den freudigen Jubel über die Geburt des Erlösers jenen Erfahrungen aus, die ihn verstummen lassen - vom körperlichen wie seelischen Leiden (1946 tritt sie in der "Furche" mit dem Gedicht "An den Schmerz" erstmals hervor) bis hin zur menschlichen Kälte politischer Macht und der erbarmungslosen Maschinerie einer materialistisch-liberalistischen Ökonomie. Dennoch: "Irgendwo muß doch der Engel stehn", heißt es im Gedicht "Evangelium" und vieles in ihrem lyrischen Werk handelt von der Suche nach diesem Engel.

Navigator

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

Es tritt also auch im weihnachtlichen Motivkomplex jene Grundspannung der Bustaschen Lyrik zutage, wie sie die Autorin selbst einmal so formuliert hat: "Mein Grundthema ist die Verwandlung der Furcht, des Schreckens und der Schuld in Freude, Liebe und Erlösung." Und sie setzt hinzu, was gerne vergessen wird: "Freilich hat die Schönheit dabei oft unbarmherzige Farben und die Tröstung kostet zumindest eine Hüfte." An anderer Stelle spricht sie von der "furchtbaren Treue zum Leben", der sie nicht in ästhetische Scheinwelten entlaufen will, oder sieht sich in der Rolle des "verlorenen Sohnes", der allerdings nicht reumütig zum Vater zurückkehrt, sondern "auf der Schwelle" bleiben will und die "Teilhabe am Schicksal der Verlorenen, des Vergeblichen" sucht.

"Farben der Kindheit"

1915 in Wien geboren, durchlebte Busta eine entbehrungsreiche Kindheit und Jugend. Unter den "Farben der Kindheit", so ihre autobiografische Skizze, regierte das Grau, nur das Lesen brachte Buntheit in ihre Welt. Das Studium der Germanistik und Anglistik musste sie aus gesundheitlichen und finanziellen Gründen abbrechen. Erst 1950 mit ihrer Tätigkeit als Bibliothekarin für die "Städtischen Büchereien" in Wien beginnt für sie eine bescheidene, aber sichere Existenz.

Die ertragreichste Phase des lyrischen Schaffens von Christine Busta fällt mit den Gedichtbänden "Der Regenbaum" (1951), "Lampe und Delphin" (1955) und "Die Scheune der Vögel" (1958) in die fünfziger Jahre, wobei sie sich im Spektrum der österreichischen Lyrik dieser Dekade in jene Strömung einreiht, die um den Anschluss an die klassische Moderne bemüht war und auf die Trakl und Rilke eine besondere Vorbildwirkung ausgeübt haben. Formal noch überwiegend an die traditionellen lyrischen Mittel gebunden, durchzieht Bustas Lyrik dieser Jahre trotz aller Tröstungen der Natur und der christlichen Hoffnung ein existenzialistischer Grundton, wie er aus dem Gedicht "Leben auf diesem Stern" herauszuhören ist: "Wo sollen wir hausen? (...) / Nesthocker der Erde. Wir waren lange geduldet. / Nun sind wir Auswurf, flügge wie Regen und Schnee, und nisten / winterlang in den schrecklichen Mauern der Winde." An die Ausgesetztheit menschlicher Existenz bleibt bei Busta alle poetische Verwandlung zurückgebunden, sie ist der Ursprung ihrer beharrlichen Appelle an die Mitmenschlichkeit, die Nächstenliebe. Die Themen und Motive der Lyrik Bustas erweisen sich generell als vielfältig und keineswegs nur zeitlos, bezieht sie doch auch Zeitpolitisches mit ein. Zwei Bereiche stehen dennoch im Vordergrund, die Natur und das Religiöse in Form biblischer Stoffe oder christlicher Symbole, meist mit einer Reihe von Themen wie Verzweiflung und Hoffnung, Tod und Erlösung, Schuld und Gnade, Gerechtigkeit und Liebe verflochten und von poetologischer Reflexion durchzogen.

In den Naturgedichten wird vielfach ein Sinneseindruck zum Gleichnis seelischer oder existenzieller Befindlichkeiten, wobei das lyrische Ich in der selbstgenügsamen Kreatürlichkeit der Natur den Spiegel eines gütigen Schöpfergottes zu erkennen versucht, immer im Bewusstsein, dass mit der Vertreibung aus dem Paradies auch die Einheit von Mensch und Natur zerbrochen ist. Die Gedichte mit biblisch-christlicher Motivik wiederum könnte man als "Laienpredigt" im Sinne Bustas verstehen: "In der Kirche wird dir das Wort ausgelegt. / Draußen bist du sein Fleisch geworden / und mußt dich selber auslegen, / stückweis von Tag zu Tag." Sie lenkt dabei die Aufmerksamkeit auf die Zöllner und Sünder, denen Jesus seine Solidarität bekundet hat. Pharisäischer Selbstgerechtigkeit stellt sie die persönliche Gewissensentscheidung, vor allem aber die gelebte Nächstenliebe entgegen. So wird in ihrer "Parabel von den weise gewordenen Jungfrauen" der Gegensatz von klugen und törichten Jungfrauen aufgehoben und damit die Identifikation mit der Heilsgewissheit der Geretteten verbaut.

Biblisch verschlüsselt, werden auch Ereignisse der Kriegs- und Nachkriegszeit thematisiert, wobei es um Fragen der Schuld, der (Selbst)gerechtigkeit sowie der moralischen und gesellschaftspolitischen Verantwortung geht. Wachsamkeit und Solidarität sind nach Busta die Lehren, die aus der Vergangenheit zu ziehen wären. Die "Erfahrungen faktischer und potentieller Katastrophen" müssen die Menschen von der "Schlafenthobenheit zur Tagverantwortung" führen, wie sie in der Selbstinterpretation des Gedichts "In der Morgendämmerung" meint, in dem sie die "Asche" von "Auschwitz und Hiroshima" zur "Metapher (...) für alles menschliche Verschulden" gestaltet hat, das "nur in der Reuter des Gewissens (...) zur Metapher der Wiedergeburt" werden kann.

Der Band "Unterwegs zu älteren Feuern" (1965) markiert in der Entwicklung der Lyrik Bustas einen Übergang. Das gereimte Gedicht verliert an Bedeutung, an seine Stelle treten freirhythmische Gedichte, in Umfang und Form sehr unterschiedlich, von längeren Gedichten, meist erinnernden oder beschreibenden Inhalts, über Gedichte in Langzeilen bis zum haikuartigen Kurzgedicht mit aphoristischen Zügen. Reduktion und Ernüchterung bestimmen die Sprache.

In den "Salzgärten" (1975) nimmt die Härte und Bitterkeit der Bilder zu und die paradoxen Bildspannungen werden, wie im Titelgedicht dieses Bandes, zunehmend intensiviert: "Über vertrocknenden / Wasserbeeten / blüht unsichtbar / die Phönixblume / aus der weißen / Asche der See." Busta setzt aber nicht nur auf ihre poetische Bildkraft, sondern auch auf den Erkenntnisgewinn begrifflichen Sprechens, wenngleich beide sprachlichen Möglichkeiten authentischen Erfahrungen entspringen müssen: "Die Sprache, der du im Wort bleibst, / wird nicht geredet, / sie wird erlitten." ("Die Sprache"). So wechseln bildhaftmetaphorische mit thesenartigen und bekenntnishaften Gedichten, die den ethischen Impetus von Bustas Schreiben hervorkehren, ohne moralisierend zu wirken: "Aber das unverletztliche Recht / läßt sich von Faust zu Faust nicht erhärten, / nur die Schuld." ("Confiteor").

"Wappen der Liebe"

Im Band "Wenn du das Wappen der Liebe malst" (1981) versammelt Busta nochmals ihre gesamte Themenpalette. Sie stellt ein Wappenbild an den Anfang, in dem die "Distel" das Zentrum bildet. Als "Rächerin der Wehrlosen" wird sie zum Zeichen eines sanften, aber furchtlosen Widerstands und vereint den "Purpur der Hochgemuten" mit dem "Staubgrau der Unbezwungenen". Die Gedichte "Vom Gesang" und "Te Deum" beschließen den Band. Sie unterstreichen das Widerständige der Poesie: ersteres mit Blick auf die politische Macht ("Die Schergen sind immer schlecht beraten, / manchmal auch die Verfolgten. / Doch der Gesang behält recht."), letzteres gegen die Erfahrung des Todes Gottes, dem die Verkündigung seiner "Auferstehung" in Aussicht gestellt wird. Die autobiografischen Aspekte bündelt das Gedicht "Kurzbiographie". Es ist von zwiespältigen Erfahrungen geprägt, die dialektisch ausbalanciert werden, von materieller Not und staunendem Überleben, vom Altern und Jungbleiben, von der Empörung über das (eigene) "Unrecht" und der Fähigkeit des Lachens, von "Gewinn und Verlust" in der Liebe, von Dankbarkeit und Erschöpfung, "Schuld" und "Augenblicken der Gnade", um sich am Ende in einem Bild der Sehnsucht nach dem Ursprung zu verdichten: "Manchmal, wenn ich auf blinder Haut noch / das tägliche Licht als Ereignis spüre, / bin ich wieder der erste Mensch."

Poetisches Testament

Der 1985 zu Bustas siebzigstem Geburtstag erschienene Band "Inmitten aller Vergänglichkeit" wird zu ihrem poetischen Testament. Was sich der Vergänglichkeit widersetzt, wird zum tragenden Fundament eines erfüllten Lebens: "Einmal wichtig gewesen zu sein, / für jemanden, der einem selber / so wichtig war, dass man glaubte, / alles vorher sei unwichtig gewesen, / und nichts könnte nachher wichtiger werden / als dieses eine Mal - / es bleibt und wird zu erfülltem Leben. / Auch wenn man es längst vergessen wähnt."

Das Gedicht erscheint als Zeichen einer im Sinne Rilkes "besitzlosen" Liebe, die den Adressaten zur Erfüllung und Vervollständigung der Zuwendung im Wort auffordert; in Bustas Bildern gesprochen: "Dann schicke ich dir meinen vertrautesten Fisch; / ich hab ihn als Tausch für seine Sprache / das Singen gelehrt. Du wirst ihn verstehn / und, während du lauschst, ihm deinen Atem / in die zuckenden Kiemen blasen."

Posthum sind noch zwei Gedichtbände erschienen: "Der Himmel im Kastanienbaum" (1989) mit den dem Freund und Schriftsteller Franz Peter Künzel zugedachten Gedichten und "Der Atem des Wortes" (1995), von Anton Gruber aus dem Nachlass zusammengestellt.

Dieser Band unterstreicht in komprimierter Weise die späte Meisterschaft von Bustas Lakonie, für die sie das Bild vom Steinmetz gebraucht: "Verschwenderisch ergießt man sich auf Papier. / Wer in Steine schreibt, / wird sparsam mit Lettern." Das Schlussgedicht fokussiert als Resümee die Grundspannung, die Bustas Lyrik in ihrer Gesamtheit durchzieht: "LASS MEINE UNRUHE AUSRUHN / in deiner Atemwiege, / daß ich vom Fieber des Lebens / genese." Der Todestag der Dichterin jährte sich am 3. Dezember dieses Jahres zum fünfzehnten Mal.

Der Autor ist Professor für Germanistik an der Universität Innsbruck.

Navigator

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung