Christine Lavant - Christine Lavant - © Christine Lavant, 1963 in ihrer Wohnung in St. Stefan im Lavanttal. Foto: Ernst Peter Prokop

Christine Lavant: "Gott, sag das nicht"

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Als Dichterin nannte sie sich nach dem Fluss ihrer Kärntner Heimat, ihre Gedichte gehören längst zu den kanonisierten Schriften Österreichs: Christine Lavant.

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Als Dichterin nannte sie sich nach dem Fluss ihrer Kärntner Heimat, ihre Gedichte gehören längst zu den kanonisierten Schriften Österreichs: Christine Lavant.

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Eigentlich war sie eine ernste und schöne junge Frau. Ohne das später unvermeidliche Kopftuch und nicht so scharf geschnitten wie in den expressiven Holzschnitten von Werner Berg, von denen manche so aussehen, als hätte sich der Schnitzer vertan und zu viel vom Gesicht weggenommen. Das Schreiben empfand Christine Lavant als ihr auferlegt, "wenn es kommt, kann man nichts dagegen tun." Lieber als dichten hätte sie ein ganz normales Leben geführt, hätte lieber eine Familie gehabt, wäre Mutter geworden, "6 Kinder, um für sie arbeiten zu können: das ist Leben!" Aber "Kunst wie meine, ist nur verstümmeltes Leben, eine Sünde wider den Geist."

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Ein Brief der Christine Lavant vom Juli des Jahres 1955, am Ende der Liebesbeziehung mit Werner Berg, ihrer fruchtbarsten Schaffenszeit, lässt einen Blick zu auf den Grund ihrer Sehnsucht: "Für Geschöpfe meiner Art ist es sehr weit bis zum Herzen Gottes, deshalb mangelt es ihnen dann so sehr, so am allermeisten, an der wichtigsten Nahrung des Gemüts - an Ehrfurcht und Vertrauen. (...) Ist ihnen das aber vorenthalten, dann bricht wider alles Dämonische immer und immer wieder der tragischste und zugleich naivste Zustand durch, (...) wo alle Kräfte darauf aus sind, die Entfernung zu Gott hin zu verringern ". Der Adressat war Ludwig von Ficker, der Herausgeber der legendären Zeitschrift Der Brenner, für Christine Lavant nicht nur eine literarische, sondern auch eine moralische Instanz. Er sah gerade in ihren "Lästergedichten" den verzweifelten Versuch, die Distanz "zum Herzen Gottes" zu verringern.

Erbarmen empfinden

In einem Brief vom April 1956 bringt Christine Lavant etwas zur Sprache, was für sie von allergrößter Bedeutung war: die Fähigkeit, Erbarmen zu empfinden. Ludwig von Ficker dürfte in einem vorausgegangenen Brief etwas von seiner Angst angedeutet haben, dass das Leben unter Umständen "verpfuscht" sein könnte (eine Formulierung, die sie in ihrem trotzigsten, an Heine erinnernden Gedicht verwendet: "Vergiß dein Pfuschwerk, Schöpfer!"). Diese Angst, so antwortet sie ihm, sei "viel erschütternder als alle meine Gedichte zusammen. Gibt es eine Hilfe unter uns? (...) Aber wir müssen jeden Tag mindestens einen Strohhalm aus der Erde stampfen, um ihn einem Ertrinkenden hinzuhalten, auch wenn uns selber schon das Wasser in den Mund rinnt. (...) Wenn Sie meiner gedenken, dann bitte in diesem Sinne, dass ich nie aufhören möge, Erbarmen zu empfinden, reines - von keinem Vorwand maskiertes - Erbarmen."

Die Liste der lebenslangen seelischen und körperlichen Leiden ist lang und hinlänglich bekannt - von der frühkindlichen Mangelkrankheit Skrofulose bis zu Depressionen mit Suizidversuch und Psychiatrieaufenthalt. "Ich bin biologisch nicht 48, sondern 68 Jahre alt", schreibt sie 1963 an einen Freund, "nirgends ohne körperliche und seelische Beschwerden." Ganz selten zeigt sie sich auf Fotos ohne das Kopftuch. Ihre Erscheinung war bestimmt von dieser dörflich antimodischen Kleidung: ordentlich, aber Bedürftigkeit signalisierend und Ausdruck der Ablehnung städtisch-zeitgeistiger Moden. In ihrer mönchischen Ortsfestigkeit spürte und beklagte sie das säkulare Aufsteigen jener öden Leere, die eine zusehends schwindende Religiosität zurück lässt. Sie verbittet sich die Entheiligung des Namens Gottes, wie ihn Gewohnheitschristen so gern und leichtfertig gebrauchen, auch wenn - oder gerade weil - sie mit diesem Gott scharf ins Gericht gehen will.

Die Sprache bilderreich und bitter

Aber mit einer Gemeinschaft heuchlerischer Frömmigkeit, die ihr -nach der Verheiratung mit dem geschiedenen Kunstmaler Josef Benedikt Habernig ("eine Todsünde!") - zu dörflich-infamer Bösartigkeit geworden war, will sie weder im Diesseits noch im Jenseits etwas zu tun haben: "Gott, sag das nicht nach, / sag keins der lauen Worte deiner Frommen! / Ich will ja nicht in ihren Himmel kommen."

Schreiben war ihr schon als Kind ein Ausweg aus Enge und Isolation. Ein erster Veröffentlichungsversuch der Siebzehnjährigen scheitert, und sie verlegt sich aufs Stricken und Lesen. Liest eklektizistisch, was sie anspricht: die großen Romane der Weltliteratur ebenso wie religiöse und esoterisch-okkulte Literatur. 1937/38 sterben innerhalb von sechs Monaten Vater und Mutter. Christl heiratet - aus Mitleid oder sucht sie einfach Geborgenheit? - den um dreißig Jahre älteren mittellosen Mann. Bezieht mit ihm eine Dachkammer und verdient mit Stricken mehr als der erfolglose Maler. In den Nächten beginnt sie wieder zu schreiben; den Kerzenverbrauch muss sie mit dem Mann aushandeln. Sie ist schon dreißig, als ihr ein Bändchen mit den Späten Gedichten von Rilke aufgedrängt wird. Es ist - mit ihren Worten - als habe man "einen Brunnen geschlagen". Nach einer Übungsund Imitationsphase findet sie ihre eigene Sprache: sinnlich, magisch, bilderreich und bitter. Einer Empfehlung ihres ersten Verlegers folgend hat sie als Dichterin den Namen Lavant gewählt. Bald folgen öffentliche Auszeichnungen und Auftritte im Kreise von Künstlern und Literaten. Dabei lernt sie den Maler Werner Berg kennen.

Kunst aus Kraft

Christine Lavant hat mit einem deutlichen Hang zur Selbstinszenierung - vielleicht zum Selbstschutz - das Bild einer "armen und todnahen Existenz" verstärkt. Es wird jetzt im Zuge neuerer Publikationen zunehmend gereinigt und von übertriebenen Übermalungen befreit. Ihre Kunst entstamme "der Kraft und nicht der Gebrechlichkeit", sagt Fabjan Hafner, Mitarbeiter am kürzlich erschienenen ersten Band der neuen Werkausgabe. Immer habe sie "mit erhobenem Haupt geschrieben", habe "klug und sorgfältig" gearbeitet und die Gedichte seien allesamt "Kunst und keine Beichtformeln".

Man entdeckt langsam wieder den Kopf unter dem Kopf-Tuch. Allzu lange hat man mit ihrem Namen vorrangig Katholisches assoziiert. Doch ihre gebetsartigen Anreden in den Gedichten schillern mehrdeutig zwischen Hiobsrede zu Gott und Anklage des geliebten grausamen Ersatzgottes Mann. "Alles meinem Gott zu Diensten / dem Ersatzgott der fast echt ist / jedenfalls ein echter Quäler."

Ganz und gar nicht zur liebgewordenen Leidensikone passt Christine Lavants charmante Geselligkeit, wenn sie einen Gesprächskreis mit Schlagfertigkeit und großer Belesenheit überraschte. Michael Guttenbrunner, Mit-Preisträger ihres ersten Trakl-Preises 1954, liefert dazu das Negativ: sie wäre in gewissen Kreisen "bald Salonfigur" gewesen "und es wurde mit ihr Hof gehalten." Und sie habe "virtuos auf ihre Vergötzung" erwidert.

Als bekannteste Lyrikbände gelten "Die Bettlerschale" (1956), "Spindel im Mond" (1959) und "Der Pfauenschrei" (1962). Heute wiedergelesen, nach mehr als einem halben Jahrhundert, schmerzt der Dorn unvermindert, der in den Geheimnissen der Gedichte sitzt, und lässt sich nicht ins Biografische oder Germanistische weginterpretieren. Ihre Prosa allerdings liest man wie neu. Sie war lange von Kritik und Verlegern als minderbedeutend geringgeschätzt worden. Ein eklatantes Fehlurteil, das erst in den letzten Jahren gründlich revidiert wird. Man hat erkannt, von welch großer Qualität die autobiografisch durchwirkten Erzählungen "Das Wechselbälgchen", "Das Kind" oder "Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus" sind. Neue Ausgaben kommen der dringenden Empfehlung des Wiederlesens oder Entdeckens sehr entgegen.

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