Christliche Kunstimpulse

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Wie bildende Künstler im letzten Jahrzehnt nach dem Ende der Utopien die Kunst erneuerten.

Welche Erneuerung der Kunst kann man nach der Erschöpfung der Moderne erwarten, nach dem Ende der Utopien und nach der vollbrachten Entmythologisierung? Vor allem aber stellt sich die Frage, warum die Künstler eine Erneuerung bewirkten, die weder die Gesellschaft noch die Kultur in irgendeiner Weise betraf, und das mit Hilfe einer Bezugnahme - nämlich auf die christliche Religion - die heute ihrer sozialen Anziehungskraft und sogar ihres Sinnes entleert zu sein scheint.

Die Erneuerung von Kunst war zu allen Zeiten mit einer tief greifenden Umwandlung der Mentalitäten und mit soziologischen und intellektuellen Veränderungen verbunden. Die Idee der Erneuerung selbst ist an den Entwurf der Moderne als einer Entwicklung der fortschreitenden Avantgarde geknüpft, deren Wert heute in Frage gestellt wird. Jenseits des simplen Generationenwechsels muss man jedoch unausweichlich eine große Differenz zwischen der heutigen Kunst und jener von vor etwa zehn Jahren feststellen. Zu Beginn der 1990er Jahre arbeiteten mehrere Künstler, auf die wir uns hier beziehen, in einem ähnlichen Geist, hatten aber nicht die Anerkennung, die sie heute genießen. Die Werke von Maurizio Cattelan, Peter Land, Ugo Rondinone, Luc Tuymans und Peter Doig waren damals überhaupt nicht anerkannte Objekte, aber seit einigen Jahren gingen sie in erstaunlicher, unglaublich geschwinder und spektakulärer Weise daran, sich binnen weniger Monate auf die ersten Plätze des Kunstmarktes und der internationalen Ausstellungen emporzuschwingen.

Neue Weltwahrnehmung

In demselben Zeitabschnitt änderte sich unsere Wahrnehmung von der Welt: die Bioethik, die transgenen Kulturen, die Globalisierung und das Herabsinken der politischen Glaubwürdigkeit sind Schatten, die über eine Zukunft gehalten werden, die von keinerlei kollektiver Utopie mehr erhellt werden kann. Der "Sturz des Papstes", wie ihn Maurizio Cattelan dargestellt hat, ist ein starkes und wahrhaftiges Werk, weil es das niederschmetternde Gefühl der aktuellen Gesellschaft für die in Konkurs geratenen Väter und auch die Zwecklosigkeit, mutig in die Zukunft zu schreiten, beschreibt und zusammenfasst. Von zahlreichen Künstlern behandelt, besonders von Athila und Tanberg, gibt diese Zerbrechlichkeit des Vaterbildes, auf das sich die abendländische soziale Ordnung aufgebaut hatte, Anlass zu jenen Darstellungen der aktuellen Kunst, die am meisten Fragen aufwerfen. Alle Situationen, die von Künstlern ins Lächerliche und Heikle gezogen wurden, sind Bilder des Verlusts, die mit dem gleichen Schema die Krise der Hierarchie und der sozialen Werte bestätigen. Die Bestätigung der ausgerufenen Unreife wird durch eine ganze Reihe von Kunstwerken, die als Ort der Freiheit und als Ausdruck von Abwehr fungieren, und durch eine Künstlergeneration, die die Zuschauer in einer Welt der vorpubertären Regungen anziehen, mit der gleichen Verweigerung Vater zu werden bezeugt, die eine Abnahme des politischen Anspruchs der Kunst zur Folge hat.

Die Helden sind müde

Um das allgemeine Gefühl des Zweifels abnehmen zu lassen, schlagen uns die Künstler eine Umkehrung der Denkmuster vor. Die Helden sind müde geworden, sagt uns Gilles Barbier in einem schonungslos komischen Werk, das die Altersschwäche der Supermänner unserer Kindheit in Szene setzt, die ihre letzten Tage in einem Altersheim verbringen. Die Erneuerung legt keinen großen Wert auf die Erfindung neuer Helden oder neuer Formen des Heroismus, sondern auf die Neuausrichtung des Blickes, die neue Sinnhaftigkeit und Tragweite verleiht.

Die Wiederbelebung der Malerei und einer bildhaften Skulptur begleitet eine allgemeine Rehabilitierung der Anwesenheit des Künstlers in der Welt, der sich die Aufnahme jener Darstellungsformen zu Nutze macht, die von der Öffentlichkeit am besten angenommen wurden und in denen die Malerei das Kino und das Fernsehen einholt. Die neuerliche Voranstellung der Formen und der zuvor entwerteten oder verweigerten Fragwürdigkeiten (des Humors, den eine große Zahl der Künstler verwendet) nimmt am selben Entwurf teil: nämlich der Allgemeinheit durch die Vermittlung eines dementsprechenden Vokabulars und leicht zugänglicher Massenmedien einen Eindruck von der Welt anzubieten.

Dieser Wandel beeinflusst weniger die Formen als vielmehr die Inhalte und noch mehr die Auffassung des Stellenwertes von Kunst und Künstler in unserer Gesellschaft. Vielleicht handelt es sich eher um eine Reformbewegung als um eine Erneuerung. Das, was die heutigen Künstler ausmacht und wovon das Werk Barbiers mit Ironie Zeugnis ablegt, ist die Preisgabe einer prometheischen Auffassung von Kunst. Eine Vorstellung, die alle Vorkämpfer geleitet hatte und die heute weder mit dem Zustand der Schöpfung noch mit der Perspektive des Menschen und der Gesellschaft korrespondiert.

Die hauptsächliche Triebfeder der Avantgarde, die ihre Wurzeln in der Romantik und in Nietzsches Definition von Kunst findet, diese prometheische Dimension, die sich zum Wortführer ersten Ranges der wichtigsten Bewegungen der modernen und zeitgenössischen Kunst gemacht hatte, war durch das Denken der Postmoderne nicht verändert, sondern vielmehr wieder belebt worden. Die ihm von den Künstlern zugefügte Missbilligung ist also völlig neu, obwohl sie sich das Recht herausnimmt, eine Kunst, die seit einigen Jahren wieder auferstanden ist, in Frage zu stellen.

Sisyphus als Christus

Der dionysische Antrieb, unter dem sich der Lauf der Moderne eingeschrieben hat, ist sehr weit von der Position der aktuellen Künstler und deren Werken entfernt. Nietzsche beschrieb das, womit das Dionysische zugedeckt wurde, folgendermaßen: "Das Wort dionysisch' drückt ein Bedürfnis nach Einheitlichkeit, eine Überwindung der Person, der alltäglichen Banalitäten, der Gesellschaft und der Realität durch das Überspringen der Kluft des Vergänglichen aus; Erguss einer leidenschaftlichen und schmerzhaft überfließenden Seele, die sich in undeutlicheren, volleren und leichteren Bewusstseinsstimmungen befindet; eine exstatische Zustimmung von allgemeiner Reinheit, dass das Leben unter allen Veränderungen dasselbe bleibe, auf gleiche Weise mächtig wie betörend." [...]

Die Identifikationsfigur der Künstler wird eher Sisyphus denn Prometheus sein, der unter den ihm gegebenen Bedingungen glückliche Sisyphus, wie ihn Camus beschrieben hat und wie ihn der leidende Papst von Cattelan bestätigt, Sisyphus als Christus. [...]

Kunst nimmt also an einer tief greifenden Bewegung der Aufwertung des spezifischen Charakters der abendländischen Kultur teil, hauptsächlich durch eine neue Interpretation seines verklemmten christlichen Erbes. Die Helden sind müde, aber wie Francis Alÿs in seinem jüngsten Werk, das eine Menschenmenge zeigt, die ein großes Wüstenstück um einige Zentimeter zurückschiebt, so poetisch in Erinnerung ruft: Der Glaube versetzt Berge.

Die Autorin ist Kuratorin der zeitgenössischen Sammlungen im Nationalmuseum für moderne Kunst, dem Centre Georges Pompidou in Paris und spricht am 20. Mai in Wien (siehe Kulturtipp).

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch L'art contemporain est-il chrétien? (Ist die zeitgenössische Kunst christlich?), Nîmes (Édition Jacqueline Chambon) 2003, S. 120-124.

Aus dem Franz. von Verena Bischof.

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