Chronik eines angekündigten Todes

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Schauspieldirektor Gerhard Willert hatte das Stück "Je tremble (1 et 2)" des französischen Erfolgsdramatikers Joël Pommerat (geb. 1963) beim Festival d'Avignon 2008 gesehen und sich sofort entschlossen, es zu übersetzen und auf der Bühne der Linzer Kammerspiele zu inszenieren.

Gesagt, getan. Die dreistündige Premiere des Stückes, für das man erst eine griffige Gattungsbezeichnung finden müsste, besteht es doch inhaltlich aus einem Mix absurder bis monströser und abstruser dramatischer Elemente, aber auch aus einer Reihe aktueller (lebens)philosophischer Fragen, die allerdings unbeantwortet bleiben, fand am 3. Mai vor einem höchst aufmerksamen und geduldigen Publikum statt.

Um nur einige Beispiele zu nennen: Fragen etwa nach einem echten schönen Zukunftstraum für unsere menschliche Gesellschaft; nach den Leuten, die verantwortlich sind für Ideen; nach unserer Existenz, die heute gemessen wird an den Sachwerten, die uns umgeben, während wir doch nur existieren durch die Menschen, die uns begegnen; nach der "Krankheit, die einen hindert, sich selbst so zu sehen, wie man wirklich ist".

Pommerat hat einen ganzen Kosmos seltsamer Figuren geschaffen, an deren Spitze der Conférencier steht, dem der elegante, weiß geschminkte Lutz Zeidler seine Bühnenpräsenz und Eloquenz leiht. Kaum dass er vor den in changierenden Farben glitzernden Vorhang getreten ist (Lichtregie: Helmut Janacs), verkündet er, dass der Titel "Ich zittere" nichts als ein Titel sei, dass er aber am Ende dieses Abends, im allerletzten Moment, sterben werde, vor den Augen des Publikums.

Perfekt abgestimmte Musik

Doch ehe es ihm gelingt, "diese kleine Soirée in Gang" zu bringen, erfolgt ein Schuss. Er bricht zusammen. Pause. Er steht wieder auf und erklärt: "Heute Abend wird gefeiert. Wir werden gemeinsam zittern, vor Freude, und weinen, vor Lachen, meine Freunde …" Faktum ist, dass es aus Empathie für die von ihrem Alltagsschicksal gebeutelten Figuren wie z. B. die junge Frau im T-Shirt, der die Säge erst zwei Finger, dann eine ganze Hand abtrennt und die dennoch ihre Arbeit im Werk nicht aufgeben will, eher mehr zu weinen gibt. Der Conférencier weiß viel zu erzählen, von sich und anderen, die in kürzeren oder längeren Passagen auch selbst zu Wort kommen. Pommerat verstand es, seinen "zitternden" Geschöpfen auf verschiedenste Weise Leben einzuhauchen, sogar dem Mann, der nicht existierte, weil er das Gefühl für seine Existenz verloren hatte. Eine wichtige Funktion hatte selbstverständlich die perfekt auf das Geschehen abgestimmte Musik von Christoph Coburger, live zugespielt von Marco Palewicz (Electronics; Bühne und Kostüme: Alexandra Pitz). Die enorme Fülle der Texte, die Willert ohne Substanzverlust hätte reduzieren können, bewältigten in Mehrfachbesetzungen und erfreulicher Wortdeutlichkeit die Damen Aichner, Buchholz, Enzler und Hofmann, sowie die Herren Kasten, Köhler, Pertusini, Wachter und Lutz Zeidler als souverän agierender Conférencier. Stirbt er am Ende doch? Das, meine Damen und Herren, sei Ihrer Deutung überlassen!

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