Chronologie einer Aufarbeitung

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"Meine keine Familie“: Dokumentarfilmer Paul-Julian Robert reflektiert seine Kindheit in der Kommune von Otto Mühl.

Das Gespräch führte Alexandra Zawia

Wo beginnt Familie, wo hört sie auf - und wann wird sie zur Bedrohung? Paul-Julien Robert erforscht in "Meine keine Familie“ seine Kindheit in der Kommune von Otto Mühl am Friedrichshof, in der er aufgewachsen ist, bis er zwölf war. Durch Original-Videos sowie durch die direkte und erstmalige Konfrontation seiner Mutter mit seinen Fragen sowie auch seine eigenen unverdeckten Reaktionen darauf, entsteht die intensive Chronologie einer persönlichen Aufarbeitung, die einen schonungslos offenen Zugang zu einem Stück österreichischer Zeitgeschichte ermöglicht.

Die Furche: Der Film lebt stark von den teilweise naiv wirkenden Reaktionen Ihrer Mutter, die mit Ihren Fragen über die Kommunen-Zeit konfrontiert wird. Haben Sie nie mit ihr darüber gesprochen?

Paul-Julien Robert: Nein. Unsere Beziehung erlebte schon in der Kommune einen Bruch oder sagen wir eine Art Umkehrung. Ich fühlte mich irgendwann selbst schuldig, wenn sie für etwas bestraft wurde. Ich habe während des Drehens auch selbst gemerkt, dass sie sich diese Fragen nie gestellt hat. Sie hat immer nur wiedergegeben, was Otto Mühl an Theorien aufgestellt hatte. Es hat bei ihr nie eine Reflexion stattgefunden, sie hat alles einfach so hingenommen. Ich weiß, dass sie immer das gemacht hat, von dem sie glaubte, es wäre auch für mich gut. Nur: Sie hat mich nie gefragt, was ich will oder wie es mir geht. Das wurde mir erst langsam klar.

Die Furche: Sie verwenden im Film nie gesehenes Videomaterial aus der Kommune. Wie wählten Sie diese Szenen aus dem 5000 Stunden umfassenden Material aus?

Robert: Anfangs wollte ich nur herausfinden, was mit meinem juristischen Vater passiert ist. Ich plante, darüber einen kurzen Film zu machen. Nach und nach wurde die Geschichte dann aber noch persönlicher, aber auch umfassender. Der Schritt, damit an eine breitere Öffentlichkeit zu gehen, bereitet mir immer noch Nervosität. Und natürlich gibt es viele Ex-Kommunarden, die diese Videokassetten gerne verbrennen würden. Die Genossenschaft am Friedrichshof verwaltet diese Bänder.

Die Furche: Mit dem Film unterhöhlen Sie auch Otto Mühls Selbstverständnis als Künstler: Die Kommune als sein größtes Kunstwerk - auch gefertigt aus der Asche der von ihm vernichteten Tagebücher der Ex-Kommunarden.

Robert: Ich wollte keinen Film über Mühl machen, konnte ihn aber auch nicht weglassen, weil er Teil meiner Geschichte ist. Ich habe ihn vor ein paar Jahren bei meiner Ausstellung getroffen. Da habe ich ihn gefragt, wie das denn nun damals mit den Mädchen war. Er ist aufgestanden und gegangen. Dabei fand der Sex mit Minderjährigen ja gar nicht versteckt statt.

Die Furche: 2011 veröffentlichten die Vertreter der ersten Generation eine Entschuldigungsrede.

Robert: Ich erwarte in dieser Hinsicht nichts mehr. Nach dem Zerfall der Kommune ging extrem viel schief. Jeder war überfordert und niemand konnte sich wirklich um uns kümmern. Ich persönlich habe Menschen, die für mich da sind - andere haben das nicht. Da besteht bestimmt noch heute Hilfebedarf, finanziell und psychologisch.

Meine keine Familie

A 2012. Dokumentarfilm von Paul-Julien Robert. Stadtkino. 93 Min.

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