Claude Lorrain oder das Leuchten der Landschaft

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Der Maler, nach dessen Bildern die Engländer ihre Gärten gestalteten.

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Der Maler, nach dessen Bildern die Engländer ihre Gärten gestalteten.

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Sind Künstler Einzelgänger? Die Dichter mögen welche sein. Die Maler werden von den Kunstmetropolen unwiderstehlich angezogen. Im späten 20. Jahrhundert strömten sie nach New York, im 19. Jahrhundert nach Paris, im 17. Jahrhundert war Rom die Stadt, in der sie einander auf die Füße traten. Eintausend Künstler allein aus Lothringen sollen damals in der Ewigen Stadt gelebt haben. Dabei waren sie weit davon entfernt, das Viertel der ausländischen Maler zwischen der Piazza di Spagna und der Piazza del Popolo zu dominieren. Rom wimmelte von holländischen, flämischen, französischen, deutschen Malern. Aber ein Lothringer dominierte.

Das große neue Metier war die Landschaft, die vorher hauptsächlich als Hintergrund biblischer Szenen gedient hatte. Die Landschaft um Rom spielte dabei dieselbe Rolle wie gut zweihundert Jahre später die Provence. Zu hunderten schwärmten die Maler aus mit ihren Skizzenblöcken, Stiften und Malutensilien und entdeckten, was Menschen seit jeher gesehen hatten - und was die Maler nun plötzlich wahrnahmen. Zeichner in der Landschaft, Zeichner unter Bäumen, Zeichner, denen andere über die Schulter schauen, sind übrigens ein reizvoller Bestandteil von Lorrains Landschaften.

Der zwölfjährige Bauernsohn Claude Gellee war, wie sein späterer Freund Joachim von Sandrart berichtet, mit einem Verwandten nach Rom gekommen, um Arbeit in seinem erlernten Beruf als Pastetenbäcker zu suchen und wohnte zunächst im Viertel der französischen Zuckerbäcker beim Pantheon, fand aber keinen Job - Hunderte lothringische Pastetenbäcker waren schon vor ihm da. Er kam beim Maler Agostino Tassi als Gehilfe, Koch, Aufräumer, Farbenreiber und Pinselwäscher unter und durfte bald auch selbst zum Pinsel greifen.

Einige Jahrzehnte später war es fast unmöglich, ein Bild von ihm zu bekommen. Er hatte nicht nur sein gewaltiges Talent mit unerhörtem Fleiß entwickelt, sondern auch das Glück gehabt, schon als junger Mann Papst Urban VIII., dem großen Kunstfreund ("ein besserer Franzose als jeder Pariser"), vorgestellt zu werden, signierte seine Bilder stolz als "Claude Gellee, le Lorrain", der Lothringer, mit dem Zusatz "I V R" - In Urbe Roma, in der Stadt Rom, in der er einer der begehrtesten und teuersten Maler war. Betrübt schrieb der Sendbote des Kardinals Leopold de Medici 1655 seinem Auftraggeber, "dieser Lorrain" habe nicht die geringste Lust, die bestellten Zeichnungen zu machen - dabei hatte Lorrains Ruf als Zeichner gerade erst begonnen, mit seinem Ruhm als Maler gleichzuziehen. Auch sieben Jahre später, Lorrain war nun 62, wollte er sich von seinen "wenigen alten Zeichnungen" nicht trennen und bot Kardinal Medici an, Kopien von zwei seiner Zeichnungen zu machen.

Nachzulesen in: "Claude Lorrain - Das Leuchten der Landschaft" von Günther Bergmann. Der Autor ist Fernsehredakteur und Filmemacher und drehte einen Film über Lorrain. Parallel dazu entstand ein erfrischend lebendig geschriebenes Buch, das Zugänge zu Lorrains Malerei öffnet und ihn dem Leser auch menschlich nahebringt: Eine erfreuliche Neuerscheinung, in der auch der geniale Zeichner zu seinem Recht kommt - ein Zeichner, der, bei größter Detailgenauigkeit, mit temperamentvollen Stift- und Pinselschwüngen dramatische Stimmungen zu erzeugen verstand. Es ist die Zeit eines neuen Sehens. Die Maler sind die Lehrer des Sehens. Sie entdecken die Landschaft und verändern damit radikal die Weise, in der sie auch von den anderen erlebt wird. Aber zum Lehrer der Maler wird, weit über seinen Tod hinaus, Claude Lorrain. Seine Gemälde sind tatsächlich Boten eines neuen Naturgefühls. Und sie wirken auf die Gestaltung der Kulturlandschaft zurück.

Vor allem Italiener waren seine Auftraggeber, aber hundert Jahre nach seinem Tod gab es in Italien kaum noch Bilder von Claude Lorrain. Vor allem die Engländer, die ihn auf ihren Bildungsreisen kennenlernen, kaufen Lorrain auf. Sie fahren total auf Lorrain ab. Während man ihn in manchen deutschen Kunstlexika noch immer nur unter "Gellee" findet, ist er in England bis heute "Claude". Er wird Englands Lieblingsmaler, hängt in den englischen und schottischen Schlössern, Turner ist einer seiner großen Bewunderer, und seine Malerei zählt zu den Einflüssen, die zum Übergang vom geometrisch gestalteten Barockgarten zur Innovation des englischen Landschaftsgartens führen.

Dabei wissen wir gar nicht, wie die Zeitgenossen seine Gemälde wirklich "gelesen" haben. Seine Schiffsabfahrten vor grandiosen Sonnenuntergängen waren auch religiöse Symbole, Symbole des menschlichen Lebens. Der bescheidene, gesellige Künstler wurde hofiert, war sich seines Wertes bewußt und wußte geschickt über den Preis zu verhandeln. Nur weniger Wohlhabenden teilte er den Preis eines Bildes im voraus mit. Bei den Reichen ließ er die genaue Summe bis zur Ablieferung offen. Und er konnte cholerisch werden. Nur drei eigenhändige Briefe Lorrains sind erhalten, sie waren an den jungen österreichischen Grafen Waldstein gerichtet, dessen Vermittler, der römische Domherr Othenim, Lorrain heruntergehandelt hatte und in dessen Anzahlung sich dann auch noch einige untergewichtige Münzen befanden. Zornig droht er dem Grafen, den Auftrag zu annullieren, seine Werke seien keine "robba robbata", kein zusammengestohlenes Zeug, die Herren sollten lernen, mit einem Ehrenmann umzugehen. Der Graf mußte über ein Jahr auf das Bild warten, teils wegen eines Gichtanfalls des Künstlers, teils, weil sich dieser ungern auf Termine festlegte. Für sein wunderbares Licht, "gli lumi miraculosi", brauchte er Zeit. Dafür wurde das Bild, so Othenim, "schöner als die Kunst und die Natur selbst".

Der alte Lorrain - er starb 1682 mit 82 Jahren - konnte nur noch stundenweise unter Schmerzen arbeiten, weil er seit seinem vierzigsten Lebensjahr schwer unter der Gicht litt. Kein Wunder angesichts der ausgedehnten Wanderungen des jungen Lorrain, der, wie ein Zeitgenosse schreibt, schon vor Morgengrauen "im Felde lag" und es erst nach Einbruch der Dunkelheit verließ.

Claude Lorrain - Das Leuchten der Landschaft Von Günther Bergmann, Prestel Verlag, München 1999, 112 Seiten, 80 Abbildungen, davon 60 in Farbe, Ln., öS 496,

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