Clemens Eichs Georgien-Projekt

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Das Buch, mit dem der Sohn von Ilse Aichinger und Günter Eich in Erinnerung bleibt.

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Das Buch, mit dem der Sohn von Ilse Aichinger und Günter Eich in Erinnerung bleibt.

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Das Land als Handlung eines Buches", steht in jenem Text des Bandes "Aufzeichnungen aus Georgien", mit dem Clemens Eich sein Georgien-Projekt dem Verlag vorstellte. Es solle weder ein Sach- noch ein Reisebuch werden, auch keine Antwort auf die "georgische Frage". Sein Anspruch sei - und um es vorwegzunehmen: Der Autor wird diesem auch voll und ganz gerecht - das Land Georgien, Schnittstelle von Orient und Okzident, Durchgangsland, Grenzland, in Sprache zu kristallisieren, so daß dem Leser das Buch so fremd wie Georgien entgegentritt. Mitten in der Arbeit an der Niederschrift seiner "Aufzeichnungen aus Georgien" starb Clemens Eich im Februar 1998 in Wien an den Folgen eines nie ganz aufgeklärten Unfalls. Die fünf Kapitel, etwa 60 Seiten von geplanten 200, die er geschrieben hat, sind zusammen mit von Elisabeth Eich gesichteten und geordneten Fragmenten im S. Fischer Verlag erschienen.

So plötzlich, wie der Autor böse erwacht, steigt der Leser mit dem Blick auf die rostbraunen Wände eines unbeheizten Krankenhausflurs, wo das schmutzige Wasser über die grünen Schimmelflächen rinnt, in die eigentümlich düstere Atmosphäre der Geschichte ein. Durch einen Unfall, Eich läuft in der Nacht gegen einen Türstock, verletzt sich schwer am Auge und muß zurück nach Deutschland, wirken die ersten Seiten besonders bedrohlich. Auch beim zweiten Anlauf hat man das Gefühl, als durchlebe man einen zwar interessanten, aber trotzdem bedrückenden Traum.

In der Hauptstadt Tiflis taucht Clemens Eich in eine vollkommen fremde Welt ein, in der sich der alte Ostblock und der neue Westen kreuzen. Eine Welt der Widersprüche. Einerseits begegnet er Bauern, deren Regale mit Werken der Weltliteratur prall gefüllt sind, andererseits geht in der Stadt ständig der Strom an und wieder aus. Das ganze Land scheint von Notaggregaten betrieben zu werden und pausenlos auf Nahrungssuche zu sein. Auf einer Farb- oder Gefühlsskala, so Eich, würde er Georgien "hellschwarz" zuordnen: "Auf der Skala der Empfindungen sehe ich eine ganze Reihe von schwarzen Schattierungen, alle zeigen die zwei Seiten einer Geschichte. Europa ist nicht ganz hell und Asien nicht ganz schwarz, so wie Asien nicht ganz hell und Europa nicht ganz schwarz ist."

Dauernd sieht der Autor sich mit dem Wunschbild der Georgier von Europa konfrontiert, das Deutschland heißt - die Existenz der Schweiz oder Österreichs wird von diesen Menschen völlig negiert - und doch so wenig mit der Realität zu tun hat. Die Diskrepanz zwischen der Nähe zu Europa und der Fremde, mit der einem das Land entgegentritt, entfremdet auch den Besucher sich selbst. "Sie haben mit allem in Georgien gerechnet, nur nicht mit sich selbst" sind die Abschiedsworte einer jungen Frau. Geschickt arbeitet der Autor dieses Element durch einen Ich-Erzähler, der vom Er-Erzähler spricht und umgekehrt, in die Geschichte ein. Das Buch hat keine durchgehende Handlung, es ist eher ein Mosaik von Erlebnissen, persönlichen Assoziationen und Gedanken, das aber durch die Auseinandersetzung des Autors mit sich selbst und die Leichtigkeit und Klarheit seiner Sprache kohärent wird.

Reizvoll und interessant sind auch die Fragmente, die der unfertigen Geschichte, die doch ein Ganzes bildet, angefügt sind. Die Entstehung des vorhandenen Textes wird durch die Notizen sehr gut nachvollziehbar und der Leser bekommt einen Eindruck davon, wie das fertige Buch ausgesehen haben könnte. Deutlich erkennbar sind die geplanten Kapitel über Dichter und berühmte Persönlichkeiten, die mit Georgien in Zusammenhang stehen, besonders jenes über Stalin, der immer wieder auftaucht. Wie ein strahlend klarer Wachtraum tritt einem Clemens Eichs "Buch des Fragens", sein "Beutebuch aus Georgien", entgegen.

AUFZEICHNUNGEN AUS GEORGIEN Von Clemens Eich S. Fischer V erlag, Frankfurt/M. 1999 126 Seiten, geb., öS 204,-/e 14,82

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