Connie Palmens neuer Roman übers Schreiben

19451960198020002020

"Die Erbschaft" handelt vom Tod einer Dichterin: Ein Buch, das Lust macht, zu lesen.

19451960198020002020

"Die Erbschaft" handelt vom Tod einer Dichterin: Ein Buch, das Lust macht, zu lesen.

Werbung
Werbung
Werbung

Eine alte Schriftstellerin, ein Sekretär und der Tod scheinen die Protagonisten des Romans "Die Erbschaft" von Connie Palmen zu sein. Connie Palmen, die zu den am meisten verkauften Autorinnen der Niederlande zählt, bleibt sich und ihrem Thema treu: Liebe, Freundschaft und die Suche nach dem Sinn des Lebens. Waren es in ihrem Debüt-Roman "Die Gesetze" sieben Männer, die dessen Hauptfigur, einer Philosophie-Studentin, begegneten und sie beeinflussten, bevor sie neben viel Philosophie auch die Liebe erfuhr, ist es im neuen Roman nur noch ein Sekretär.

Lotte Inden ist also eine berühmte Schriftstellerin, und sie ist bestimmt und äußerst direkt. Auf den ersten Blick keine angenehme Zeitgenossin, das wissen wir nach den ersten Zeilen: "Ich habe nicht genug Zeit, sehr anständig und höflich zu dir sein." Ihre Uhr läuft ab. Max Petzlar, ihr erster Leser, Archivar und zum Schluss auch ihr Liebhaber, übersteht diesen Einstieg und dringt in die fremde Welt ein. Doch woran liegt es, dass die Beziehung zwischen den beiden, die Auseinandersetzung mit dem Tod, das Abschiednehmen, in diesem Roman schemenhaft bleiben? Die Handlung ist nur Anlass, doch wofür?

Über die Texte einer weltberühmten Schriftstellerin zu lesen, ohne tatsächlich kennenzulernen, was sie schreibt, ist wie eine Liebe ohne Kuss. "Ein gutes Buch wird durch etwas zusammengehalten, was nicht drinsteht, und dieses Etwas, das nicht drinsteht, das ist das Geheimnis des Autors", erläutert es Lotte Inden eines Abends ihrem Sekretär. Es ist der Schlüsselsatz des Buches. Die Begründung für die Figuren als Schemen. Denn die Schriftstellerin ist nur das Mittel zum Zweck. Die Hauptrolle spielen die Worte. Die Literatur, die überdauert und von keinem Tod gekratzt wird. "Lesen als Animation der Sinne und des Geistes", so beschrieb die "Frankfurter Allgemeine" den Effekt, den die Bücher von Connie Palmen auslösen können.

Max hat bei seiner Arbeitgeberin eine besondere Aufgabe. Da sie um ihre Krankheit weiß und so lange wie möglich schreiben will, benötigt sie ihr Archiv auf Knopfdruck. Ihre Notizen, ihre Lesefrüchte werden fein säuberlich nach Stichworten in den Computer eingegeben. Denn bei einigen Büchern ist es so, dass die Schönheit nicht im Ganzen liegt, sondern in einzelnen Sätzen. "Ich möchte sie nie mehr missen, sie müssen um mich bleiben, auch wenn ich praktisch alle Sätze herausgeholt habe, und ich das Buch eigentlich nicht mehr brauche, um sie noch einmal lesen zu können und jedesmal wieder beeindruckt zu sein von ihrem Humor ..."

Max spürt diesen Sätzen nach. Jeder, der liest, mit dem Bleistift in der Hand liest, wünscht sich so einen Sekretär, um die Essenz jedes Buches anhand von zehn, zwölf oder 25 Zitaten nochmals erleben zu können. Den Geist jedes Buches unabhängig von seiner Geschichte, der Handlung, präsent zu haben. Diese Art Auseinandersetzung mit Literatur ist das Geheimnis des Romans. Schreiben und Denken werden zum Versuch, dem Verlangen nach Sinngebung, nach Trost, nach Macht, nach einem Entkommen aus der Verzweiflung und aus der schrecklichen Verlassenheit des Verstandes nachzukommen. Vor dieser letzten Kulisse bekommen auch die einfachsten Sätze eine andere Dimension und sind möglich, ohne abgeschmackt und fahl zu klingen. Lotte Inden hat am Ende des Lebens und des Romans Angst, Max unglücklich zu machen, weil sie ihm so wenig Zukunft bieten kann "und die Liebe Ewigkeit wolle". Es kommt, wie es kommen muss. Lotte Inden stirbt und wartet auf Max "im Buch". "An jenem Abend bin ich, als alle Gäste unser Haus verlassen hatten, in ihr Erbgut eingetaucht, um sie wiederzutreffen. Und ich wusste genau, wo sie war." Ein Schluss ohne Ende, die Liebe bekommt ihre Ewigkeit in der Literatur.

Es gibt Bücher, die sind vielleicht nicht große Literatur, aber sie machen eine unbändige Lust auf Literatur und auf Lesen. Connie Palmens Roman gehört dazu.

Die Erbschaft

Roman von Connie Palmen

Diogenes Verlag, Zürich 2001

148 Seiten, geb., öS 240,-/e 17,44

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung