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Es gibt unabhängig von der "offiziellen katholischen Position" gute philosophische und naturwissenschaftliche Gründe, die Forschung an embryonalen Stammzellen abzulehnen.

Angesichts der bioethischen Debatte ist der ökumenische Dialog neu gefragt. In der Diskussion vergangener Monate ging es vor allem um den Status des Embryos, um die Frage, ob Embryonen schon Menschen in frühesten Stadien sind, ob sie sich erst zum Menschen entwickeln, ob ihnen Würde zukommt, ob mit ihnen oder ihren Stammzellen Handel getrieben werden kann. Es ging um die Patentierbarkeit embryonaler Stammzellen, um die Frage, ob man in Europa die Forschung mit embryonalen Stammzellen fördern sollte (sechstes Forschungsrahmenprogramm 2002-2006), ob man diese Zellen im eigenen Land herstellen oder aus dem Ausland importieren soll. Bei diesen Fragen lagen die Positionen innerhalb der Parteien, der Kirchen, aber auch innerhalb der evangelischen Kirche auseinander. (So hat eine Gruppe evangelischer Theologieprofessoren in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 23. Jänner 2002 unter dem Titel "Pluralismus als Markenzeichen" eine liberalere Position vertreten als die Bischöfe der Evangelischen Kirche in Deutschland; Anm. d. Red.).

Wenn hier aus "katholischer Sicht" einige Gedanken geäußert werden, dann nicht, um neue Gräben aufzureißen, sondern um im interkonfessionellen und interreligiösen Dialog nach dem ethisch zu Rechtfertigenden zu suchen. Dieses aber ist strittig. Es zeigen sich interkonfessionelle Differenzen, die unter anderem das Bild vom Menschen und das Verhältnis von Philosophie und Theologie betreffen.

Mensch als Bild Gottes

Zum Verhältnis Philosophie - Theologie ist zu sagen, dass es bezüglich der Bestimmung des Embryonenstatus' unschlüssig ist, mit dem theologischen Argument aufzuwarten, der Embryo sei Abbild Gottes und müsse daher geschützt werden. Diese theologische Argumentation ist in einer pluralistischen Gesellschaft schlecht zu vermitteln, und die Aussage vom "Menschen als Bild Gottes" klingt in einer Zeit, die sehr stark vom Bild geprägt ist (Fernseher/Computer), eher missverständlich. Viele Menschen halten nur das für wahr, was sie als Bild sehen. Ein Embryo, der nicht aussieht wie ein Mensch, ist dann auch kein Mensch.

Angesichts dieser Situation ist zunächst ein philosophischer Zugang zu wählen. Dieser muss mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen vermittelbar sein. Für den Status des Embryos kann das Folgendes bedeuten: Zurückgreifend auf die aristotelische Philosophie-Tradition ist zunächst etwas über die grundsätzliche Verfasstheit des Seins zu sagen. Alles Wirkliche und konkret Vorfindliche wird dort als in den beiden Prinzipien von Form und Materie begründet gesehen. Alles konkret Vorkommende (lat. concrescere: zusammenwachsen) ist geformte Materie. Jedes Sandkorn ist geformt, jede Blume, jedes Tier, auch der Mensch.

Im Lebendigen heißt dieses (innere) Formprinzip "Seele". Diese Seele ist ein Prinzip, das erst zusammen mit dem anderen Prinzip der Materie zu einem konkreten Etwas wird. Im Menschen formt nach dieser Auffassung die Seele die materia prima zum konkreten menschlichen Leib (materia secunda). Ohne die Formkraft der Seele gibt es keine allein existierende Materie.

Simultan beseelt

Wenn dieses Modell Geltung hat, scheint es logisch, diese Einheit von Anbeginn menschlichen Lebens anzunehmen. Zwar war noch Thomas von Aquin der Meinung, dass die Seele (anima intellectiva) im Mann erst nach dem vierzigsten und in der Frau nach dem achtzigsten Tag nach der Empfängnis auftritt. Thomas, der Aristoteles rezipiert und zugleich kritisiert hat, war aber noch der falschen naturwissenschaftlichen Meinung, der Mensch entstehe allein durch den Samen des Mannes. Er vermochte sich nicht erklären, wie der Geist Gottes im Samen des Mannes gegenwärtig sein könne. Daher meinte er, Gott würde den Menschen später beseelen, wenn der Mensch aufgrund seiner Embryonalentwicklung dafür bereit sei. Als 1827 die weibliche Eizelle entdeckt wurde, wusste man, dass der neue Mensch durch die Verschmelzung von Samen und Eizelle entsteht. Jetzt wurde die Lehre des Thomas korrigiert, weg von der sogenannten Sukzessivbeseelung (um den vierzigsten oder achtzigsten Tag) hin zur Simultanbeseelung (gleich bei der Befruchtung). Auch diese Aussage klingt noch so, als würde hier etwas Zusätzliches in den Embryo hineinkommen, als zeuge der Mensch den Leib und Gott senke die Seele ein. Aber auch so wäre die Leib-Seele-Einheit gründlich missverstanden.

Lächerlich gemacht

Gerade die Lehre des Thomas ist immer wieder zitiert worden, um die katholische Position lächerlich zu machen oder um zu zeigen, dass selbst Thomas den Embryo noch nicht als Menschen sieht. Heutzutage muss man die philosophische Sicht von der leib-seelischen Einheit des Menschen (Form-Materie-Prinzip) unter Berücksichtigung aktueller naturwissenschaftlicher Erkenntnisse neu vermitteln. Als Pendant zur Leib-Seele-Einheit zeigt sich aus embryologischer Sicht ein kontinuierlicher Prozess der Embryonalentwicklung, bei der der Embryo sich nicht über ein pflanzlich-tierisches Stadium erst zum Menschen entwickelt, sondern von Anfang an in spezifischer Weise als Mensch. Die Embryologie zeigt ferner, dass der Embryo bereits in frühesten Stadien Signale aussendet, die einen "Dialog" zwischen Embryo und Mutter einleiten. So ist er von Anbeginn ein Beziehungswesen mit Geistcharakter und Ausrichtung auf einen letzten Seinsgrund - auf Gott.

Die plausibelste Position scheint also (philosophisch wie naturwissenschaftlich) zu sein, den Embryo als von der Kernverschmelzung an durch ein geistiges Lebensprinzip geformte und bestimmte Materie anzusehen, der als innere Ganzheit (In-dividuum: Ungeteiltes) auf Dialog angelegt ist und aus sich selbst heraus (bei entsprechender Umgebung) die Möglichkeit besitzt, ein erwachsener Mensch zu werden. Diese Möglichkeit ist aktuell-aktive Wirklichkeit (sie wirkt) und nicht nur "passive" Möglichkeit.

Nun gibt es in der evangelischen Tradition Strömungen, die einer philosophischen Argumentation zumindest skeptisch, wenn nicht ablehnend gegenüberstehen.

Und dies deshalb, weil - wenn ich recht sehe - Luther davon ausging, dass die menschliche Vernunft durch den Sündenfall grundsätzlich gestört sei und er von sich aus nichts erkennen könne. Allein durch den Glauben (sola fide), die Gnade (sola gratia) und die Heilige Schrift (sola scriptura) könne der Mensch die Wahrheit erkennen - nicht mit Hilfe seiner Vernunft.

Haben nicht manche protestantische Argumente hier ihren Hintergrund? Wenn man nicht philosophisch argumentieren will, andererseits aber in der Heiligen Schrift von Embryonen keine Rede ist, wird man über deren Status nur Vermutungen anstellen können. Man wird sagen, man wisse nicht genau, was ein menschlicher Embryo ist, solle zwar sicherheitshalber einen gewissen Schutz walten lassen (Tutiorismus), aber diesen Schutz relativieren, wenn mit der Verwendung von Embryonen hochrangige Ziele (mögliche Therapien) verfolgt werden können.

Diese philosophieskeptische Position vertritt die katholische Kirche nicht. Sie sieht Natur und Vernunft des Menschen nicht als so stark korrumpiert an und meint, dass der Mensch mit Hilfe der Vernunft und der Philosophie - etwa im Rahmen der so genannten "natürlichen Gotteserkenntnis" - Gott und die Welt (in Grenzen) erkennen könne. Sie argumentiert daher gerade in der Bioethik-Debatte oft philosophischer als manch protestantische Position.

Ein zweiter Unterschied liegt augenscheinlich in der Position, dass aus protestantischer Sicht der Sündenfall der Menschen schon geschehen sei, der Mensch in der endlichen Welt sowieso sündige (sündigen müsse) und es daher eher zu vertreten sei, sich an Embryonen zu "versündigen" als an kranken Menschen, die auf eine mögliche Therapie warten. Die Verantwortung dem Kranken gegenüber wird höher bewertet als jene gegenüber dem zu schützenden Embryo. Hier wäre die katholische Position, dass der Mensch nicht in jedem Fall sündigen müsse, sondern dass es seine Aufgabe sei, die Sünde zu vermeiden. Und die "Sünde" bestünde eben darin, menschliches Leben (Embryonen) zu töten und vollständig zu verzwecken.

Folge von "Dominus Iesus"

Ein weiterer Grund für einen Dissens zwischen evangelischer und katholischer Position könnten die Nachwirkungen der Schrift "Dominus Iesus" sein, in der der Eindruck entsteht, den Kirchen der Reformation würde das Kirchesein abgesprochen. Sie hat wohl die Gräben zwischen Protestanten und Katholiken neu aufgerissen und hält eventuell evangelische Theologen dazu an, sich bewusst von katholischen Positionen abzusetzen.

Ein vierter Grund könnte darin liegen, dass evangelische Theologen den Eindruck haben, ihre katholischen Kollegen kämen als wirkliche Gesprächspartner nicht in Frage, da sie die offizielle katholische Lehre vertreten müssten. Damit ist jeder wirkliche Dialog gestört. Es gibt unabhängig von der "offiziellen katholischen Position" gute philosophische und naturwissenschaftliche Gründe, die Forschung mit Embryonen oder embryonalen Stammzellen wegen der Totalinstrumentalisierung abzulehnen.

Wert & Würde

Wenn menschliches Leben im Sinne der Verwendung von Embryonen verzweckt wird, wird eine Schwelle überschritten, die den Menschen nicht mehr um seiner selbst willen achtet (Würde). Die Unterscheidung von Immanuel Kant, die den Sachen einen Wert beimisst, dem Menschen hingegen Würde, wird nivelliert. Der Begriff der Würde beinhaltet, dass jeder Mensch - unabhängig von Alter, Rasse oder Geschlecht - um seiner selbst willen zu achten ist und nicht vollständig für andere Zwecke gebraucht werden darf. Die Verwendung menschlicher Embryonen zur Gewinnung embryonaler Stammzellen läuft aber genau auf eine solche Totalverzweckung hinaus. Wenn dem Menschen - auch in seinen Anfangsstadien - die Würde aberkannt wird, wird er zum Gegenstand und schließlich zur Ware. Dies gilt für alle Handlungen, die die Vernichtung von Menschen in ihren frühesten Stadien zur Voraussetzung haben. Daher ist auch die Forschung mit Embryonen, embryonalen Stammzellen sowie die finanzielle Förderung dieser Forschung mit gemeinsamen EU-Geldern abzulehnen. Hinzu kommt, dass die medikamentöse Anwendung embryonaler Stammzellen mehr als fraglich ist und adulte Stammzellen vergleichbare oder sogar bessere Ergebnisse liefern. Das ethisch Richtige wird sich auf Dauer auch als das Nützliche herausstellen. Ganz zu schweigen von der Frage, ob überhaupt der rein naturwissenschaftliche Zugang zu chronischen Krankheiten erfolgversprechend ist.

Ein offener Dialog über diese anthropologischen Grundfragen könnte der Ökumene sehr dienlich sein. Österreich hat jedenfalls mit seiner Haltung in Brüssel Courage bewiesen und dadurch neue Diskussionen in Gang gebracht.

Der Autor ist Mediziner, Pharmazeut, katholischer Theologe und Dozent am Institut für Ethik und Recht in der Medizin an der Universität Wien.

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