"Da steckt ein System dahinter“

Werbung
Werbung
Werbung

In "727 Tage ohne Karamo“ porträtiert Anja Salomonowitz binationale Paare, die strafpolizeilich unter Generalverdacht stehen. Ein Film über Liebe, die den Staat zum Gegner hat.

Das Gespräch führte Magdalena Miedl

Anja Salomonowitz macht Kino mit klarer politischer Agenda: In ihrem Dokumentarfilm "Kurz davor ist es passiert“ (2006) ging es um Frauenhandel, ihr Spielfilmdebüt "Spanien“ erzählt von häuslicher Gewalt und Migration, und "Die 727 Tage ohne Karamo“ ist nun ein "Liebesfilm gegen das Gesetz“ über die Nöte binationaler Paare in Österreich.

Die Furche: Fast jeder hat im Freundeskreis Paare verschiedener Nationalitäten. Waren eigene Erfahrungen der Anlass für Ihren Film?

Anja Salomonowitz: Ich bin selber nicht direkt betroffen, aber ich bin zutiefst empört darüber, wie das Fremdenrecht in Österreich mit den Menschen umgeht. Nach "Kurz zuvor ist es passiert“ wollte ich wieder einen Film mit einem politischen Thema machen, und die Gespräche, die ich bei der Recherche geführt habe, haben die Empörung nur noch gesteigert. Ich wollte nicht nur einzelne Menschen und ihre Geschichten porträtieren, sondern die Strukturen dahinter abbilden: Durch die Erlebnisse der 21 Paare im Film wird deutlich: da steckt ein System dahinter.

Die Furche: Der Film macht wütend.

Salomonowitz: Das ist auch meine Absicht. Die Geschichten, die ich erfahren habe, sind so unmenschlich, dass ich mich frage, wie das alles passieren kann. Ich habe bei der Recherche eine Frau interviewt, eine Museumsaufseherin, die sich in einen Besucher des Museums verliebt hat, wie sie sagte, "direkt unter dem Dinosaurierskelett“. Die beiden wurden ein Paar, und sie wurde von ihm schwanger. Er war aber Asylwerber und wurde abgeschoben, als sie im achten Monat war. Darauf hat sich das Baby in ihrem Bauch umgedreht und kam per Kaiserschnitt auf die Welt. Ich habe so viele tragische Geschichten gehört. Den Menschen, denen ich begegnet bin, war wichtig, ihre Erfahrungen zu erzählen, weil sie selbst nicht verstehen, was ihnen da passiert, und warum die Auflagen immer schlimmer werden.

Die Furche: Man ertappt sich dabei, erleichtert zu sein, nicht selbst eine binationale Beziehung zu haben.

Salomonowitz: Genau das ist das Ziel einer Ideologie, die verhindern will, dass sich Menschen unterschiedlicher Herkunft begegnen und verlieben, ein struktureller Rassismus. Gerechtfertigt wird das Ganze mit der Scheineheprävention. In Wien müssen die Standesämter bei binationalen Hochzeiten automatisch Meldung an die Fremdenpolizei machen, damit die kontrollieren kann. Das Muster, wonach kontrolliert wird, ist undurchsichtig, möglicherweise auch willkürlich. Jedenfalls wird einem automatisch unterstellt, man sei eine Scheinehe eingegangen.

Die Furche: Der Film erwähnt, viele heiraten so bald, weil sie sonst nicht zusammenbleiben könnten.

Salomonowitz: Ich habe oft gehört, dass Paare relativ früh heiraten, weil sie denken, dass damit die Probleme aufhören. Das ist falsch. Es ist unglaublich schwierig, die Papiere für die Ehe aufzutreiben, aber nach der Hochzeit fangen die Probleme erst so richtig an: Der einheimische Partner muss ein bestimmtes Einkommen für beide gemeinsam aufweisen, der andere muss Deutschkurse belegen … Da ist man eingesperrt in ein System, aus dem es kein Entkommen gibt.

Die Furche: Subjektiv wirkt es, als würde der Staat diese Paare so lang piesacken, bis die Beziehung daran zerbricht.

Salomonowitz: Ja, man könnte das unterstellen. Ich habe zwar Menschen kennengelernt, die gestärkt aus diesem Wahnsinn hervorgegangen sind. Aber es ist absurd, dass etwas, das so privat sein sollte wie die Liebe, so schnell Gesetzen unterworfen wird, weil du ohne eine Heirat gar nicht zusammen bleiben kannst. Am Ende bringt es gar nicht so viel, du wirst weiterhin getriezt, weil du erst recht auf dem Radar der Fremdenpolizei erscheinst.

Die Furche: Gelb zieht sich als Leitmotiv durch alle Bilder. Warum?

Salomonowitz: Ich wollte den Alltag leicht abstrahieren, damit man leichter die Bedingungen errät, die diese Geschichten auslösen. Ich empfinde auch, dass eine Farbigkeit die Menschen in gewisser Weise schützt, ihre Privatsphäre einhüllt. Ich habe die Menschen in den Interviews als sehr stark und mutig empfunden. Ich wollte keinen deprimierenden Film zu machen, sondern einen, der diesem Eindruck entspricht.

Die Furche: Die Beamten, das Gegenüber der Paare, das die Steine in den Weg legt, kommen nicht vor.

Salomonowitz: Natürlich haben wir uns überlegt, jemanden von der Einwanderungsbehörde zu interviewen. Ich habe mich dann aber dagegen entschieden, denn wenn da eine Beamtin sitzt, wird sie zum Gesicht des Bösen. So funktioniert das aber nicht, keiner ist wirklich verantwortlich, du wirst immer weiterverbunden, wie in einer Mischung aus Kafka und Callcenter. Und ich fand es auch wichtig, dass die Menschen im Film ohne Unterbrechung ihre Sicht darlegen können. Ich finde, dass Dokumentarfilme auch polemisch sein dürfen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung