Da wie dort nicht daheim

19451960198020002020

Kader Abdolah erzählt die Geschichte einer äußeren Integration in innerer Einsamkeit.

19451960198020002020

Kader Abdolah erzählt die Geschichte einer äußeren Integration in innerer Einsamkeit.

Werbung
Werbung
Werbung

Flüchtlinge sind Thema der Politik mit oder ohne Wahlkampf, der Medien, im Zusammenhang mit Polizeigewalt oder Menschenrechten. In der Literatur spielten sie keine große Rolle. Die Emigranten der neunziger Jahre waren selten Protagonisten und schon gar nicht Autoren, die man hierzulande zur Kenntnis nahm. Wer wird schon in einer fremden Sprache so heimisch, daß er sich in ihr literarisch ausdrücken kann? Das ist nur wenigen vergönnt. Kader Abdolah ist einer von ihnen. 1954 im Iran geboren, kam er 1988 als politischer Flüchtling nach Holland und veröffentlichte bisher zwei Bände Erzählungen, eine Sammlung politischer Essays und einen Roman. Kader Abdolah ist ein Pseudonym, gebildet aus den Namen zweier ermordeter Freude. Mit "Die Reise der leeren Flaschen" ist er nun erstmals auch auf deutsch zu lesen: Bolfazl, der Held, erzählt zwar nebenbei auch seine Geschichte, läßt uns aber vor allem die vertraute Umgebung der "westlichen Zivilisation" mit seinen Augen betrachten.

Sein Blick ist sehr nüchtern. Er will offen und unvoreingenommen sein, möglichst viele Eindrücke aufnehmen und lernen, lernen, lernen. Nicht nur die holländische Sprache saugt er gierig auf, besonders interessieren ihn die Menschen, denen er begegnet, ihre Gewohnheiten, Probleme, Ansichten, die Geheimnisse der Gesellschaft, die ihn nun umgibt, da er mit seiner Familie aus dem Iran in die Niederlande geflüchtet ist, aus dem kargen, gebirgigen Hochland in eine grüne, feuchte Ebene. Aus einer Kultur mit strengem Verhaltenskodex in eine nicht nur der sexuellen Freizügigkeit, in der er sich erst zurechtfinden muß.

Vor allem: Wo sind die Grenzen der Toleranz? Seine anfängliche Orientierungslosigkeit zeigt sich auch geographisch. Beim ersten Besuch seiner strenggläubigen Mutter muß er sich ausgerechnet vom homosexuellen Nachbarn zeigen lassen, in welcher Richtung Mekka liegt. Und der zeigt ihm noch anderes, zum Beispiel, daß man auch im eigenen Land heimatlos sein kann. Der zu Beginn oft sehr komische Unterton, die köstliche Schilderung anfangs ergatterter Gelegenheitsjobs - ein unkonventioneller, scheinbar naiver Blick auf unsere Gesellschaft ist immer dazu angetan, uns zum Lachen zu bringen - geht zusehends über in Melancholie, Erinnerungen an das Zurückgelassene und Trauer um Vergangenes, Verlorenes. Entfremdung in der Familie, das Verschwinden und der Tod des nachbarlichen Freundes tun dazu das Ihre, obwohl das tägliche Leben immer einfacher zu werden scheint.

"Die Reise der leeren Flaschen" ist Roman einer Integration, die äußerlich und innerlich diametral entgegengesetzt verläuft. Je mehr sich Bolfazl an seine Umgebung anpaßt, je besser er sich zurechtfindet, desto weniger Gedanken verschwendet er an sie, desto fremder wird sie ihm auch innerlich. In seiner Phantasie entsteht aus bruchstückhaften Kindheitserinnerungen eine Gegenwelt, in die sein Gefühlsleben sich mehr und mehr verlagert. Dabei fühlt er sich eigentlich in Holland recht wohl. Aber Heimat ist eben nicht nur ein geographischer Begriff.

Die Reise der leeren Flaschen. Roman von Kader Abdolah. Übersetzung: Christiane Kuby. Alexander Fest Verlag, Berlin 1999. 179 Seiten, geb., öS 263.- / E 19,11

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung