Dagobert Duck ist schuld

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Einfache Antworten auf komplexe Fragen: Gedanken zum Populismus vor Neuwahlen.

Die Wiederkehr eines politischen Schlagworts kann jene ängstigen, die auf ein schlechtes politisches Klima noch immer sensibel reagieren – wie es eben bei Föhn Wetterfühligen nicht gut geht. Noch vor zwei Jahrzehnten hätte man der Meinung sein können, dass Populismus als propagandistische Waffe nur in geringem Maß wirksam ist. Es war bereits damals ein Irrtum. So viele Merkmale gesellschaftlichen Lebens hatten soeben die angeblich ehrende wie schmückende Vorsilbe „pop“ erhalten, was nicht nur in der Werbung als Lautmalerei für das Öffnen einer Flasche diente, sondern zugleich auch die Rückkehr der Kunst zu verschiedensten Wurzeln der Gesellschaft bezeichnen wollte. „Popart“ hieß die Phase des lustvollen Spielens mit populären Ausdrucksformen bei anspruchsvoller Ästhetik.

Zu wenig beachtet wurde der Umstand, dass die „Popart“ den Unterschied zwischen „Volk“ und Gesellschaft verwischte. So konnte durch endlose Trivialisierung schließlich eine Entpolitisierung dieser politischen Termini eintreten und zerstörte die ästhetischen Kriterien von Zivilisation und „Volkskunst“ in gleichem Maße. Sogar die Cartoons rückten wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit, obwohl Micky Maus und Donald inzwischen fast schon vergessen waren.

So kann man die Hypothese neuerlich prüfen, dass Formen von Ästhetisierungen generell auch in die Politik einziehen, um dort eine Mutation zu erfahren und, gestärkt mit mondänen Umgangssprachen, die politische Wirklichkeit zu definieren beginnen. Und die Definitionen gelingen so gut wie eben Dagobert Duck das Symbol für „Plutokraten“ war, Donald die Hilflosigkeit der Unterschicht präsentierte und obendrein alleinerziehender Onkel dreier Neffen war. Populisten bedienen sich ähnlich eindeutiger Charakterisierungen, wenn sie die gerade anstehenden Probleme benennen wollen und sich die Politik offensichtlich überfordert zeigt.

Einfache Formeln

Populismus nützt den Vorzug, komplexe Sachverhalte eindeutig bestimmen zu können. Ein historisches Beispiel kann Shakespeares Drama „Julius Caesar“ entnommen werden. Caesar hatte erfolgreich einen politischen Putsch inszeniert. Ausgerechnet der Repräsentant der „Popularenpartei“ beseitigte die Reste der Republik. Seine eigenen Parteigänger rächten sich mit der Ermordung im Senat. Und welche Rolle spielte dann Marcus Antonius? Shakespeare widmet ihm eine gefinkelte Rede, mit der es gelang, das Volk von Rom auf die Seite der Gegner zu ziehen. Die Motive der Attentäter waren zwar als ehrenwert bezeichnet worden, aber die Zuhörer sollten sich selbst ein Urteil bilden, ob diese auch gerechtfertigt waren.

Dieses Beispiel zeigt in erster Linie, dass der Populismus als Mittel geeignet ist, einen Meinungsumschwung einzuleiten. Allerdings wäre der Erfolg nicht eingetreten, hätte sich das politische System nicht in einer Krise befunden. Demagogen verdanken ihre Bedeutung dem Umstand, dass in einer „Gesellschaft“ Modernisierungsängste auftraten, Wandlungsphänomene wahrgenommen wurden, die anscheinend nicht bewältigt werden konnten. Zumeist bedrängt dieses Dilemma eine politische Kultur, einen Staat, eine Gesellschaft in dem Augenblick, wenn Veränderungen teilweise außerhalb des Kompetenzbereichs der Politik stattfinden und die Politik über keine geeigneten Instrumente der Steuerung verfügt. Dem Populismus gelingt es, diesen Sachverhalt so darzustellen, als wären die Beschleunigungen eines soziokulturellen Wandels ausschließlich das Ergebnis politischen Versagens. In der Geschichte waren die „Maschinenstürmer“ ein anschauliches Beispiel, da diese die technisch-industrielle Entwicklung nicht nur als Ursache der Verarmung qualifizierten – eine korrekte Anamnese, sondern auch meinten, mit der Zerstörung der Maschinen sei das Problem gelöst – eine völlig falsche Schlussfolgerung.

Das fortwährende Spannungsverhältnis zwischen sozialem Wandel, Kontinuität und stabilisierenden Institutionen der Gesellschaft erscheint dann irritiert, wenn sie nicht mehr in einem politischen Kräfteparallelogramm koordiniert werden können. Und der Populismus kann somit großsprecherisch behaupten, dass die Beseitigung eines dieser Faktoren die Lösung ist, also entweder die Modernisierung zu verhindern, die politische Kontinuität durch Revolutionen zu brechen oder aber die Institutionen zu zerstören – die Rechts- oder Eigentumsordnung und die politischen Vertretungskörperschaften. Populisten sind somit angeblich hervorragende „Diagnostiker“, denn sie wissen immer, wer für bestimmte Entwicklungen als „Sündenbock“ in Frage kommt. Vergleicht man die Kritik an der EU mit der Hexenverfolgung, so sind eine Menge Parallelen zu finden. Im 17. Jahrhundert, ausgerechnet am Beginn der Entwicklung der Medizin zur Wissenschaft, war ein neues Bewusstsein für Krankheit entstanden, und genau zu diesem Zeitpunkt waren in Ermangelung geeigneter Kenntnisse Menschen beschuldigt worden, Krankheiten durch „bösen Blick“, Beschwörung oder Verhexung verursachen zu können. Haltlose Verdächtigungen machten die Runde, zu oft konnten Institutionen der Gesellschaft und des politischen Systems für perverse Grausamkeiten instrumentalisiert werden, ja sie förderten sogar zuweilen die Hysterie und irrwitzigen Verurteilungen.

Die Hexen von Brüssel

Im Grunde ergeht es der EU nicht anders. Die enormen Veränderungen unserer Welt machen uns ratlos, und eigentlich sollte sich eine starke Nachfrage nach politischer Vernunft einstellen. In Wirklichkeit wittern Populisten ihre Chance und geben eine klare Antwort: Die Ursache allen Übels ist Brüssel.

Gelingt es Populisten, ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit für ihre Diagnosen zu gewinnen, so trachten sie dies in politische Erfolge zu verwandeln. Max Weber beobachtete an diesem Punkt in seiner Soziologie der Herrschaft die merkwürdige Veränderung des politischen Selbstverständnisses beim römischen Volkstribun. Zuerst war er der Anwalt der politisch Ohnmächtigen, der kleinen Leute, der Biederen und Braven in Rom, der Plebejer eben. Gestärkt durch die Zustimmung der Vielen war er die wirksamere Opposition gegenüber den „Optimaten“ und Patriziern geworden als die Opposition im Senat. Jahre später war das Tribunat zu eigennützigen Zwecken missbraucht worden, auf dem Rücken der Plebejer wurde ein Machtspiel ausgetragen und persönliche politische Aspirationen setzten sich durch. Natürlich benötigte der Volkstribun von Fall zu Fall einen enormen rhetorischen Aufwand, um die Unterstützung seiner Wähler zu behalten. Auf der einen Seite war der Volkstribun so wichtig geworden, dass man das Amt entweder aus der politischen Herrschaft nicht mehr wegdenken wollte, oder man trachtete es zu entwerten; auf der anderen Seite lehren die römischen Münzen, was de facto aus dem Amt wurde, nachdem es dem Populismus geopfert worden war: Die Imperatoren bemächtigten sich aller Formen politischer Artikulation, sie waren Konsul und oberster Priester, Volkstribun, Senator, Dux, Augustus und Caesar. Und die längste Zeit war das Volk von Rom der naiven Ansicht, dieser Potentat werde weiterhin ihre Interessen vertreten, zumindest für Brot und Spiele sorgen. Mit dieser Variante des Populismus konnte die Verwahrlosung politischer Ämter beginnen, wurden die Institutionen zerstört und das politische System entpuppte sich als autoritär.

Interessant ist an dieser Krise einer Institution, dass der Populismus zwar regelmäßig politische Kompetenz beansprucht, aber in den entscheidenden Situationen zu versagen scheint und sich seine Protagonisten umgehend als gänzlich unfähig zur Politik erweisen. Populismus hatte schließlich immer vor einem „Condottiere“ das Feld zu räumen, ebnete einem „General“, „Caesaren“ oder „Fürsten“ den Weg, wie ihn Macchiavelli sehr ironisch konstruierte.

Eine deutlich unangenehmere Variante des Populismus wird bei der Veränderung des politischen Vokabulars erkennbar. Dank moderner Medien ist die Verbreitung von Pauschalurteilen und „one-way-Lösungen“ gut möglich, und somit kann sogar der Konsens moderner Gesellschaften zerstört werden. Seit dem 19. Jahrhundert ist mit großer Mühe und gegen Weltkriege und Totalitarismen das wichtigste politische Kriterium entwickelt worden, ohne das eine Demokratie nicht existieren kann: die gesellschaftliche Solidarität.

Wir und die anderen

Es ist der Populismus, der vorgibt, den Begriff der Solidarität neu zu fassen, aber nun soll er exklusiv angewendet werden und nicht mehr „inklusiv“. Unter dem Motto: Wären wir alle Inländer, hätten wir keine Ausländerkriminalität, bevorzugt der Populismus die Vereinfachung, das Simple als schlagendes Argument. Er vermag Solidarität zur „Schicksalsgemeinschaft“ zu verballhornen, in diverse andere „Wir-Gefühle“ zu überführen und somit perfekt den demokratischen Prozess der Willensbildung zu unterlaufen, der sogar mehrheitsfähig werden kann. Er kann es so weit bringen, dass mit formalen Mitteln der Demokratie die Demokratie beseitigt wird, was auch geschah, weshalb die Menschen in weiterer Folge sogar für ihre eigene Abschaffung votierten. Und diesen Populismus in Demokratien fördern vornehmlich jene Politiker, die vergessen haben, in welcher Verantwortung sie stehen.

Der Autor ist Soziologe in Wien. Schwerpunkte: Kultur und Politik.

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