Und ob! Sie muss! - meint Brigitte Schwens-Harrant. Dieser Herbst bringt interessante Debüts und lesenswerte Literatur auch von sehr jungen Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Anlässlich der Buchwoche im Wiener Rathaus von 13. bis 18. November 2007 präsentiert die BUCH-LESE ausgewählte Lesefrüchte aus der österreichischen Literaturlandschaft. Durch die acht Seiten begleiten alte Bilder vom immer neu Faszinierenden: dem Lesen. Redaktion: Brigitte Schwens-Harrant
Längst haben Porträts und Interviews, also personenorientierte Formen der Vorstellung und Vermittlung von Literatur, der Literaturkritik den Rang abgelaufen. Das entspricht dem Trend zur Personalisierung, der Hand und Hand geht mit dem Trend der Ablehnung von Kritik, der nicht nur im Literaturbetrieb wahrzunehmen ist. Es ist ja auch einfacher, einen Autor über sein Werk sprechen zu lassen, als selbst eine mühsam zu erarbeitende und anfechtbare Position zu beziehen.
"Schlagt ihn tot, den Hund!"
Freilich, Autoren hatten wohl seit je Probleme damit, dass Kritiker über ihren Texten (beileibe nicht immer fair und mit Respekt) das Messer wetzten. Schon Goethe, der übrigens beides war, schrieb satirisch über die Feindschaft von Autor und Rezensent: "Schlagt ihn tot, den Hund! Er ist ein Rezensent." Damit blieb er aktuell: über den Literaturbetrieb, gemeint: die Literaturkritik, schimpfen gerade jene Autoren gerne, die selbst besonders lautstark mitspielen, etwa als Autoren im Feuilleton oder als Rezensenten der Bücher von Kollegen.
Je mehr sich Autoren oder Kritiker in der Öffentlichkeit inszenieren, desto mehr müssen sie damit rechnen, dass sie als Person Teil des öffentlichen Gesprächs werden - sie provozieren es geradezu. Doch Literaturkritik ist keine Zerfleischung des Autors. Eine Kritik spricht über einen Text und verfertigt keine Unterstellungen über die Person, die ihn verfasst hat. Wenn mit gutem Grund, der anzugeben ist, ein Text für misslungen erachtet wird, dann lässt das keine Ableitung auf die generelle Verfasstheit des Autors zu, nach dem Motto: dieser Autor bringt's nicht. Aber auch für den (verständlicherweise) gekränkten Autor gilt, wenn er denn reagieren will: schreib kritisch aber fair über den Text deines Kritikers. Die Einhaltung dieser Spielregeln ist leider keineswegs selbstverständlich. Ganz gegen den Trend gesprochen: Persönliche Fehden gehören an den Biertisch, nicht auf die Literaturseiten.
Wie schwierig es ist, Werke kritisch zu beurteilen, ist immer wieder zu lesen und zu hören. Es gibt kaum klar zu benennende Kriterien. Grammatikschwächen sind rasch auszumachen, aber diese Fälle sind glücklicherweise selten und werden meist dem Lektorat angelastet.
Literarische Texte sind im besten Fall sehr lebendige Gewebe, die ihre Leser in Bewegung bringen und nicht zusammenzufassen sind in einem Satz. Wenn doch, dann hat der Kritiker Grund, sehr kritisch zu sein!
Es geht also nicht um die Frage, ob eins und eins zwei macht. Literaturkritik ist keine Mathematik, aber auch keine Juristerei, selbst wenn so mancher Literaturpapst sich als Richter sieht. Das ist Selbstinszenierung, die allerdings (Stichwort Personalisierung) für die Verbreitung von Literatur Wunder wirkt. Kritik bedeutet aber nicht, der Literatur Vorschriften zu machen oder dem Autor mitzuteilen, wie man das Werk selbst besser geschrieben hätte (was ohnehin nie gelungen wäre).
Lesen von Symbolen
Man kann über die Stimmigkeit eines Werkes nur aus diesem selbst heraus urteilen - und das möglichst in einer Sprache, die dem Gegenstand, über den man schreibt, gerecht wird und die sich ihrer Verantwortlichkeit auch bewusst ist. Und die der Leser dann auch gerne liest. Eine Grundlage für all das ist, um es mit Roland Barthes zu sagen, dessen Ansprüche auch nach vierzig Jahren noch uneingelöst sind, das Lesenkönnen von Symbolen. Das ist viel. Sehr viel. Vielleicht oft zu viel.
Einer an der Symbolhaftigkeit der Literatur orientierten Schreibweise widerspricht nichts so sehr wie die prächtig blühende Schablonisierung und Superlativisierung. Rezensenten erschreiben sich damit einen Platz im Zitatenhimmel und werden auf Buchhüllen, in Verlagsprospekten und Literatursendungen genannt. Das macht sie wichtig. Eine kritische Schreibweise dagegen versucht (ich betone: versucht) eher Schablonen aufzubrechen, denn penetrant anzuwenden. Ich erinnere hier nur an Begriffe wie Wenderoman oder Fräuleinwunder. Kritik ist keine Kritik ohne die Wahrnehmung der eigenen Wahrnehmung, ohne die Wahrnehmung des eigenen Standortes, der eigenen Interessen und Bedingtheiten. Welche subjektiven Lesevorlieben prägen mein Lesen und Schreiben? Welche Trends? Welche Karriereplanung? Welche redaktionellen Zwänge? Etc.
Warum überhaupt Kritik? Damit die Werbung nicht das letzte Wort hat, am lautesten schreit sie ohnehin: mit gekauften Besprechungen, Verlagsbeilagen und Vorabdrucken. Ob Literaturkritik noch kritisch ist, hat meines Erachtens Bedeutung weit über die Literatur hinaus. Es geht darum, ob ganz konkrete Ergebnisse unseres Denkens bestellt und bezahlt sind oder das Denken, das oft eh nicht und meist nur schlecht bezahlt wird, vielleicht genau deswegen: weil das Ergebnis so ungewiss.
Der Zusammenhang mit Politik und anderen gesellschaftlichen Bereichen ist wohl unübersehbar. Es gab eine Zeit, da war Literaturkritik nicht erwünscht. Die Nationalsozialisten hatten guten Grund, die Kunstkritik durch den Kunstbericht zu ersetzen ("weniger Wertung als vielmehr Darstellung und damit Würdigung"). Das zu Kritisierende war ohnehin verbannt. Diktaturen wollen keine Kritik, denn sie ist immer subversiv.
Plural nicht der Teufel
Ich bin für Kritik und nicht bloß für Vermittlung oder Werbung, und ich bin für die Vielfalt der Kritik. Daher finde ich es wenig problematisch, wenn Literaturkritiker zu unterschiedlichen Bewertungen ein und desselben Buches kommen. Das Gegenteil erschiene mir suspekt. Zudem gehört auch im Literaturbetrieb Mut dazu, eine eigene Meinung zu äußern. Dem Pauschalurteil, die unterschiedlichsten Bewertungen durch Kritiker zeigten nur die Beliebigkeit (und damit ist wohl auch gemeint: die Sinnlosigkeit) von Literaturkritik, kann ich deswegen nichts abgewinnen. Für mich ist der Plural nicht der Teufel, sondern die Erlösung. Auf diesem Pluralismus wächst und gedeiht Ihre kritische Meinung, liebe Leserinnen und Leser. Wir Kritikerinnen und Kritiker finden uns daher zum Sängerwettstreit ein. Hören Sie selbst, wer überzeugender singt.
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