Darwins Originalität

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Peter J. Bowler schreibt in der neuen Ausgabe von "Science" über jene Ideen, die Darwin zu seiner Theorie führten. Eine davon ist die vom Kampf ums Dasein.

Einer der verstörendsten Aspekte von Darwins Theorie ist ihre Bezugnahme auf das Konzept vom Kampf ums Dasein. Diese raue Sicht der Natur gefährdete sicherlich den traditionellen Glauben an einen gütigen Schöpfergott. Der Begriff "Kampf ums Dasein" kommt in Thomas Robert Malthus' "An Essay on the Principle of Population" vor, wo er im Rahmen von Volksstämmen verwendet wird, die um begrenzte Ressourcen kämpfen. Darwin sah, dass ein Druck auf Populationen zu einem Wettkampf zwischen den Individuen führen würde, und war vielleicht der erste, der erkannte, dass dies ein Weg sein dürfte, auf dem sich eine Bevölkerung über die Zeit hinweg verändern konnte. Der Prozess funktionierte, indem die am wenigsten angepassten Varianten der Population eliminiert würden und die besser Angepassten überleben und sich fortpflanzen konnten. Der Philosoph Herbert Spencer wird dies später das "Überleben der Stärksten" nennen. Streng genommen verlangt die natürliche Selektion lediglich einen Reproduktionsunterschied zwischen Varianten; Darwin hingegen dachte, dass der Druck eines Wettkampfs notwendig war, um diesen hervorzubringen. Ohne die Idee von Malthus, so scheint es, wäre Darwin nicht auf seine Theorie gekommen.

Die Idee vom Kampf war in der Literatur der damaligen Zeit allgegenwärtig, aber konnte in ganz unterschiedlicher Weise interpretiert werden. In den 1850er Jahren hatte Spencer bereits erkannt, wie der Wettkampf zu einem ganz anderen Mechanismus des Fortschritts abgewandelt werden konnte, der in einiger Hinsicht viel weniger verstörend war. Für Spencer regte der Austausch zwischen Individuen diese dazu an, sich an die sich verändernde soziale und physische Umwelt anzupassen. Er nahm Lamarcks Konzept der "Vererbung von erlernten Charakteristika" her, um zu erklären, wie diese Selbst-Verbesserung sich über viele Generationen ansammelt, was zu biologischer Evolution und sozialem Fortschritt führen sollte. Spencers Modell des Fortschritts durch Selbst-Verbesserung wurde im späteren 19. Jahrhundert sehr populär, und weil es auch auf dem Konzept des Kampfes als Motor von Veränderung zu beruhen schien, wurde es oft mit Darwins Mechanismus verwechselt. Tatsächlich dachte Spencer, dass alle Menschen jene Fähigkeiten erlangen würden, die es bräuchte, um harmonisch zusammenzuleben.

(...) Mögliche Implikationen (von Darwins Theorie) wurden offenbar, als Galton argumentierte, dass es notwendig wäre, künstliche Selektion auf die menschliche Rasse anzuwenden, um schlecht angepasste Individuen davon abzuhalten, sich fortzupflanzen (...). Das war das Eugenik-Programm, und in seiner schlimmsten Form bei den Nazis führte es nicht nur zur Sterilisation, sondern auch zur Auslöschung jener, die vom Staat als "unfit" betrachtet wurden. Hat Darwins Betonung der natürlichen Eliminierung von schlecht angepassten Varianten dazu beigetragen, ein Meinungsklima zu schaffen, in dem solche Gräueltaten möglich wurden?

Zugestanden werden muss: Dadurch dass Darwin den Tod zu einer kreativen Kraft in der Natur machte, hat er einen neuen und zutiefst beunruhigenden Blickwinkel auf die Welt eingeführt, einen Blickwinkel, der bei vielen ein Echo auslöste, die seine Theorie nicht akzeptieren konnten und sie nicht im Detail verstanden hatten. Der Darwinismus war nicht auf leichte Weise "verantwortlich" für den Sozialdarwinismus oder die Eugenik-Bewegung.

(...) Heute dürften diese Aspekte seiner Theorie uns Unbehagen bereiten, besonders in Anbetracht der darauf folgenden politischen Anwendungen. Aber wenn wir die Macht der Wissenschaft akzeptieren, dass sie die traditionellen Grundmauern, wie wir über die Welt denken, erschüttern kann, sollten wir auch die Möglichkeit akzeptieren, dass sie mit moralischen Werten wechselwirken kann.

* Science, 9.1.09

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