Das Auge als Zauberstab

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Das Wiener Kunsthistorische Museum stellt ab dieser Woche 130 Werke des deutschen Malers Caspar David Friedrich aus.

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Das Wiener Kunsthistorische Museum stellt ab dieser Woche 130 Werke des deutschen Malers Caspar David Friedrich aus.

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Wem im Juni oder Juli dieses Jahres bei einem Wienbummel heiß werden sollte, könnte sich in eine Ausstellung des Kunsthistorischen Museums flüchten. Vom 30. Mai bis 26. Juli werden 130 Werke des deutschen Malers Caspar David Friedrich gezeigt, darunter auch das kälteste und abweisendste Bild der Kunstgeschichte überhaupt: "Das Eismeer". Friedrich hat das Bild Anfang der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts in Dresden gemalt. Als Anregung diente ihm ein Eistreiben auf der Elbe. Außerdem erschienen damals Berichte über Nordpolexpeditionen in der Presse und in Büchern. Auf seinem Gemälde ist die Eisdecke geborsten, ihre Stücke haben sich übereinandergeschoben. Das Eis ist zu einem großen Grabmal aufgetürmt, dessen Zacken und Spitzen in einen kalten bläulichen Himmel aufragen. Die an einen Felsen gedrückten Eisschollen haben ein Schiff zermalmt, dessen Rumpf noch sichtbar ist.

Als der französische Bildhauer David d'Angers das Bild sah, sagte er: "Friedrich hat eine düstere Seele. Er hat vollkommen begriffen, daß man durch Landschaft die großen Krisen der Natur darstellen kann." Man kann noch weitergehen: C. D. Friedrich spricht durch seine Landschaftsbilder symbolisch das Schicksal des Menschen aus: gescheiterte Hoffnungen, Einsamkeit, Verlassenheit. Das hat ihn, der nach seinem Tod im Jahr 1840 für ein halbes Jahrhundert in Vergessenheit geraten war, zu einem der meistgeschätzten Maler in diesem Jahrhundert gemacht.

Wer war dieser Caspar David Friedrich? Geboren wurde er 1774 in Greifswald, einer kleinen an der Ostsee gelegenen Hafenstadt, die einst Mitglied der Hanse war, aber Ende des 18. Jahrhunderts als Hafen- und Handelsstadt nur mehr geringe Bedeutung hatte. Er kam als sechstes von zehn Kindern eines Seifensieders und Lichtziehers zur Welt. Als er sieben war, starb die Mutter. Mit 13 Jahren verlor er einen Bruder, der ihm das Leben rettete, indem er ihn aus dem Wasser zog und dabei selbst ertrank. Diese Schrecken hat er nie verwunden. Er zeichnete schon früh, ging vier Jahre an die Kopenhagener Akademie, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts als die liberalste Europas galt. Außerdem war der Unterricht kostenfrei. Ab 1798 lebte er bis zu seinem Tod in Dresden.

Im wirtschaftlich florierenden Sachsen, dessen Hauptstadt J. G. Herder das "deutsche Florenz" nannte, konnte der außerordentlich fleißig malende und zeichnende C. D. Friedrich von seiner Kunst leben. Eine bedeutende Anerkennung erfuhr er, als ihm Goethe 1805 die Hälfte des Preises der "Weimarer Kunstfreunde" zuerkannte. Zu seinen Käufern zählten Bürger, aber auch Fürsten, der preußische König und der russische Hof.

Aber bald setzte Kritik ein: Seine Bilder hätten einen absurden Aufbau, zu viel Himmel, zu kleine Figuren, diese oft von hinten gemalt. Der feinfühlige Künstler malte sein eigenes Begräbnis. Viele zeitgenössische Betrachter waren verwirrt von seiner Malweise, die die Natur abzubilden schien und doch mehr bot als nur Abbild. Sie ahnten, daß hier ein Mann überkommenes Denken ins Wanken brachte, Glaubensgewißheit ebenso wie künstlerische Prinzipien.

C. D. Friedrich reagierte in seiner Kunst aber auch auf das Zeitgeschehen, die Napoleonischen Kriege. Er malte patriotische, doch keine Agitationsbilder. Im Oktober 1813 wurde Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig geschlagen. Friedrichs Bild "Der Chasseur im Walde" zeigt einen französischen Soldaten, der sich offenbar in einem deutschen Wald verirrt hat. Wie eine undurchdringliche Wand stehen die Tannen vor ihm. So einsam, so klein, so verschreckt steht dieser Mensch da, daß das Gemälde auch zu dem spricht, der den politischen Hintergrund nicht kennt.

Das ist das Geheimnis dieses Malers: Mehrdeutigkeit. Seine Bilder packen jeden; die Fülle von Interpretationen beweist aber, daß jeder sich selbst und sein individuelles Schicksal aus Friedrichs Bildern herausliest. Dieser Landschaftsmaler malte nie im Freien. In seinem leeren Atelier (kein überflüssiger Gegenstand durfte ihn stören) komponierte er Bilder, deren einzelne Bestandteile sehr wohl in der Natur zu finden sind, aber durch das Zusammenfügen etwa eines Baumes und eines Felsen, die in Wirklichkeit weit auseinander liegen, zauberte er Neues: nicht Abbilder, sondern Sinnbilder.

Als 44jähriger heiratete er überstürzt eine 19 Jahre jüngere Frau. Sein Kommentar in einem Brief: Als erstes hätten nach seiner Eheschließung seine Spucknäpfe verschwinden müssen. Auf seine Wanderungen in die Umgebung von Dresden nahm er seine Frau nur ungern mit. Reisen wollte er "ohne Weibsbilder", weil deren Anwesenheit seine Erlebnisfähigkeit minderte. Von der Italiensehnsucht seiner malenden Zeitgenossen hielt er nichts, wie er überhaupt dem Klassizismus fremd gegenüberstand: "Erinnerungen, nichts als kalte, tote Erinnerungen."

Der Romantiker Friedrich malte Menschen meist als Spaziergänger, die der Natur betrachtend gegenüberstehen. Schiffer und Fischer lassen die Natur unverändert. Wenn er Bauern malte, dann nur als winzige Figuren, während ein riesiger Hintergrund die unberührte Natur zeigt. Von niemandem sonst gibt es derart kühle Ostseebilder, Hafenansichten, Ruinengemälde, mondbeschienene Gebirge. Diesen Maler umweht eine Atmosphäre des nirgendwo Geborgenseins, Kennzeichen der Moderne. Er selbst schrieb: "Was unsere Vorfahren in kindlicher Einfalt taten, das dürfen wir bei besserer Erkenntnis nicht mehr tun. Wenn große Leute wie die Kinder in die Stube scheißen wollten, um damit ihre Unschuld oder Schuldlosigkeit beweisen zu wollen, möchte wohl nicht gut aufgenommen und geglaubt werden." Er starb in Not, nachdem ein Schlaganfall seine Hand gelähmt hatte.

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