Das böse Wort als BRANDSATZ

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Hass prägt den Diskurs - vor allem im Netz. Doch es regt sich Widerstand. Über Hasssprache, Verbalradikalismus und den Wert der Wahrhaftigkeit.

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Hass prägt den Diskurs - vor allem im Netz. Doch es regt sich Widerstand. Über Hasssprache, Verbalradikalismus und den Wert der Wahrhaftigkeit.

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Jo Cox war gerade auf dem Heimweg von einer Bürgersprechstunde in West Yorkshire, als sie auf offener Straße ermordet wurde. "Britain first!" soll der 52-jährige Attentäter gerufen haben, bevor er drei Mal auf die Labour-Politikerin schoss und sieben Mal auf sie einstach (vgl. Seite 3). Schon zuvor war die 41-jährige engagierte Frauenpolitikerin und "Brexit"-Gegnerin mit "bösartigen Nachrichten"(von einem anderen Mann) bedroht worden. Und Cox war keineswegs die einzige britische Politikerin, der dies widerfuhr: Erst eine Woche vor dem Mord hatten sich Frauen aller Fraktionen im Unterhaus zusammengeschlossen, um gegen den Hass im Internet etwas zu unternehmen. Es ging um verbale Widerlichkeiten wie jenen Tweet, den die britische Labour-Politikerin Stella McCreasy einmal erhalten hatte: "Morgen Abend um neun Uhr vergewaltige ich dich. Treffen wir uns bei dir in der Nähe????"

Journalistinnen gegen Hass im Netz

Dass Frauen von verbaler Gewalt drei Mal häufiger betroffen sind als Männer, hat 2015 eine britische Studie gezeigt. Am häufigsten trifft sie aber (öffentlich) sichtbare Frauen - auch in Österreich. Bereits im Februar hat das Magazin Wienerin mit einem Video, in dem Journalistinnen an sie gerichtete Hasspostings rezitierten, auf das Thema aufmerksam gemacht. Und vergangene Woche beschrieben die renommierten Journalistinnen Corinna Milborn, Ingrid Thurnher, Barbara Kaufmann und Barbara Herbst in der Wochenzeitung Falter ihre Erfahrungen mit sexistischen Beschimpfungen, Vergewaltigungsdrohungen und Mord.

Das Echo war enorm: Auf der Kampagnenplattform aufstehn.at haben über 12.000 Menschen eine Solidaritätserklärung unterzeichnet. Zudem hat sich Montag dieser Woche ein nationales Komitee zur Umsetzung der Europarats-Initiative "No-Hate-Speech" gegründet. Das dazugehörige Handbuch "Bookmarks" richtet sich speziell an Jugendliche und Pädagogen und beschreibt u. a. 21 Aktivitäten, um Hass-Sprache zu bekämpfen (Gratis-Download unter www.politik-lernen.at). Aber auch die Regierung zeigt sich neuerdings initiativ: Sabine Oberhauser (SPÖ), ab 1. Juli auch Frauenministerin, möchte eine eigene Meldestelle gegen Frauenhass im Internet einrichten; und Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) will dafür sorgen, dass Unternehmen wie Facebook nach einer Anzeige wegen Verhetzung oder Drohung binnen 24 Stunden reagieren müssen. Auch die strafrechtlichen Möglichkeiten sollen ausgelotet werden: Derzeit ist etwa der österreichische Beleidigungsparagraf 115 so formuliert, dass man einer Frau online eine Massenvergewaltigung wünschen darf - und der Staatsanwalt dies als "emotional und situationsbedingte Unmutsäußerung" ad acta legen darf, wie der Philosoph Gerald Krieghofer in der Presse kritisierte.

Die Sensibilität dafür, dass verbale Verletzungen stärker als bisher geahndet werden müssen, ist also da. Doch provozieren toxische Wörter und Sätze - neben allen psychischen Verwundungen - auch physische Gewalt? Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) geht jedenfalls davon aus: "Gewalt der Worte kann sich sehr rasch zu Gewalt der Taten entwickeln", sagte er vergangene Woche im Rahmen der "Aktuellen Stunde" des Nationalrats über die Flüchtlingsfrage - und wandte sich dann direkt an FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache: "Die Geister, die Sie rufen, werden auch Sie nicht rasch los." Es waren auch persönliche Gründe, die Kern dazu trieben: Erst kurz zuvor hatten ihm User auf Straches Facebook-Seite mit einer "9mm" bzw. einer "schnellen Kugel" gedroht.

"Das Wort ist der Schatten der Tat", hat bereits Demokrit gewusst. Und auch der Wiener Sprachphilosoph Paul Sailer-Wlasits betont seit Jahren - wie auch in seiner neuen Streitschrift "Minimale Moral" - den Zusammenhang zwischen Sprache und Tathandlung, auch wenn dieser nicht geradewegs verlaufe. Grundsätzlich unterscheidet er zwei Formen abwertenden Sprechens: die direkte Hasssprache, bei der durch Bedrohung, Verängstigung und Kränkung bewusst verletzt oder gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten gehetzt wird; und die übergeordnete Form des Verbalradikalismus. Darunter versteht er jene Form des Sprechens, die "dazu verleitet, dass Wortmissbrauch entsteht" und Wortbedeutungen umgewertet werden. Bestes Beispiel dafür: die "Willkommenskultur".

Insbesondere rechtspopulistische Parteien hätten auch den "Verbalradikalismus des sanften Wortes" perfektioniert, erklärt der Sprachphilosoph im FURCHE-Gespräch: Dabei werden positive Begriffe verwendet, um in Wirklichkeit Menschen auszuschließen. Jörg Haider hat dies etwa bei der Rede von den "Fleißigen und Tüchtigen" praktiziert; heute geschehe es bei der Rede von der "Verteidigung des Christlichen Abendlandes" durch die Pegida-Bewegung, beim Satz "Heimatliebe ist kein Verbrechen!" der rechtsextremen Identitären oder auch bei der Ankündigung eines "Patriotischen Frühlings", wie ihn HC Strache und Marine LePen vom rechtsextremen Front National unlängst in Vösendorf zelebrierten.

Das alles heißt natürlich nicht, dass tatsächliche Probleme im Kontext von Flucht und Migration nicht angesprochen werden dürften, so Sailer-Wlasits: "Aber es ist ein Unterschied, ob die Debatte differenziert geführt wird - oder Ängste durch Feindbildrhetorik verstärkt werden." Die "Rhetorik" insgesamt als Kunst des Sprechens, Überzeugens und Überredens sei in der Politik oft gefährlich, glaubt er: Nicht umsonst hätte schon Kant gemeint, dass politische Rhetorik nichts anderes sei als eine "Lüge in potentia".

Wahrhaftiges Reden

Wie also (politisch) sprechen? Sailer-Wlasits wünscht sich ein "energiegeladenes und differenziertes Sprechen, das nicht zu Rhetorik und Metaphorik Zuflucht nimmt, sondern deeskaliert und auf Aspekte der Hoffnung setzt". Der zentrale Wert sei aber "Wahrhaftigkeit": Durch Betrug und Täuschung in der Politik komme es nämlich zu Ent-Täuschungen, die anfällig machen für die "verschmutzte Sprache" des Populismus, an deren Ende Radikalisierung und Hass stehen - oder "beredtes Schweigen", wo man eigentlich aufschreien müsste. Im Zentrum eines solchen Zustands "politischer Entropie", bei der die Gesellschaft kurz vor dem völligen politischen Stillstand stehe, sieht er die "Minimale Moral".

Dass prominente Journalistinnen nun aufgeschrien haben gegen den Hass im Netz, lässt folglich hoffen. Das sieht auch Ingrid Brodnig so: In ihrem Buch "Hass im Netz" beschreibt sie etwa, warum "Silencing" so gefährlich ist -und was durch "Politisches Framing", also das "Rahmen" bzw. Prägen des politischen Diskurses durch bestimmte Wörter oder Formulierungen, möglich wird. Integration "verweigern" oder an ihr "scheitern" sind eben verschiedene Dinge. "Worte haben eine beeindruckende Macht über unser Denken," schreibt Brodnig. "Genau aus diesem Grund ist es so wichtig, herabwürdigende Worte nicht einfach unwidersprochen wirken und in die Denkweise vieler Menschen einsickern zu lassen."

Hass im Netz

Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können.

Von Ingrid Brodnig. Brandstätter 2016.230 Seiten, kart., € 17,90

Minimale Moral

Streitschrift zu Politik, Gesellschaft und Sprache.

Von Paul Sailer-Wlasits. new academic press 2016.67 Seiten, kart., € 9,90

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