Das Ei zu weich, die Suppe dünn

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Österreichische Erstaufführung am Wiener Volkstheater: "Der Weltverbesserer" von Thomas Bernhard.

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Österreichische Erstaufführung am Wiener Volkstheater: "Der Weltverbesserer" von Thomas Bernhard.

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Das Ei weich, die Suppe süß" - mit diesen Wünschen des alten Mannes im Lehnstuhl, um dessen Monologe sich die dünne Handlung rankt, beginnt Thomas Bernhards Drama "Der Weltverbesserer", das nun am Wiener Volkstheater seine österreichische Erstaufführung erlebte. Das später servierte Ei empfindet der Titelheld als viel zu weich, die Suppe der Aufführung erschien manchem Bernhard-Erprobten, der mehr gallige Bitterkeit erwartet hätte, ein bißchen dünn: Man fühlte sich manchmal eher im Kabarett als in einer Theatervorstellung, die dem Publikum das Werk eines gefürchteten und gehässigen Zeitkritikers serviert. Und mehr als die eineinhalb Stunden Aufführungszeit - es wird ohne Pause gespielt - könnte die relativ ruhige und brave Inszenierung das Publikum auch kaum begeistern.

Thomas Bernhard (1931-1989) sah in der Übertreibung das Geheimnis des großen Kunstwerkes, sein ganzes Werk zeugt von seinen Bemühungen, sich diesem Geheimnis zu nähern. Hier stellt - oder besser: setzt - er einen Privatgelehrten auf die Bühne, dem ein Traktat zur Verbesserung der Welt, der schon in 38 Sprachen übersetzt wurde, Weltruhm eingetragen hat. Dabei sonnt sich dieser alte Misanthrop, der "vom Kopf bis zu den Füßen" leidet, wenig sieht und hört und sich gelähmt gibt, in dem Bewußtsein, daß die Quintessenz seines Werkes gar nicht verstanden wurde: Die Welt kann nur verbessert werden, indem man sie abschafft.

In den langen Tiraden dieses selbstgefälligen Weltverbesserers, in denen ständig die Schweiz und die Stadt Trier typisch Bernhardschen Attacken ausgesetzt sind, wird die ganze Leere und Verbitterung dieses Weltverbesserers spürbar, sein Mißtrauen gegenüber aller Welt, aber auch seine tiefe Angst vor Vereinsamung. Echt dramatisch geht es in diesem Stück selten zu, am ehesten wenn er seine Haushälterin und Lebensgefährtin, die 20 Jahre gehofft hat, von ihm geheiratet zu werden, schikaniert, zugleich aber davor zittert, von ihr verlassen zu werden. Als Höhepunkt des Abends treten einige honorige Herren auf, um dem angeblich an seinen Lehnstuhl gefesselten Hypochonder ein Ehrendoktorat zu verleihen - Bernhards rechnet nicht nur mit Weltverbesserern, sondern auch mit dem Wissenschaftsbetrieb ab.

Bernhard hat das Stück, dessen Uraufführung vor 20 Jahren Claus Peymann in Bochum inszenierte, dem großen Bernhard Minetti auf den Leib geschrieben. Am Volkstheater verleiht ein äußerlich kaum erkennbarer, sprachlich und mimisch sehr präziser Wolfgang Hübsch dem Weltverbesserer die nötigen unsympathischen, aber auch menschlichen Züge. Vielleicht ist ihm mitunter der Genuß an der eigenen Wirkung zu sehr anzumerken, aber bis zu einem gewissen Grad paßt das zur Rolle.

Jedenfalls dominiert eindeutig Hübsch den Abend, obwohl Vera Borek als Frau an seiner Seite in ihrem Schweigen manchmal sehr beredt wirkt. Aber da sie trotz einzelner Momente, in denen sie sich bewußt zu sein scheint, wie abhängig er im Grunde von ihr ist, ihren Haustyrannen sehr devot behandelt, kommt kaum echte Spannung in dieser Beziehung auf. Noch mehr bleiben die Besucher - Werner Prinz (Rektor), Roger Murbach (Dekan), Rolf Schwab (Professor), Alfred Snizek (Bürgermeister) - angesichts des Weltverbesserers Statisten.

Regisseur Michael Gruner ist durch eine Mätzchen vermeidende Inszenierung kein Risiko eingegangen, Ausstatter Peter Schulz lieferte mit einem eher schmalen Fenster und dunkelroten Wänden das passende Ambiente. Das Publikum konnte viel lachen und am Ende des sehenswerten Abends mit Recht viel klatschen.

Trotzdem: Bernhard wirkt ein wenig abgenutzt. Ist man - auch weil das Aufführungsverbot unterlaufen wurde - mit seinen Texten übersättigt? Oder hat sich ihm die Wirklichkeit womöglich schon so sehr angenähert, daß seine Übertreibungskunst fast nicht mehr den Eindruck von Übertreibung macht?

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