Das Eisenkorsett der Tradition

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Die Inderin Manju Kapur zieht den Leser auf spannende Weise in den Bann eine fremden Welt.

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Die Inderin Manju Kapur zieht den Leser auf spannende Weise in den Bann eine fremden Welt.

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Es war schon hier für Frauen nie leicht, selbstbestimmt zu leben; wie ungleich schwieriger es in Indien war und ist, führt uns Manju Kapur in ihrem Roman "Schwierige Töchter" vor Augen. Die frühen vierziger Jahre bilden den historischen Hintergrund der Familiengeschichte, die im Punjab spielt. Im Vordergrund steht das Schicksal dreier Generationen von Frauen, Kasturi, Virmati und Ida, Großmutter, Mutter und Tochter, deren Leben, so verschieden es den Zeitumständen entsprechend war, doch sehr ähnliche Abläufe und Verhaltensmuster aufweist.

"Ich hatte immer vermeiden wollen, so zu werden wie meine Mutter. Jetzt war sie tot ..." denkt Ida, während die Verwandten die Aschenreste einsammeln: Die Verbrennung der Mutter und die Gefühle der Tochter vor dem Scheiterhaufen bilden einen auch atmosphärisch ungemein starken Einstieg. Die Identitäten der Töchter, die mit ihren Müttern nie gut ausgekommen sind, werden in der kunstvoll konzipierten Ich-Erzählung teilweise miteinander verflochten. Ida begibt sich, von Schuldgefühlen überwältigt, auf Spurensuche. Diese Reise in die Vergangenheit und das Aufsuchen der Orte, wo ihre Mutter gelebt hat, bilden den Rahmen.

Als ältestes von elf Kindern einer ewig kränkelnden Mutter war Virmatis Kindheit von Arbeit und Verantwortung für ihre Geschwister geprägt, aber auch von zähem Ringen um Bildung. Ihre eigentlichen Probleme begannen mit der Weigerung, den von der Familie ausgewählten Bräutigam zu heiraten. Die Schande, die sie damit über ihre Familie brachte, würde die Heiratschancen der übrigen Kinder beeinträchtigen.

Was für eine fremde Welt, in die man hier eintaucht. Die traditionellen Strukturen legen sich wie ein Eisenkorsett um die Menschen. Die Großfamilie, in der man auf engstem Raum zusammenlebt, in der das Familienoberhaupt alles bestimmt, bringt zwar Vorteile, läßt dem Einzelnen aber wenig Spielraum. Selbst in dieser Familie, in der schon die Großmutter 1904 in Sultanpur fünf Jahre Schulbildung genießen durfte, war die Rolle der Frau festgelegt auf Heirat, Kinderkriegen und Hausarbeit. Dabei hat der Onkel selbst die Mädchenschule gegründet, damit seine Nichte, die in der Missionsschule zu einem Christusbild gebetet hatte, diesem Einfluß nicht mehr ausgesetzt sei - als Alternative zur Kinderehe, mit der die Mutter deswegen drohte.

Kein Wunder, daß zumindest zwei der Frauen als unwirsch, unzugänglich und frustriert dargestellt werden und die Mutter-Tochter-Beziehungen im Roman von Lieblosigkeit, Unverständnis und Härte gekennzeichnet sind: "Kasturi ertrug die Dummheit ihrer Tochter nicht länger. Sie packte sie bei den Haaren und schlug ihren Kopf gegen die Mauer." Die Autorin, die in Delhi Englisch unterrichtet und bisher Lyrik und ein Theaterstück schrieb, versteht es, ihre Leser in den Bann zu ziehen. Sie vermittelt ein sehr differenziertes Bild vom Leben ihrer Mutter vor dem Hintergrund der politischen Veränderungen, die sie auf eine sehr persönliche Art in die Geschichte einfließen läßt.

Schwierige Töchter. Roman von Manju Kapur. Deuticke Verlag, Wien 1999. 352 Seiten, geb., öS 321,- E 23,32

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