Das Ende der Verständigung

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Ich habe einen Ausflug nach Birmingham gemacht. In der zweitgrößten Stadt Englands sind alle Religionen zu Hause, alle christlichen Konfessionen, alle Herkünfte, Ethnien und Hautfarben. Im Zentrum drängen sich Restaurants mit den Küchen aus allen Weltgegenden. Kriegszerstörungen und die Abrisslust der 1960er Jahre haben nur wenige alte Backsteinbauten übrig gelassen und an ihre Stelle ein Gewirr glanzvoller Hochhäuser wachsen lassen. Auf den ersten Blick: ein gelungenes Modell multikulturellen und multireligiösen Zusammenlebens.

Auf den zweiten Blick regt sich Nostalgie. Nicht nach den verschwundenen alten Häusern aus der Zeit des Black Country, als die kohlegefeuerte Industrie das Land mit Ruß überzog. Die Nostalgie greift nur einige Jahrzehnte zurück, als die britischen Kolonien selbstständig wurden und die ehemaligen Untertanen der Queen ihr Glück in Old England suchten. Damals war Integration trotz aller Probleme noch ein politisches Ziel.

Solange alle Bürger, woher sie auch kamen, in denselben Schulen und Universitäten lernten, in denselben Ambulanzen und Krankenhäuser behandelt wurden, bot der Staat die selbstverständliche und alltägliche Gelegenheit der Verständigung. Seit aber Privatisierung zum politischen Credo geworden ist, zerfällt die Gesellschaft zusehends. Initiativen der Integration leiden nicht nur an Geldmangel, sondern an Desinteresse; ehedem blühende Institutionen für interreligiöse Kontakte sperren zu. Die Religionsgemeinschaften ziehen sich zurück, bevorzugen eigene Schulen und Universitäten; das öffentliche Gesundheitswesen ist in einem desolaten Zustand, wer sich's leisten kann, sucht private Heilung. Jeder Bürger ist "in die Selbständigkeit entlassen" und muss sehen, wo er bleibt. Birmingham ist wieder ein Modell - nämlich für das Ende der Verständigung.

Der Autor ist freier Journalist.

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