Das Ende des amerikanischen Traums

Werbung
Werbung
Werbung

Ratgeber für den intelligenten Homosexuellen zu Kapitalismus und Sozialismus mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“: an dieser monumentalen Doktorarbeit schreibt Pill, eine der Hauptfiguren in Tony Kushners gleichnamigem Stück, seit über dreißig Jahren. Mit dem sozialistischen Idealismus eines George Bernard Shaw (der langatmige Titel des Stücks ist von einem Buchtitel Shaws inspiriert) ist Kushners Bestandsaufnahme der amerikanischen Gesellschaft aber nicht zu verwechseln. Vielmehr stellt er darin die Frage, wofür es sich noch zu glauben lohnt, wenn politische und wirtschaftliche Krisen den inneren Zusammenhalt bedrohen.

Die Uraufführung 2011 in New York wurde von der internationalen Presse begeistert aufgenommen und das Stück als eine hochintelligente Parabel auf Amerika gelesen. Die österreichische Erstaufführung hat nun das Wiener Volkstheater übernommen. Kushner, dessen Drehbuch zu Steven Spielbergs "Lincoln“ kommenden Sonntag große Chancen auf einen Oscar hat, versteht es meisterlich, anhand persönlicher Lebensgeschichten das Zeitgefühl einer ganzen Epoche einzufangen.

Der ehemalige Hafenarbeiter und kommunistische Ex-Gewerkschafter Gus Marcantonio (Erich Schleyer) lädt seine drei Kinder zur Familienkonferenz nach Brooklyn. Nach einem erfolglosen Selbstmordversuch und der Diagnose Alzheimer möchte er über seinen Wunsch freiwillig aus dem Leben zu scheiden abstimmen lassen. Der Nachwuchs ist erwartungsgemäß entsetzt über die Pläne des Vaters, findet aber auch im eigenen Leben nicht mehr genug Halt, um ihm zur Seite zu stehen.

Offenes Familienkonzept

Die Anwältin und Spezialistin für Arbeitsrecht Empty (Claudia Sabitzer) muss den Seitensprung der Ehefrau mit ihrem jüngsten Bruder Vito (Roman Schmelzer) verkraften, kann sich selbst aber nur schwer von ihrem Ex-Mann lösen. Der älteste Sohn Pill (Hans Piesberger) erkauft sich Zuneigung lieber bei einem Strichjungen, als dass er sie mit seinem Mann teilen würde, und Vito bemüht sich immer noch vergebens,, m den Erwartungen seines Vaters gerecht zu werden. Es ist ein offenes Familienkonzept, dessen Liebe und Wertvorstellungen nicht an traditionelle Grenzen gebunden sind, das hier zum Ausgangspunkt einer Lehrstunde amerikanischer und europäischer (Politik-)Geschichte des 20. Jahrhunderts wird.

Einen weniger offenen Spielraum bietet da der Bühnenraum des Volkstheaters, der fast zur Gänze vom riesigen Brownstone-Haus in Sperrholzoptik verstellt ist. Doch genauso sperrig wie die Holzkonstruktion gibt sich die gesamte Inszenierung des Schweizer Regisseurs Elias Perrig. Es fehlt an kraftvollen Akzenten, in diesem drehbaren Puppenhaus bleibt den Schauspielern kein Raum zur Entfaltung, um den komplexen Figurenzeichnungen Kushners tatsächlich Leben einzuhauchen.

Weitere Termine

25., 27. Februar, 1., 10., 15., 19., 21., 23., 24. März

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung