Das Erfolgsrezept der Ayatollahs

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Die Ideologie des iranischen Regimes allein mit dem politischen Islam gleichzusetzen, greift viel zu wenig weit. Erst ihre Mischung mit einer linken Entwicklungsideologie erklärt den Siegeszug der Mullahs.

Der Iran war nicht die erste "islamische" Republik, aber die erste, die nach einer, von breiten Bevölkerungsschichten getragenen Revolution ins Leben gerufen wurde. Die iranische Linke, vor allem marxistische und maoistische Gruppen, trugen maßgeblich zum Erfolg der Revolution bei. Letztendlich waren es aber die Islamisten unter Khomeinis Führung, die den Sieg davontrugen und den Iran im Sinne einer islamistischen Ideologie umgestalteten.

Diese Ideologie wird wahlweise als politischer Islam, Islamismus oder Islamischer Fundamentalismus bezeichnet und in letzter Zeit gar mit dem Faschismus in Verbindung gebracht. Das ist insoweit problematisch, als es die volle Bandbreite der Ideologie ignoriert und daher die politischen Veränderungen, die zurzeit in Teheran stattfinden, nicht in den richtigen Kontext setzt. Zwei wichtige ideologische Stränge kennzeichnen diese Ideologie: Drittwelt-Ideologie und politischer Islam.

Drittwelt-Ideologie

Die Drittwelt-Ideologie umfasst mehr als nur den Antikolonialismus, Antiimperialismus und Antizionismus. Politischer Ausdruck dieser Ideologie ist die Blockfreienbewegung. Er ist gleichzeitig eine Modernisierungs- und Entwicklungsideologie, die letztendlich nach technischer und politischer Gleichwertigkeit mit der entwickelten Welt strebt. Etwas, das die islamistischen Revolutionäre sofort akzeptierten.

Vorbild für Irans Schiiten: Vietcong

Sie profitierten dabei von der intellektuellen Vorarbeit wichtiger Denker wie Jalal Al-e Ahmad oder Ali Shariati, die eine Abkehr vom Westen und eine Rückbesinnung auf den Islam als Grundvoraussetzung für eine unabhängige und entwickelte iranische Nation betrachteten. Ähnlich wie Shariati - aber im scharfen Gegensatz zu ihm - re-interpretierten jüngere Kleriker schiitische Heiligenlegenden und mischten den traditionellen schiitischen Islam mit einer revolutionären politischen Botschaft. Das Resultat war eine Islamisierung des antiimperialistischen Diskurses der Linken, wodurch den Islamisten ein argumentatives Werkzeug in die Hand gegeben wurde, das es ihnen ermöglichte, die Marxisten in der öffentlichen Debatte auszuhebeln - brutale Gewalt tat ein Übriges. Ein aus europäischer Sicht groteskes Beispiel für diese Adaptierung findet sich in den Memoiren eines aserbaidschanischen Klerikers, der den frommen Bauern gepredigt haben soll, dass beten allein nicht genüge, um ein wahrer Muslim zu werden, man müsse eben auch gegen die Amerikaner kämpfen - wie der Vietcong.

Die antikolonialistische Drittwelt-Logik beeinflusst auch maßgeblich die Politik des Regimes gegenüber Israel, das ganz im Jargon der antiimperialistischen Linken der 70er Jahre als "imperialistischer Vorposten" im Nahen Osten gesehen wird. Daneben spielen natürlich muslimische Solidarität und strategische Überlegungen eine Rolle. Die politische Elite Irans schwankt dann zwischen unvereinbaren Positionen: von einer möglichen Akzeptanz Israels (unter Khatami, sobald die Palästinenser einen Friedensvertrag mit Israel haben) bis zu strikter Ablehnung, die im Extremfall bis zur Holocaust-Leugnung reicht (Ahmadinedschad). Das Resultat ist eine relativ konsistente Politik zur Unterstützung der Hamas, die ihrerseits den Kampf gegen Israel in antiimperialistische Termini kleidet.

Die iranische Motivation, ein eigenes Nuklearprogramm zu entwickeln, ist ebenfalls von Drittwelt-Gedanken und Antiimperialismus beseelt. Dem Iran würde es dank eines aus eigenen Mitteln erstellten Atomprogramms gelingen, sich unter die entwickelten Nationen einzureihen. Der Westen, so Revolutionsführer Khamenei in einer Rede vor zwei Jahren, wolle jedoch den Fortschritt der Dritten Welt verhindern und für sich behalten. Der Iran, als Vorkämpfer des Rechts der entrechteten Dritten Welt, werde jedoch standhaft bleiben. Diese Argumentation findet die Zustimmung weiter Kreise der iranischen Bevölkerung und darüber hinaus bei vielen in der Dritten Welt. Die strategischen Implikationen liegen auf der Hand. Als nukleares Schwellenland würde der Iran die strategische Balance in der Region eindeutig zu seinen Gunsten verschieben.

Eine faire Welt gefährdet Regime

Da sich, wie Dürrenmatt in seinen "Physikern" schon wusste, technischer Fortschritt nicht aufhalten lässt, hat die internationale Gemeinschaft unter Führung der EU bereits mehrere Vorschläge unterbreitet, den Atomstreit mit dem Iran auf eine Art zu regeln, die sowohl seine legitimen Aspirationen nach moderner Technologie als auch die internationalen (und keineswegs nur westlichen) Bedenken über mögliche militärische Implikationen des Programms einbezieht. Dass die Iraner nun auf die letzten Verhandlungsangebote gar nicht reagieren, hat rein ideologische Gründe: Wenn nämlich die internationale Gemeinschaft und mit ihr der Westen den Iran fair und gleichberechtigt behandelt, dann ist das gleichbedeutend damit, dass die Drittwelt-Ideologie veraltet ist. Wenn das jedoch zugegeben wird, würden alle weiteren ideologischen Bastionen des Regimes - und somit seine Legitimität - verloren gehen.

Politischer Islam

Der politische Islam ist die zweite und eigentliche Säule der Ideologie. Er trat erstmals während der Verfassungsrevolution 1905/06 in Erscheinung und ist somit gleich alt wie der iranische Parlamentarismus. Nach dem Scheitern radikaler Gruppen, die in den 1940er und 1950er Jahren aktiv waren, verhielten sich die verschiedenen islamistischen Gruppen ruhig und widmeten sich dem Aufbau ihrer illegalen oder halblegalen organisatorischen Infrastruktur.

Sie alle reihten sich hinter Ayatollah Khomeini ein, der in ideologischer und politischer Hinsicht ihr kleinster gemeinsamer Nenner war. Vertreter aller dieser Strömungen inklusive der liberalen Islamisten, die recht schnell entmachtet wurden, hatten nach der Revolution wichtige Ämter inne. Allerdings wurde Khomeini nicht von allen radikalen Islamisten akzeptiert. Die links-islamistischen Volksmudschaheddin, die Hojjatiyeh Organisation und verschiedene sunnitische Gruppen blieben auf Distanz zu Khomeini und wurden entweder militärisch besiegt und vertrieben, wie die Volksmudschaheddin, oder stellten ihre Aktivitäten freiwillig ein und integrierten sich langsam in die Strukturen des Regimes. Die sunnitischen Islamisten spielten kaum eine Rolle, da sie sich gegen ihre ethnisch-nationalistische Konkurrenz (Kurden, Balutschen, Araber, Türkmenen) nicht durchsetzen konnten. Erst in den letzten Jahren haben sunnitische Extremisten in Baluchistan lose Kontakte zu Gruppen wie den Taliban aufgebaut. Die meisten dieser Gruppen, wie die bewaffneten linken und ethno-nationalistischen Parteien, vor allem die der Kurden, wurden während des Iran-Irakkrieges zunächst verboten und dann brutal bekämpft.

Religiöse Massenmobilisierung

Weit wichtiger aber war, dass es während des Krieges zu einer islamistischen Massenmobilisierung der religiösen männlichen Jugend kam. Im Westen wurde der religiös-patriotische Aspekt dieser von Khomeini angeordneten Mobilisierung (basij) meist übersehen. Dabei handelte es sich eben nicht nur um eine Mobilisierung im militärischen Sinne, sondern auch und gerade um eine religiös-ideologische Bewegung, die vor allem die Jugend der Unterschicht, viele davon vom Land, erfasste. Die oft minderjährigen Kriegsfreiwilligen amalgamierten ihre traditionellen religiösen Vorstellungen mit der antiimperialistischen Staatsideologie und dem Kriegserlebnis. Weniger militärischer Professionalismus, sondern Gottvertrauen und Selbstaufopferung für den nun als "imam" titulierten Khomeini waren dabei wichtig.

Die "basijis" zählen sich zu den treuesten Anhängern des Regimes und sehen sich auch nach ihrer Demobilisierung verpflichtet, die Islamische Ordnung des Landes, für die sie gekämpft und gelitten haben, zu verteidigen. Die Forderung, Ehrengräber für die Kriegsgefallenen in liberalen Vierteln Teherans einzurichten, wie sie von Präsident Ahmadinedschad geäußert wurde, ist vor diesem Hintergrund zu verstehen. Nach dem Krieg wurden die "basijis" demobilisiert, die Organisationsform jedoch als paramilitärischer Freiwilligenverband unter staatlicher Führung weitergeführt. Die meisten basiji-Veteranen wurden in den Staatsdienst, vor allem den Sicherheitsapparat übernommen, wo sie wichtige Positionen einnahmen. Andere gründeten geheime Gruppen, die sich schworen, den "Liberalismus" Rafsanjanis und Khatamis zu bekämpfen. Heute stellen sie den Präsidenten und eine bedeutende Anzahl an Abgeordneten im Parlament. Sie gelten auch als energische Vertreter einer möglichst rigorosen Interpretation der Doktrin von der "Herrschaft der Rechtsgelehrten".

Herrschaft der Rechtsgelehrten

Die Doktrin von der "Herrschaft der Rechtsgelehrten" ist ohne Zweifel das Kernstück der iranischen islamistischen Ideologie. Alle politischen Gruppen und politisch aktiven Personen müssen die Herrschaft der Rechtsgelehrten anerkennen. Sozialisten und Marxisten, bürgerliche Liberale und nicht-islamische Nationalisten, die das nicht akzeptieren, sind von vornherein von jeglicher Ausübung der staatlichen Macht ausgeschlossen.

Diese Doktrin macht den "herrschenden Rechtsgelehrten" zur mächtigsten Person im Staat. Es ist daher legitim, vom Iran als einem Theologenstaat zu sprechen, da alle Schlüsselstellungen von Klerikern besetzt werden. Allerdings existieren daneben sowohl ein aktives Parlament als auch eine unabhängig agierende Regierung. Das Teheraner politische System ist also ein Hybridsystem, das demokratisch-republikanische Elemente in einen autoritären "Überbau" einpasst.

Die Antwort auf die Frage, wie dieser Widerspruch zwischen autoritären und demokratischen Elementen aufzulösen sei, ist das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zwischen den Reformisten und den radikalen Fundamentalisten. Zurzeit scheinen alle reformistischen Flügel auf dem Rückzug zu sein, während innerhalb der Fundamentalisten verschiedene Gruppen um die Vorherrschaft ringen und sich uneins sind, ob sie Präsident Ahmadinedschad ein weiteres Mal unterstützen sollen.

Meilenstein Präsidentenwahl 2009

Die Präsidentenwahlen im Juni sind in diesem Zusammenhang als Meilenstein zu werten. Wenn sich diese Tendenz fortsetzt, würde das bedeuten, dass den Reformisten ein ähnliches Schicksal blühen könnte wie den muslimischen Liberalen während der Revolution. In diesem Fall würde der öffentliche politische Raum ausschließlich von verschiedenen Gruppen der fundamentalistischen Rechten bestimmt und die autoritären Machtstrukturen um den Revolutionsführer herum weiter gestärkt.

Das Resultat wäre eine autoritäre Normalisierung. Der Iran würde dann mehr und mehr den anderen autoritären Regimes der Region ähnlich sehen. Sollte es den Reformisten jedoch gelingen, sich auf einen Kandidaten zu einigen, dessen revolutionäre Vergangenheit über allen Zweifel erhaben ist, der also als Ideologe respektiert ist (und nicht als Ent-Ideologisierer wie Ex-Präsident Khatami gilt), dann dürften die Reformisten doch noch eine Chance auf das Präsidentenamt haben.

Wer aber auch immer der nächste iranische Präsident wird, die revolutionäre Ideologie spielt eine Rolle. Der herrschende Rechtsgelehrte und Revolutionsführer Khamenei kann sich also gelassen auf weitere 30 Jahre islamische Revolution freuen.

Der Autor ist Iranist und Turkologe und arbeitet am European Institute for Security Studies in Paris

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