Das Erzählen: eine Lust

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Michel Houellebecqs größter Fehler ist, dass er nur erzählt.

Sexismus, salonfähig" titelt Lydia Matzka in der neuesten Ausgabe des Südwind. Matzkas Leitartikel in der entwicklungspolitischen Monatsschrift stellt eine Abrechung mit Michel Houellebecqs "Hasstiraden" dar. Dem französischen Autor wird in seinem Bestseller "Plattform" jedwede böse Absicht unterstellt, jedenfalls, so die Conclusio, die Sexisten und die Rassisten können mit Houellebecq fröhliche Urständ feiern. "Und kaum jemand schreit auf", so Matzka im Südwind.

Auch auf die Gefahr hin, mir es mit den entwicklungspolitisch Bewegten oder Kämpfern und Kämpferinnen für eine bessere Welt zu verderben, melde ich Widerspruch an: Im Gegensatz zu manch schrillem Protest ist "Plattform" alles andere als ein sexistisches oder rassistisches Machwerk. Es stimmt schon, dass die allseits (auch nebenstehend) abgedruckten Zitate über die sexuelle Ausgebranntheit des Westens und das platte Unverständnis des Islam in "Plattform" nachzulesen sind. Dass diese Zitate aber im Kontext einer Geschichte stehen, sollte klar sein. Über diesen Kontext war in der medialen Auseinandersetzung nur wenig zu lesen. (Zugegeben: Auch der Autor ließ - wahrscheinlich auch aus Promotion-Gründen - bei Interviews und Lesungen die Zitate und Aussagen zweideutig herumschwirren; das mag man kritisieren, aufs Buch sollte man dabei aber nicht verweisen.)

Der Kontext von "Plattform" ist eine französische Liebesgeschichte zwischen dem Ich-Erzähler, Kultursubventionsverteiler in einem Ministerium, und der Touristik-Managerin Valérie. Zwei unterschiedliche Charaktere aus einer liebesunfähigen und lustlosen Welt finden einander und versuchen, das sich auf 300 Seiten entwickelnde Glück in etwas Dauerhaftes zu wandeln. Doch - ganz traditionell literarisches Strickmuster - dieses Glück ist nicht zu bändigen, und die unvermutete Liebe mitten in der liebeslosen Gesellschaft und Zeit zerbricht jäh und lässt im Wortsinn Trümmer zurück.

Die Folie, auf der die Geschichte aufgeklebt erscheint, ist das Milieu des Tourismus im Allgemeinen und dessen sexabenteuerlicher Variante im Besonderen. Auch die islamverneinenden Passagen stehen in diesem Kontext und sind nur eine Variante des Beschriebenen: Liebes- und lustunfähig präsentiert sich diese frankophone Postmoderne, und sie erweist sich konsequent auch als dialogunfähig - kulturell wie religiös.

Dennoch ist "Plattform" ein brilliant geschriebenes, mitreißendes Buch. Wie man angesichts des Endes der Geschichte meinen kann, hier würde das Hohelied des Sextourismus gesungen, bleibt schleierhaft.

Vielleicht ist es Houellebecqs größter Fehler, dass er nur erzählt - in einer prallen, sinnlichen, lustheischenden Sprache mit prallen, sinnlichen, lustheischenden Bildern. Er erzählt. Dazu gehört auch vieles, was normalerweise ungesagt und ungedacht bleibt, und er überlässt die Schlüsse dem p.t. Publikum. Im Grunde wird Houellebecq das - und sonst nichts - schwer angekreidet. Aber man muss dankbar sein, für diesen schonungslos konsequenten Zugang zum Erzählen, das nicht den moralischen Zeigefinger gleich mitliefert, es dem Leser aber keineswegs erspart, sich seiner eigenen Position zu vergewissern.

Dass das Erzählen eine Lust - und ein Wert für sich - ist, teilt Houellebecqs "Plattform" auch mit so mancher Erzähl-Orgie des US-Autors John Irving. Kurz nachdem vor zwei Jahren die Verfilmung von "Gottes Werk und Teufels Beitrag" angelaufen war (Irving hatte aus seinem Roman selbst das Filmdrehbuch gemacht - und dafür einen Oscar bekommen), war ich in einer katholischen Kirche in den USA: Am Ende des Gottesdienstes warnte der Priester eindringlich vor dem Besuch dieses Films, denn der Film propagiere die Abtreibung.

In Wirklichkeit hatte der fromme Mann nicht verstanden, dass "Gottes Werk und Teufels Beitrag" bloß erzählte: unter anderem die Geschichte eines Waisenhauses in den vierziger Jahren, dessen Arzt an verzweifelten Mädchen, die keinen Ausweg wissen, Abtreibungen vornimmt. Auch John Irving - im Buch wie im Film - schöpfte aus dem vollen Leben, das oft ein hartes Leben ist, und in dem die moralischen Gewichte nicht immer so verteilt sind, wie es in den Lehrbüchern der Rechtschaffenheit verzeichnet steht.

Der Trugschluss hinter solcher Episode ist die falsche Annahme, dass das, was einander zu erzählen ist, eine "Moral" schon mit einschließt. Die Fantasie hat sich mit diesen Fesseln noch nie abgefunden. Daher braucht gerade eine Zeit, in der täglich per Talkshows und andere Fernseh-Ereignisse Banalität pur und bar jeder moralischen Kategorie ins Haus geliefert wird, große Erzähler, die via Fantasie einen Spiegel anbieten. Michel Houellebecq und sein Roman "Plattform" gehören in diese Kategorie.

Die Moral kann getrost den Leserinnen und Lesern überantwortet werden. Sie wird nicht verloren gehen.

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