"Das fördert die Entfremdung"

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Abduljalil Sajid, führender britischer Muslim, über Islamophobie, einseitige Medien und Ghettoisierung.

Die Furche: Herr Sajid, Sie beobachten weltweit islamophobe Entwicklungen. Wie beurteilen Sie die Situation nach dem Karikaturenstreit?

Abduljalil Sajid: Die Muslime stehen schon seit dem 11. September unter Beobachtung, was sich nun noch weiter verstärkt hat - auch durch die Anschläge von Madrid und London. Es gibt tausende islamophobe Vorfälle, wo Muslime ermordet, angegriffen oder auch "nur" entlassen worden sind. Andererseits haben die zuständigen Autoritäten diese Ereignisse auch ernst genommen und arbeiten mit den Muslimen verstärkt zusammen, um sie in die Gesellschaft zu integrieren. Dazu braucht es auch die richtige Erziehung der Jugendlichen, um Radikalisierung zu vermeiden, aber auch ein Training der Imame, damit wir eine Gesellschaft werden, die auf Fairness, Gerechtigkeit und Gesetzmäßigkeit beruht.

Die Furche: Diese Bemühungen werden nicht selten durch Bilder gewalttätiger Muslime konterkariert - etwa auch im Zuge des Karikaturenstreits ...

Sajid: Wir verurteilen die gewalttätigen Ausschreitungen in Teilen der muslimischen Welt. Das war kontraproduktiv. Die Mehrheit der Demonstrationen war aber friedlich und nicht gewalttätig, wie manche Medienbilder suggeriert haben. Wir bitten die Medien deshalb auch, verantwortungsvoll zu berichten. Wir bitten aber auch die Polizei, gegen jene vorzugehen, die beleidigende Transparente mit sich tragen. Freiheit hat bestimmte Grenzen.

Die Furche: Offenbar auch die Religionsfreiheit, zumindest in Afghanistan, wo Abdul Rahman die Todesstrafe drohte, weil er vom Islam zum Christentum übergetreten ist ...

Sajid: Der Koran sagt, dass die Menschen frei sind, jegliche Religion - oder auch keine Religion - zu wählen. Das Problem ist, dass man sich in Afghanistan auf ein traditionelles Gesetz berufen hat, das nicht im Koran steht. Es ist eine große Aufgabe für islamische Gelehrte, geeignete Wege zu finden, wie das islamische Recht zeitgemäß interpretiert werden kann.

Die Furche: Geeignete Wege werden auch in der Integration gesucht - oft erfolglos, wie die Situation türkischer Muslime in Deutschland zeigt ...

Sajid: Wir dürfen Ghettoisierungen und Parallelgesellschaften nicht akzeptieren. Muslime - ob in Berlin oder London - sollten ihre Bürgerrechte nutzen und einen positiven Beitrag leisten, damit die Gesellschaft ihre Präsenz wertschätzt. Andererseits müssen auch die lokalen Autoritäten und die Regierungen Rahmenbedingungen schaffen, damit Integration überhaupt möglich wird. Die Sprache spielt hier eine wichtige Rolle. Als ich etwa kürzlich nach Mannheim gekommen bin, wo die Regierung eine Moschee mit Millionen Euro mitfinanziert hat, habe ich den Imam aus der Türkei gefragt: Wie kommt es, dass du nicht deutsch kannst? Er hat gesagt: Wir müssen nur mit Türkisch sprechenden Verantwortlichen verhandeln - wozu brauchen wir Deutsch? Daraufhin habe ich den Immigrationsverantwortlichen der Regierung gefragt: Wie könnt ihr das tolerieren? Ihr spendet Geld, aber denkt keine Sekunde an die Zukunft! Diese Leute werden nach wie vor wie Gastarbeiter behandelt, obwohl sie schon in der vierten, fünften Generation hier leben. Und das fördert die Entfremdung.

Amena Shakir, deutsche (und nun in Wien lebende) Politologin und

Islamwissenschafterin, über den Fall Rahman und die

Berliner Rütli-Schule.

Die Furche: Frau Shakir, Sie beschäftigen sich mit dem Verhältnis des Islam zur Demokratie. Was fällt Ihnen zum Fall Abdul Rahman ein?

Amena Shakir: Das ist kein religiöses Problem, denn im Islam gibt es absolute Glaubensfreiheit. Sondern das sind einfach machtpolitische Spiele, die zwischen den westlichen und afghanischen Gruppen in Afghanistan gespielt werden. Dass ein Abfall vom Islam mit dem Tod bestraft werden soll, kann ich nirgendwo im Islam finden. Außerdem haben sich die muslimischen Vertreter in aller Welt auch für Rahmans Freilassung eingesetzt.

Die Furche: Werden auch gegen Zwangsheirat und Genitalverstümmelung ausreichend Signale seitens der muslimischen Communitys ausgesendet?

Shakir: Alle europäischen islamischen Organisationen haben sich eindeutig gegen Zwangsheirat und Genitalverstümmelung ausgesprochen. Hier sind die islamischen Positionen und Wortmeldungen der islamischen Organisationen eindeutig. Es gibt auch Kurse, wo darauf hingewiesen wird. Ich denke aber nicht, dass das Kernprobleme sind, die in großer Anzahl bestehen - wobei das Thema Zwangsheirat auch politische Dimensionen hat. Durch die verschärften Einwanderungsgesetze sehen manche die Heirat als einzige Möglichkeit, nach Europa zu kommen, was natürlich verrückt ist. Aber dieses Phänomen gibt es nicht nur in islamischen, sondern auch in christlichen Gebieten wie Griechenland.

Die Furche: Im multikulturellen Berlin gibt es derzeit große Probleme an der Rütli-Schule, an der 80 Prozent Jugendliche mit Migrationshintergrund lernen und es regelmäßig zu Gewalt kommt. Was ist schief gelaufen?

Shakir: Vieles! Schon vor fünf Jahren hat die muslimische Jugend in Deutschland versucht, dort ein Projekt zu initiieren, doch es ist verhindert worden, weil man befürchtet hat, dass Mission betrieben würde - was überhaupt nicht stimmt. Jedenfalls wächst in Deutschland und anderen Staaten der soziale Sprengstoff an den Schulen, weil viele Kinder die Landessprache nicht beherrschen. Der Staat müsste aber dafür sorgen, dass diese Kinder schon vom Kindergarten an die deutsche Sprache lernen, damit sie eine Perspektive bekommen. Österreich, wo der Islam staatlich anerkannt ist und es an den Schulen islamischen Religionsunterricht gibt, ist deshalb für mich ein Modell für viele europäische Länder. Andererseits fordert die CSU in Bayern gerade jetzt, dass Kinder, die nicht ausreichend Deutsch können, gar nicht erst eingeschult werden dürfen. Das ist unglaublich!

Die Furche: Tatsache ist, dass gerade Kinder der dritten Generation sich - trotz perfekter Sprachkenntnisse - oft zwischen den Stühlen fühlen ...

Shakir: Ich kann das nur bestätigen, wobei die Lösung eindeutig in der rechtlichen Anerkennung des Islam liegt. Wenn es Religionslehrer gibt, wenn die Moscheen nicht nur im Gewerbegebiet liegen, wie das in Deutschland meist der Fall ist, wenn ich spüre, dass ich anerkannt werde, dann kann ich mich auch eher als Staatsbürger identifizieren. Es gibt junge Frauen, die perfekt Deutsch sprechen und bestens qualifiziert sind, aber nicht arbeiten dürfen, weil sie ein Kopftuch tragen. Natürlich kommt es dann zu Extremisierung - bis zu dem Punkt, wo Jugendliche sagen: Warum soll ich mich ausbilden, ich habe sowieso keine Chance. Und das ist natürlich fatal.

Die Gespräche führte Doris Helmberger.

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