Das Fräulein Faust

19451960198020002020

Achtung, weibliche Fäuste! Wie Goethes berühmteste Figur neu gedeutet wurde und wird.

19451960198020002020

Achtung, weibliche Fäuste! Wie Goethes berühmteste Figur neu gedeutet wurde und wird.

Werbung
Werbung
Werbung

Habe nun, ach! Philosophie, Juristerei und Medizin, und leider auch Theologie durchaus studiert, mit heißem Bemühn. Da steh' ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor; heiße Magister, heiße Doktor gar, und ziehe schon an die zehen Jahr, herauf, herab und quer und krumm, meine Schüler an der Nase herum - und sehe, daß wir nichts wissen können! Das will mir schier das Herz verbrennen. Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen, Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen; mich plagen keine Skrupel noch Zweifel, fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel, dafür ist mich auch alle Freud' entrissen, bilde mir nicht ein, was rechts zu wissen, bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren, die Menschen zu bessern und zu bekehren. Ach hab' ich weder Gut noch Geld, noch Ehr' und Herrlichkeit der Welt; es möchte kein Hund so länger leben!"

Der berühmteste Dramenbeginn in deutscher Sprache, Goethes "Faust". Im 19. Jahrhundert las man in Deutschland diese Zeilen als Beschreibung des deutschen Mannes schlechthin. Faustische Züge, das hieß enormer Wissensdrang, Streben, Ausgreifen, auch Herrschenwollen. 1871 triumphierte Preußen militärisch über Frankreich; im selben Jahr entstand unter Bismarcks Führung ein deutsches Reich, Deutschland erlebte einen technischen und industriellen Aufschwung, die sogenannten Gründerjahre. Und "Faust" avancierte zur kultischen Identifikationsfigur des Wilhelminischen Imperialismus, zum Leitbild einer Nation, zur Inkarnation deutschen Wesens und deutschen Sendungsbewußtseins. Gesellschaftlich gesehen, entwickelte sich im Bürgertum die Überzeugung, daß Männer und Frauen in ihrem Wesen grundsätzlich verschieden sind: Der Mann ist aktiv, geht in die Welt hinaus, nützt seinen Intellekt. Die Frau tritt in zahlreichen literarischen Schilderungen und auch in Anstandsbüchern nur passiv in Erscheinung; ihre eigentliche Bestimmung liegt in der Häuslichkeit und in der Mutterschaft.

Diese Polarisierung zwischen männlichem und weiblichem Rollenbild, die es in dieser Ausprägung vor dem bürgerlichen Zeitalter nicht gegeben hatte, ließ eine Vorstellung als wilde Provokation erscheinen: den weiblichen Faust. Undenkbar, daß eine Frau faustische Züge haben könnte. Diese Provokation leisteten sich aber viele männliche und weibliche Autoren im 19. Jahrhundert. Die junge deutsche Germanistin Sabine Doering ist den "Faustinen" in ihrer Habilitationsschrift nachgegangen: "Die Schwestern des Dr. Faust: Eine Geschichte der weiblichen Faustgestalten" (Regensburg, 1998).

Männliche Projektion Männliche Autoren benutzten weibliche "Fäuste" dazu, weibliches außerhäusliches Streben lächerlich zu machen. Frauen nahmen das Thema ernst. Noch heute lesbar ist der Roman "Gräfin Faustine", von einer richtigen Gräfin mit dem komischen Namen Ida Hahn-Hahn geschrieben. (Sie heiratete einen Cousin gleichen Namens, daher die Verdoppelung.) 1841 erschienen, erlebte das Buch zahlreiche Auflagen. Die Romanheldin lebt ihre Anlagen ohne Rücksicht auf andere Menschen aus: faustisch. Auch Frauen können um ihrer Selbsterfüllung willen gnadenlos sein, das macht die Autorin deutlich. Kommt diese Erkenntnis heute nicht bekannt vor?

Ein einziger männlicher Autor, bekannt geworden durch Skandale, zerrte das Thema "weiblicher Faust" nicht ins Lächerliche: Frank Wedekind. 1912 wurde an den Münchener Kammerspielen sein Stück "Franziska. Ein modernes Mysterium" uraufgeführt, bald darauf auch in Wien. Die Heldin dieses modernen Faust-Dramas ist ein junges Mädchen, das sich mit einem Künstleragenten zusammentut, um Karriere zu machen. Der Agent, ein moderner Mephisto, ist sich seiner Sache gewiß: das Mädchen wird ihm verfallen. Weit gefehlt, sie hängt ihn nach gemachter Karriere einfach ab. Wedekind entlarvt die Sicherheit des Mannes, daß die Frau ihm hörig werden müsse, als männliche Projektion.

Um Projektion und falsche Rollenbilder geht es auch in der jüngsten Fassung einer weiblichen Faust-Figur. 1983 erschien der Roman "Amanda" der DDR-Autorin Irmtraud Morgner. Wieder steht ein junges Mädchen im Mittelpunkt, das sich bei der Lektüre von Goethes "Faust" mit dieser Figur identifiziert. Sie möchte werden wie er, immer strebend, forschend, rücksichtslos. In der Praxis funktioniert das aber nicht. Die Frage, wie sich für eine Frau Beruf, Familienleben, Sexualität und faustisches Streben vereinen lassen, sind mit Goethe nicht zu lösen. Irmtraud Morgner kommt immer mehr dazu, das Vorbild Faust in Frage zu stellen. Ihr Fazit: Es ist nicht sinnvoll, wenn Frauen dem einseitig auf seine Karriere fixierten Mann nacheifern. Frauen sollen kämpfen, beweisen, daß sie etwas können, doch das einseitige Männlichkeitsvorbild kann für Frauen kein Ideal sein. Wir brauchen andere Rollenbilder, die männliche und weibliche Seiten verbinden. Man sieht: Faust ist nicht der verstaubte Gegenstand germanistischer Forschungen. Das Thema brennt, noch immer.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung