Das Geheimnis des Stephansdoms

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Der Wiener Stephansdom ist älter als bisher angenommen. Aufgrund einmaliger Funde muss die Geschichte des Gotteshauses umgeschrieben werden.

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Der Wiener Stephansdom ist älter als bisher angenommen. Aufgrund einmaliger Funde muss die Geschichte des Gotteshauses umgeschrieben werden.

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Historiker, Archäologen, Bauforscher, Anthropologen und andere Wissenschaftler haben seit kurzem ein neues Rätsel aus dem sogenannten finsteren Mittelalter vor sich: Seit März dieses Jahres sorgt eine Baustelle innerhalb des Stephansdoms für Aufregung. Im Zuge der längst fälligen Sanierung der Domheizung mussten unterirdisch Rohre für ein modernes Warmluftsystem verlegt werden. Die banale Notwendigkeit, ein Heizsystem aus den späten sechziger Jahren, das nur unzulänglich Warmluft für die ganze Kirche aus einem Gaskessel in der Dombauhütte bezog, durch eine kleine Öffnung hinter dem St. Peter und Paul-Altar einblies und damit die gesamte Nordseite verrußte, durch eine moderne Variante zu ersetzen, brachte nun aufsehenserregende Bodenfunde zu Tage, die die Geschichte des Domes mit Sicherheit neu schreiben.

"Wir brauchen mehrere kleine Heizstationen im Boden, außerdem müssen die Elektroinstallationen radikal erneuert werden", wollte Dombaumeister Wolfgang Zehetner den im Winter fröstelnden Gläubigen mehr Komfort verschaffen und gleichzeitig wissenschaftliche Erkenntnisse durch die Grabung gewinnen. "Diese Chance hat man nur einmal, da kann jeder Knochen Aufschluss zur Vergangenheit des Domes geben. Museumsbetrieb wollen wir natürlich keinen. Wenn die Bauarbeiten abgeschlossen sind, wird das alles wieder zugeschüttet", wird nach Stufenplan in abgeschrankten Teilen geforscht, während der reguläre Messbetrieb weiterläuft.

Seit März wird in der Nähe des Aufgangs zur Pummerin hinter einem Verschlag unter der Leitung von Johann Offenberger, einem Grabungstechniker der Abteilung für Bodendenkmäler im Bundesdenkmalamt, eifrig gegraben. Angelika Geischläger, Krystof Nodzynski, Aindrzei Jachimiak und Fritz Hottwanger sind rund um die Uhr beschäftigt, sich fachkundig Schicht für Schicht in die Tiefen der Geschichte vorzuarbeiten. In drei Metern Tiefe ist man auf unversehrten Boden vorgedrungen. Von den sichtbaren Steinplatten über den barocken Fußbodenbelag zum gotischen Estrich, bis hin zu den Einbauten der Gräber aus romanischer Zeit legt die Grabung einen vertikalen Geschichtsstreifen in die bisher unbekannten, ältesten Bauphasen des Doms frei.

"Das ist keine Forschungsgrabung, das ist eine Rettungsgrabung. Der Boden hier ist voll. Wo man hineingräbt, ist was drinnen": Offenberger gräbt prinzipiell nur, wenn er muss. "Für die kommenden Forschergenerationen soll auch noch was unter der Erde bleiben. Sonst hinterlässt man denen ja nur noch eine Wüste." Trotzdem ist Offenberger nicht zum ersten Mal im Steffl. Schon bei den Heidentürmen und am Riesentor wurde er fündig. "Damals haben wir Reste der beiden romanischen Basiliken gefunden, die die Grundrisskonzeption des Westteiles des Domes vorwegnehmen", erklärt er. Von vier Bauphasen, die eindeutig Sakralbauten zuzuweisen sind, konnte man bisher sprechen.

Uraltes Fundament Was man Anfang Mai drei Meter unter dem Fußbodenniveau des Doms freilegen konnte, stellt alle früheren Funde in den Schatten: Über 120 Skelette sowie zwei steinerne Gräber schlummerten hier, aus archäologischer Sicht vom Boden optimal konserviert und geschützt. "Wir haben ein sieben Meter langes Mauerstück freigelegt, das man einem Kirchenbau zuordnen könnte, sowie zwei steinerne Gräber, in denen mit Sicherheit prominente Persönlichkeiten bestattet waren", beschreibt Offenberger die Sensationsfunde.

"Der Bautyp einer Kirche ist anders als der eines Wagenhauses, außerdem wurden früher Friedhöfe in Wien rund um Kirchen mit Pfarrrecht angelegt", ist er sicher, dass es sich bei der neuentdeckten, uralten Mauer um das Fundament eines Sakralbaus handeln muss. Die ältesten Wurzeln stammen aus der Vorromanik: Ein Skelett aus dem 8. Jahrhundert, das man beim Riesentor gefunden hatte, exakt mittels Radiokarbonmethode datiert, sowie Keramikfragmente aus dem Bereich der aktuellen Grabung vom 9. und 10. Jahrhundert, beweisen es. "Nach dem bisherigen Wissenstand können wir von sechs Bauphasen sprechen, vier davon sind Sakralbauten zuzuordnen. Die Geschichte des Doms ist also um einiges komplizierter als bisher angenommen", lautet Offenbergers vorläufiges Resümee.

Das erste der beiden Gräber war bereits zerstört, das zweite allem Anschein nach Intakt. Die Hebung der Grabplatte zeigte allerdings, dass sich das Skelett im Inneren nicht mehr in der ursprünglichen Bestattungslage befand. Grabräuber aus späteren Zeiten sind eine durchaus wahrscheinliche Annahme, die sich durch das Fehlen von Grabbeigaben verstärkt. Was die Identität des prominenten Skeletts betrifft, könnte es sich um einen Karolinger, einen Passauer oder ungarischen Adeligen handeln. "Das sind aber Fragen, die ein Archäologe nicht mehr beantworten kann", möchte sich Offenberger auf Spekulationen nicht einlassen. "Kunsthistoriker und Historiker werden nun aufgrund der konkreten Anhaltspunkte ihre Schlüsse ziehen müssen."

Älter als angenommen "Bisher hat man ja die Gründung des Doms nach der ersten urkundlichen Erwähnung mit dem Jahr 1137 festgelegt, das ist offensichtlich falsch", stellt Dombaumeister Wolfgang Zehetner trocken fest. "Die Wurzeln des Doms sind jedenfalls viel älter als bisher angenommen. Wenn die Kirche vorromanische Ursprünge hat, dann sind die Ausmaße, die diese Erkenntnis nach sich ziehen wird, schwer zu ahnen." Von Geweberesten, Schuhen, Totenkronen aus der Barockzeit, Überresten von Holzsärgen bis hin zum Skelett aus dem romanischen Grab gibt es nun genug Forschungsobjekte für Wissenschaften aller Art: Dendrochronologen werden anhand der Holzjahresringe die Särge datieren, Anthropologen die Volkszugehörigkeit der Skelette, die teilweise erstaunlich groß sind, erforschen, Textilreste werden analysiert und organische Substanzen mittels Radiokarbon exakt datiert. "Bisher war man davon ausgegangen, dass sich nach dem Niedergang des römischen Reiches nicht viel abgespielt hat.

Dieses Grab liegt nun in der Achsrichtung des Stephansdoms. Es könnte also durchaus schon eine Stephanusgedenkstätte hier gelegen sein. Ob das jetzt ein Außenposten der Magyaren war, als sich das Volk zur Jahrtausendwende zum Christentum bekannte oder ein anderer Fürst, wir wissen es noch nicht. Jedenfalls hat er viel investiert, um hier begraben zu sein, und wir sind alle sehr gespannt", harrt Dombaumeister Zehetner der Erkenntnisse, die da noch kommen werden.

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