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Das Amstelkring-Museum in Amsterdam:eine einmalige Mischung aus Bürgerhaus und Untergrundkirche und ein Beispiel für holländischen Pragmatismus.

Die enge Wendeltreppe, über die Henk Verhoef zu seiner Orgel hinaufsteigt, ächzt und stöhnt unter jedem Schritt. 350 Jahre lang haben Kirchgänger und Museumsbesucher mit ihrem Schuhwerk die Bohlen des altehrwürdigen Amsterdamer Bürgerhauses bereits blank gewetzt. Der Organist setzt sich an das zierlich wirkende Instrument und stimmt sakrale Musik des 18. Jahrhunderts an. Die Orgel der letzten "Hauskirche" Amsterdams gibt keine allzu kraftvollen Klänge von sich. Ihr Klangbild scheint vielmehr genau auf die Ära zugeschnitten, als Wohlverhalten das Gebot der Stunde für Katholiken war und weit über die Grachten erschallende Orgeltöne das Stillhalteabkommen mit den Behörden in Frage gestellt hätten.

Katholizismus verboten

An wenigen Orten Amsterdams wird die Ära, in der die Grachtenstadt zur Welthandelsmacht aufstieg, so unmittelbar erfahrbar wie im Amstelkring-Museum. Von außen wirkt das Gebäude am Oudezijds Voorburgwal unspektakulär. Eingezwängt zwischen Restaurants und Geschäften hart am Rotlichtbezirk deutet nichts darauf hin, dass sich hinter seinen hohen weißen Fenstern ein Kleinod Amsterdams verbirgt - eine auf engstem Raum konzentrierte, faszinierende Mischung aus Sozialkundemuseum, Bürgerhaus und Kirche.

Unauffälligkeit war erste Bürgerpflicht, als der Strumpfkaufmann Jan Hartman im Jahr 1661 den Auftrag zum Bau eines Bürgerhauses erteilte. Denn Hartman war Katholik, und die Amsterdamer Katholiken waren seit der Machtübernahme der Calvinisten, die die Stadt 1578 vom spanischen Joch befreit hatten, zu einer diskriminierten Religionsgemeinschaft geworden. Ihnen war es nicht gestattet, ihren Glauben öffentlich auszuüben, und ihre Kirchen wurden beschlagnahmt.

Doch die Amsterdamer wären ihrem Ruf als Pragmatiker nicht gerecht geworden, hätte sich nicht doch ein geschäftsfördernder "modus vivendi" gefunden. Die Behörden drückten ein Auge zu, als sich immer mehr Katholiken in Privathäusern einfanden, um ihre Gottesdienste zu feiern. Praktisch unter der Nase der Obrigkeit ließen dann wohlhabende katholische Bürgersleute in ihren Häusern komplett ausgestattete Untergrundkirchen einrichten, die Hunderten Menschen Platz boten. Um den Lauf der Geschäfte weiter nicht zu stören, drückten die Behörden diesmal sogar beide Augen fest zu. Hauptsache, die Fassade blieb gewahrt. So war es wichtig, dass die Kirchgänger nicht durch den Haupteingang an der Gracht zur Messfeier kamen, sondern diskret durch einen Seiteneingang am Heintje Hoekssteeg.

Dass unter dem Dach katholische Gottesdienste zelebriert wurden, war in Amsterdam ein offenes Geheimnis. Doch es sollte noch besser kommen. "Nachdem der ursprüngliche Besitzer verkauft hatte, standen das Gebäude und somit auch die Hauskirche die meiste Zeit über im Eigentum von Protestanten. Die störte es wiederum überhaupt nicht, an Katholiken zu vermieten. Es ging ausgesprochen pragmatisch zu", schmunzelt der für Öffentlichkeitsarbeit im Museum zuständige Thijs Boers.

Die Führung durch das beinahe labyrinthisch angelegte Gebäude aus Stiegen, Halbstöcken und Zimmern beginnt als Reise durch die Ära, als die Niederlande den Welthandel dominierten. Schiffe der "Vereinigten Ostindischen Compagnie" durchkämmten die tropischen Meere auf der Suche nach kostbaren Gewürzen, schlossen lukrative Handelsverträge ab und sicherten ihren Einfluss durch militärisches Muskelspiel und die Gründung von Kolonien ab. Geprägt war die Epoche von etwa 1600 bis 1800 vom Aufstieg des Bürgertums und besonders der Kaufmannschaft. Hartman ging es natürlich auch um Repräsentation. Befanden sich im Erdgeschoß ein Laden und ein Büro, bildete der "Sael" im ersten Stock den wichtigsten Raum. Der weitestgehend im Originalzustand erhalten gebliebene Empfangssalon gilt als ein perfektes Beispiel für den flämisch-klassizistischen Stil. Hier empfingen die Hausherren ihre Geschäftspartner, verhandelten über Lieferungen, Geldangelegenheiten und stellten auch ihren Reichtum zur Schau. Vor allem die Symmetrie des spärlich eingerichteten Raumes sticht ins Auge. Sogar eine in die Wand führende "blinde" Tür wurde angelegt, um den harmonischen Gesamteindruck zu wahren.

Einzigartiges Ensemble

Mit seinem Ensemble steht das Amstelkring-Museum in den Niederlanden ziemlich einzigartig dar. "Sehr wenig hat sich hier verändert, seit das Gebäude errichtet wurde. 80 bis 90 Prozent unserer Bestände stammen aus dem 17. bis 18. Jahrhundert. Das gibt es kein zweites Mal", erklärt der Kunsthistoriker Boers bei einem Rundgang durch die unteren Stockwerke. Möbel und Gemälde in den Stilzimmern sind entweder original oder passend dazu erworben worden. Neben dem "Sael" beeindrucken vor allem eine kleine Gemäldegalerie und die aus dem 17. Jahrhundert stammende Küche.

Prunkstück des Amstelkring-Museums ist jedoch das Gotteshaus "Unser Herrgott unterm Dache", das sich über drei Etagen erstreckt, über zwei Galerien verfügt und insgesamt 200 Menschen Platz bietet. Man ist verblüfft darüber, was in einem schmalen Grachtenhaus alles untergebracht werden konnte. Im Laufe der Jahre wurden zwar Räumlichkeiten von zwei Nebengebäuden in die Kirche integriert, jedoch hatte der Platzmangel auch manch unkonventionelle Lösung zur Folge. Beispielsweise wurde die Kanzel unter der linken Altarsäule eingefügt. Der Beichtstuhl bietet - ungewöhnlich für Kirchen, aber nicht unangenehm für Beichtende - eine Aussicht auf die gegenüberliegenden Häuser.

Der Altar mit seinen hohen Marmorsäulen und einem Bild des renommierten Malers Jacob de Wit verströmt einen Hauch von barockem Prunk, ebenso die in den angrenzenden Räumen ausgestellten liturgischen Gegenstände, darunter wertvolle Monstranzen aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Das geistliche Personal dürfte hingegen bescheiden gelebt haben. Den Eindruck gewinnt man zumindest im Kaplanszimmer, einer fensterlosen Höhle im Zwischenstock, die mit einer Bettnische, Tisch, Stuhl, Wandregal sowie Nachttopf sehr dürftig ausgestattet ist.

Als an der Wende zum 19. Jahrhundert die religiöse Diskriminierung ein Ende fand und reguläre katholische Gotteshäuser wieder zugelassen wurden, verschwanden auch die "Hauskirchen" Amsterdams eine nach der anderen. Um das praktisch im Originalzustand erhaltene Gotteshaus "Ons' Lieve Heer op Solder" vor der Abrissbirne zu retten, schlossen sich Privatleute im Jahr 1888 zu der Initiative "Amstelkring" zusammen, erwarben das Gebäude und wandelten es in ein Museum um.

Das Museum wird zur Kirche

Eigentlich ist die letzte Hauskirche Amsterdams ja gar nicht mehr geweiht. Für die Gottesdienste, die beispielsweise zu Weihnachten stattfinden, oder die zahlreichen Trauungen werden von der katholischen Obrigkeit Ausnahmegenehmigungen erteilt. Ungefähr 25 Mal im Jahr tritt in der Kirche unter dem Dach ein Paar vor den Altar, um sich in intimer Atmosphäre und mit Ausblick auf die Knusperhaus-Dächer von Amsterdam das Ja-Wort zu geben. Dann sperrt das Museum zu und überlässt der Hochzeitsgesellschaft ganz das Terrain.

Das rührige Museum kassiert Eintrittsgelder von 60.000 Besuchern jährlich und erhält auch Subventionen von der Stadt. Beides reicht aber nicht aus für einen Kosten deckenden Betrieb und die Erhaltung der Kunstschätze. Wie viele Museen in den Niederlanden müsse man zunehmend innovativ agieren, um Einnahmequellen zu erschließen, betont Museumssprecher Boers. Und dazu zähle die Vermietung der Räumlichkeiten für Hochzeiten, Konzerte und andere Veranstaltungen, "Voraussetzung: Sie müssen zu unserer Umgebung passen". An dem Pragmatismus, der an der Wiege der Kirche stand, lässt man es auch heute nicht fehlen.

Der Autor ist freier Journalist in Wien.

Museum Amstelkring; Oudezijds Voorburgwal 40; NL-1012 GE Amsterdam

Informationen:

www.museumamstelkring.nl

info@museumamstelkring.nl

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