Das Gewissen treibt die Aufdecker

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Die Telekom-Affaire sowie die aktuelle Verschärfung des Antikorruptionsgesetzes lassen den Blick auf das anglo-amerikanische Rechtssystem werfen. Dort sind Kronzeugenregelung und Whistle-Blowing bewährte Einrichtungen zur Aufdeckung von sonst nicht nachweisbaren Straftaten, die geheim geschehen und nur durch Informanten enttarnt werden können.

Die Funktion des Informanten ist dabei völlig unterschiedlich, je nachdem, ob es um einen Kronzeugen oder einen Whistle-blower geht. Bei Ersterem handelt es sich um eine Person, die an einer Straftat Teilnehmer oder Mittäter war, aber dadurch, dass sie die anderen Mittäter den Strafverfolgungsbehörden nennt und als Zeuge der Anklage fungiert, in der Regel straffrei ausgeht. Bei Letzterem geht es um eine unbescholtene Person, die nicht aus Eigennutz, sondern aus Gewissensgründen auf Missstände in ihrem Unternehmen aufmerksam macht.

Die "kleine“ Kronzeugenregelung wurde 1997 in das österreichische Strafrecht (§ 41a StGB) eingeführt und 2011 durch die "große“ Kronzeugenregelung (§ 209a Strafprozessordnung) weiter ausgestaltet. Diese ergänzt die seit 2006 im Kartellrecht (§ 11 Abs. 3 WettbewerbsG) bestehende Kronzeugenregelung ("Leniency Programme“) auch im Bereich der gemäß § 168b StGB verbotenen Kartellabsprachen in Vergabeverfahren. Gemäß § 209b Strafprozessordnung können nunmehr Kronzeugenanträge nicht nur vom Unternehmen bei der Bundeswettbewerbsbehörde, sondern auch von den betroffenen Mitarbeitern beim Bundeskartellanwalt eingebracht werden. Mit der, zunächst bis 2016 befristeten, "großen“ Kronzeugenregelung will der Gesetzgeber einen Anreiz zur Aufdeckung schwerer Wirtschafts- und Korruptionsstraffälle geben, wobei es aber letztlich im Ermessen der Staatsanwaltschaft liegt, ob einem Kronzeugen Straffreiheit gewährt wird oder nicht.

Whistleblower abgestempelt

Im Gegensatz dazu handelt es sich bei Whistle-blowern um Personen, die innerhalb ihres Betriebes, ihrer Dienststelle oder Organisation illegales Handeln (Korruption, Insiderdealing etc.) oder Missstände aufdecken und ihr Wissen intern ihren Vorgesetzten oder extern den Behörden, Dritten oder der Presse weitergeben. Whistle-blower genießen keinen besonderen gesetzlichen Schutz, sodass sie des Öfteren als illoyale Nestbeschmutzer und Querulanten gebrandmarkt und von den Vorgesetzten und Kollegen ausgegrenzt und als Denunzianten abgestempelt werden. Bei vielen geht das Mobbing sogar so weit, dass die bürgerliche Existenz des Whistle-blowers infrage gestellt wird.

Ist schon im nationalen Recht die Enttarnung gewisser Korruptions- und Bestechungsfälle mehr als schwierig, so gestaltet sie sich in internationalen Sachverhalten noch um Vieles komplexer. Ganz besonders trifft dies auf die EU zu, in deren Verwaltung große Summen bewegt, aber nicht mit derselben Intensität kontrolliert und strafrechtlich sanktioniert werden können, wie dies im nationalen Bereich geschieht. Die Berichte der Behörde für Betrugsbekämpfung (OLAF) über Subventions- und Betrugsfälle in der EU legen davon ein beredtes Zeugnis ab.

Die Aufdeckung von Fehlhandlungen und Straftaten in der Europäischen Kommission war überhaupt erst aufgrund von Insiderinformationen aus den jeweiligen Dienststellen möglich. Die Reaktion des Apparates war nicht die erwartete umgehende Bestrafung der Täter und die Ausmerzung der Schwachstellen in der Kontrolle, sondern vielmehr die Verfolgung und Kriminalisierung der Informanten.

Der wohl bekannteste Whistle-blower in der EU war Paul van Buitenen, der Unregelmäßigkeiten und Vetternwirtschaft in der Kommission aufgedeckt hatte. Diese führten 1999 zum "freiwilligen Rücktritt“ der Kommission unter Jacques Santer. Die mitverantwortliche Kommissarin Édith Cresson wurde von der Kommission zunächst bestraft, dann aber vom Gerichtshof der EU mit der legendären Aussage freigesprochen, dass die "Feststellung der Pflichtverletzung für sich genommen bereits als angemessene Sanktion anzusehen ist“ (Rechtssache C-432/04, Begründungserwägung 150).

Weitere Fälle von Whistle-blowing in der Kommission waren Bart Nijs, Christine Sauer, Robert McCoy, Dougal Watt, Dorte Schmidt-Brown, Marta Andreasen und Guido Strack. Letzterem wurde von der Bürokratie übel mitgespielt. Er hatte im Juli 2002 OLAF über Missstände in seiner Dienststelle, dem Amt für amtliche Veröffentlichungen in Luxemburg, informiert. Strack glaubte nachweisen zu können, dass ein angemietetes Privatunternehmen trotz Minderleistung nicht nur nicht mit der vorgesehenen Konventionalstrafe sanktioniert wurde, sondern seine Vorgesetzten vielmehr die Konditionen nachträglich zugunsten des Lieferanten abgeändert haben. Dadurch seien dem Amt Mehrkosten in Höhe von vier Millionen Euro entstanden.

Informant als Denunziant

OLAF beschäftigte sich eher lustlos mit dieser Anzeige und stellte Anfang Februar 2004 die Ermittlungen ein, da die Vorwürfe für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens nicht ausreichen würden. Damit geriet nun Strack, der vermeintliche Denunziant, ins Visier seiner Vorgesetzten. Im März 2004 brach Strack während einer Dienstbesprechung mit diesen zusammen und wurde in der Folge frühpensioniert. Seine bis heute insgesamt eingebrachten gut 40 Beschwerden und Klagen gegen seinen früheren Dienstgeber blieben alle erfolglos.

Wäre die EU allerdings - was in einigen Monaten zu erwarten ist - der Europäischen Menschenrechtskonvention schon beigetreten gewesen, dann hätte Strack vor dem Gerichtshof der EMRK unter Umständen gute Chancen gehabt, wie der Fall von Brigitte Heinisch anschaulich belegt. Sie war als Altenpflegerin bei der Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH, deren Mehrheitseigner das Land Berlin ist, beschäftigt und wurde von ihrem Arbeitgeber wegen ihrer wiederholten Erkrankungen 2004 gekündigt. Grund für ihre Erkrankung war Überlastung, die auf die unzureichende Personalausstattung der Pflegeanstalt zurückzuführen war. Da wegen des Personalmangels auch die hygienische Versorgung der Heiminsassen nicht mehr gewährleistet war, wies Heinisch die Geschäftsleitung der GmbH darauf hin, dass die in ihrer Werbung versprochene hochwertige Pflege nicht mehr gegeben sei.

Da ihr Arbeitgeber darauf nicht reagierte, erstattete sie Strafanzeige wegen besonders schweren Betrugs gegen diesen. Darauf reagierte die Gesellschaft mit einer fristlosen Kündigung. Heinisch obsiegte mit ihrer Klage dagegen vor dem Arbeitsgericht Berlin, verlor aber in den Berufungsinstanzen. Im Dezember 2007 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ab, die auf ihr Recht auf Meinungsfreiheit gestützte Verfassungsbeschwerde anzunehmen.

Sie wendete sich daraufhin an den Gerichtshof der EMRK (Beschwerdenummer 28274/08) und rügte die Verletzung ihrer Meinungsfreiheit. Am 21. Juli 2011 entschied der Gerichtshof zu ihren Gunsten, stellte eine Verletzung der EMRK fest und sprach der Beschwerdeführerin 10.000 Euro für den erlittenen immateriellen Schaden zu. Die Strafanzeige von Heinisch wurde dabei als Whistle-blowing bewertet, das eindeutig in den Geltungsbereich von Artikel 10 EMRK fällt.

In einer Güterabwägung stellte der Gerichtshof fest, dass in einer demokratischen Gesellschaft das öffentliche Interesse an Information über Mängel in öffentlichen Pflegeheimen den Schutz des Rufes und der Geschäftsinteressen derselben überwiegt. Er berief sich dabei auch ausdrücklich auf die Entschließung 1729(2010) sowie die Empfehlung 1916(2010) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, beide mit dem Titel "Schutz von Informanten“, vom 29. April 2010, in denen dringend eine grundsätzliche Regelung der Figur des "Whistle-blower“ empfohlen wird.

EU-INFOTHEK

Dieser Text wurde umfangreicher in der EU-Infothek publiziert:

www.eu-infothek.com

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