Das Gift der Dokumente

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Waren Martin Walser, Siegfried Lenz und Dieter Hildebrandt NSDAP-Mitglieder, ohne davon zu wissen?

Günter Grass Mitglied der Waffen-SS, Martin Walser, Siegfried Lenz und der Kabarettist Dieter Hildebrandt Mitglied der NSDAP? Hat jeder Schriftsteller dieser Generation etwas zu verschweigen? Nicht nur Grass, der die Moralkeule gegen andere Verschweiger geschwungen hat, sondern auch der so ganz anders geartete, öffentlich aus persönlichen Befindlichkeiten argumentierende Walser?

Walser in der Nazi-Partei - was für ein gefundenes Fressen für die Linken, die ihm noch immer nicht verzeihen können, dass er nicht mehr einer der ihren ist. Und für die Rechten, die mit ihm vorführen könnten, wie verständlich Gedächtnislücken, Leugnen und Verschweigen sind. Und natürlich für all jene Medien, die Walser aufgrund vergangener Konflikte nur zu gerne eins auswischen würden.

Doch abgesehen davon, dass man NSDAP und Waffen-SS nicht in einen Topf werfen kann: So einfach ist es nicht. Walser, Lenz und Hildebrand erklären, nichts von ihrer Parteimitgliedschaft gewusst zu haben. Gerade als Österreicher ist man quasi professionell misstrauisch gegen derlei Aussagen. Und es haben sich ja auch gleich Zeithistoriker gemeldet, die mit der Autorität ihrer Wissenschaft erklärten: Man konnte nicht Mitglied werden ohne eigene Unterschrift. Doch andere Vertreter der selben Zunft sagen: Solche Fälle hat es gegeben. Und im Fall Walser - in die Partei aufgenommen an Führers Geburtstag und dort mit falschem Geburtsdatum geführt - spricht fast alles dafür, dass er tatsächlich nie einen Antrag unterschrieben und kein Mitgliedsbuch gesehen hat. (Dasselbe wie für Walser, der sich auf die Argumentationen einlässt, gilt für Hildebrandt, der sich eher amüsiert, und für den schwer kranken Lenz, für den nur sein Verlag sprechen kann.)

Und die Moral von der Geschicht? Viele biografische Fakten in Diktaturen lassen sich nicht mehr hundertprozentig zweifelsfrei nachvollziehen. Diktaturen haben nun einmal nicht auf Transparenz gesetzt. Trotzdem ist - nach so viel Forschung über die NS-Zeit - befremdlich, dass so fundamentale Fragen wie: Konnte man ohne eigene Unterschrift NSDAP-Mitglied werden? Gab es kollektive Aufnahmen in die Partei? bis heute nicht eindeutig beantwortet werden können. Und noch befremdlicher, dass sich immer sofort Wissenschaftler finden, die schon am nächsten Tag via Medien erklären, solches sei undenkbar und nicht möglich gewesen. Genauso überzeugt, wie sie 1986 in Österreich erklärt haben, man könne nicht ohne eigenes Zutun Mitglied der SA geworden sein. Seither wissen wir: Der persönlichen Erinnerung ist nicht zu trauen. Aber den Zeithistorikern auch nicht. Das ist das schreckliche Gift, das Dokumente wie die über Walser, Hildebrandt und Lenz verbreiten, auch wenn man die drei für glaubwürdig hält.

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