Das Glück des Beharrlichen

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Historiker Gerald Stourzh über die verschlungenen Wege Österreichs zum Staatsvertrag und die Wirkung des Zauberworts "Neutralität".

Die Furche: Allgemein gefragt, Herr Professor Stourzh, was feiern wir 2005? Wie würden Sie das einem jungen Menschen erklären?

Gerald Stourzh: Es geht sowohl um 60 Jahre Zweite Republik als auch um 50 Jahre Staatsvertrag. Und wenn ich mich jetzt auf den Staatsvertrag konzentriere, dann sollten wir besonders an den Abzug ausländischer Truppen aus Österreich denken. Für die Generation, die den Staatsvertrag bewusst erlebt hat, war das Ende des Besatzungsregimes das Wichtigste. Die Präsenz zwei sich derart feindlich gegenüberstehender Blöcke in Österreich hat große Unsicherheit mit sich gebracht. Denken Sie daran, dass die russischen Truppen aus Ostdeutschland erst in den 90er Jahren abgezogen sind. Da sieht man, dass Österreich sehr viel Glück gehabt hat.

Die Furche: Nur Glück? Wieviel diplomatisches Geschick war dabei?

Stourzh: Es ist sowohl viel Glück als auch viel diplomatisches Geschick dabei gewesen. Hier gilt kein Entweder-Oder ...

Die Furche: ... das Glück des Tüchtigen?

Stourzh: Besser, das Glück des Beharrlichen. Die konstanten Bemühungen des Bundeskanzlers Raab, eine bessere Gesprächsbasis mit Moskau aufzubauen, sind hier zu nennen. Es nütze nichts, sagte Raab im Juni 1953, wenn man den russischen Bären, der mitten im österreichischen Garten drinnensteht, immer wieder in den Schwanzstummel zwickt. Ich muss aber hinzufügen, dass es nicht sinnvoll und auch nicht zutreffend ist, den Staatsvertrag nur an der Person Raabs aufzuhängen.

Die Furche: Sondern?

Stourzh: Eine ganz wichtige Rolle hat der Aufstieg Chruschtschows in der sowjetischen Hierarchie gespielt, der erst im Jänner 1955 zu seinem Höhepunkt gekommen ist. In den Jahren zuvor, nach dem Tod Stalins, gab es diverse Diadochenkämpfe. Und ein Akteur dabei war der bekannte Außenminister Molotow, der sich einem sowjetischen Abzug aus Österreich beharrlich widersetzt hat. Noch in den ersten Monaten 1955 hat es harte Auseinandersetzungen zwischen Chruschtschow, der eine neue Flexibilität in der sowjetischen Außenpolitik wollte, und dem auf stur schaltenden Molotow gegeben. Ich glaube nicht, dass - trotz aller Beharrlichkeit - Österreich Erfolg gehabt hätte, wenn nicht der interne sowjetische Konflikt eindeutig zu Gunsten Chruschtschows ausgefallen wäre.

Die Furche: Warum ist Österreich eine Teilung wie Deutschland erspart geblieben?

Stourzh: Im Rückblick war die Teilungsgefahr wahrscheinlich nie so akut, wie es die Zeitgenossen befürchtet haben. Eine Teilung Österreichs hätte den größeren Teil des Landes unvermeidlich noch näher an den Westen geführt. Die drei Westzonen wären sicher von der Nato absorbiert worden und die Sogwirkung der Bundesrepublik Deutschland wäre noch viel stärker gewesen - das konnte nicht im Interesse der Sowjetunion liegen.

Die Furche: Hat die Sowjetunion Österreich also dafür genutzt, sich außenpolitisch neu zu positionieren?

Stourzh: Es gab in dieser Zeit auch noch weitere spektakuläre Gesten einer flexibleren sowjetischen Außenpolitik: die Aussöhnung mit Tito - Chruschtschows "Canossagang" nach Belgrad, die Einladung Adenauers nach Moskau, oder im Herbst 1955 der Verzicht auf die Militärbasis in Finnland.

Die Furche: Und die Amerikaner sind darauf eingestiegen?

Stourzh: Schon im Februar 1954 hat US-Außenminister Dulles zu Molotow gesagt: Wenn Österreich eine Schweiz zu sein wünsche, werden die Vereinigten Staaten nicht im Wege stehen. Da liegt der Ursprung dieser berühmten Formel, und das ist eine wichtige Komponente der diplomatischen Vorgeschichte.

Die Furche: Für die Österreicher ist der Staatsvertrag vor allem mit etwas verbunden, was gar nicht drinnen steht: mit der Neutralität.

Stourzh: Ich würde aus der Perspektive der Zeitgenossen aber doch den Abzug der Besatzer als das Primäre des Staatsvertrags hervorstreichen. Wäre der Staatsvertrag 1949 abgeschlossen worden, wäre Österreich bereit gewesen, der Sowjetunion zahlreiche Eigentums- und Nutzungsrechte im Erdölbereich für eine Geltungsdauer bis zu 33 Jahren zuzubilligen, Eigentumsrechte am DDSG-Eigentum in Ostösterreich sogar unbefristet. Daran sehen Sie, wie ungemein wichtig es den Österreichern war, die Besatzung aus dem Land zu bringen. Aber natürlich gibt es einen engen politischen Zusammenhang zwischen dem Staatsvertrag und der Neutralität. Denn weder Ost noch West waren bereit, Österreich im Lager des Gegners zu sehen. Deswegen verlangten die Sowjets Garantien, dass Österreich nicht der Nato beitritt.

Die Furche: Eine Neutralität nach Schweizer Muster war es in Österreich aber doch von Anfang an nicht. Wir sind sehr bald der Uno beigetreten, dem Europarat, schließlich der EU ...

Stourzh: Österreich wollte die ganzen Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg der Uno beitreten, und die Alliierten haben sich in der Präambel zum Staatsvertrag verpflichtet, Österreichs Beitritt zur Uno zu unterstützen. Noch im April 1955 fragten die Österreicher in Moskau nach, und die Sowjets hatten nichts dagegen - das heißt, schon vor der Geburt, schon bei der Zeugung der österreichischen Neutralität nach Schweizer Muster wurde ein Abgehen vom Modell in einer wichtigen Frage ins Auge gefasst. Die Neutralität nach Schweizer Muster war vor allem eine Konsensformel, um die Zustimmung der Amerikaner zur Neutralität Österreichs zu sichern.

Die Furche: Die Neutralität wurde von den Amerikanern ins Spiel gebracht - hat es auch in Österreich einen Bewusstseinswandel in Richtung Neutralität gegeben?

Stourzh: Es hat seit den späten 40er Jahren immer wieder Stimmen gegeben, die auf die Schweiz verwiesen haben. Bundespräsident Renner hat 1947 das Schweizer Modell genannt. Bundespräsident Körner hat 1952 in einer Schweizer Zeitung auf das Muster der Schweiz hingewiesen. Julius Raabs Bruder Heinrich war in der Schweiz ansässig und hat seinen Bruder auch schriftlich, auf den Vorbildcharakter der Schweiz hingewiesen.

Die Furche: Warum waren die Sozialisten zuerst gegen den Begriff der Neutralität?

Stourzh: Diese Skepsis hat damit zu tun, dass jahrelang die Kommunisten unter dem Schlagwort "Neutralität für Österreich" einen ideologischen Neutralismus propagiert haben.

Die Furche: Worin bestand in der Neutralitätsfrage der Unterschied zwischen Volkspartei und Sozialisten?

Stourzh: 1955 stand vor allem noch SPÖ-Parteichef Adolf Schärf dem Begriff Neutralität sehr reserviert gegenüber. Die Sozialisten fürchteten, die Neutralität würde die westliche Unterstützung für Österreich schwächen. Die Linie der SPÖ war Paktfreiheit, aber nicht Nato-Mitgliedschaft. Es ging um die subtile Unterscheidung zwischen Paktfreiheit und Neutralität. Wobei es Anzeichen gibt, dass Kreisky hier flexibler war als Schärf.

Die Furche: War bei der ÖVP die Parteilinie eindeutig?

Stourzh: Nicht ganz. Figl war ein Stück pro-westlicher als Raab. Der US-Botschafter in Wien hat damals in die USA berichtet, er sei froh, dass Schärf und Figl mit nach Moskau fahren, weil diese beiden einen bremsenden Einfluss haben. Unterschiedliche Ansichten verliefen also nicht entlang den Parteigrenzen. Um zum Kompromiss in Moskau zu gelangen, musste Schärf einen längeren Weg zurücklegen als Kreisky, und Figl einen längeren Weg als Raab.

Die Furche: Wie ist es dazu gekommen, dass die Neutralität zu diesem identitätsstiftenden Mythos in Österreich geworden ist?

Stourzh: Trotz aller Umfragen, die diese Meinung zu untermauern scheinen, möchte ich doch ein wenig Dissens anmelden: Für alle jene, die nicht Nationalsozialisten waren, hat das Wiedererstehen Österreichs 1945 doch eine sehr große Bedeutung gehabt. Damit hängt auch die viel gescholtene "Opferthese" zusammen, die völkerrechtlich aber die zutreffende ist - was immer man von der Haltung der Bevölkerung sagen kann und muss. Wenn sich die verantwortlichen Österreicher 1945 lediglich als Sachwalter für die Ostmark des besiegten Großdeutschen Reiches gefühlt hätten, dann hätte sich nie dieses österreichische Staats- und schließlich Nationalgefühl entwickeln können, zu dem es gekommen ist. Wenn auch die Neutralität als identitätsstiftend dargestellt wird - es hat von 1945 an auch eine andere, sehr wichtige Identität, die des befreiten, wiederhergestellten Österreichs gegeben.

Die Furche: Wieso hat dennoch die Neutralität einen derartigen Stellenwert bekommen?

Stourzh: Das hängt mit der Ideologisierung der Neutralität zusammen. Die Neutralität war ja ursprünglich gedacht als ein Mittel zum Zweck der Erlangung und Aufrechterhaltung der eigenen Unabhängigkeit. Später ist sie beinahe zum Selbstzweck geworden. Aber bis heute spielt diese Ideologisierung der Neutralität bei allen Parteien eine große Rolle - unbeschadet ihrer Einschränkung de facto und de jure durch die EU-Mitgliedschaft vor allem seit dem Vertrag von Amsterdam. Es hat ja vor wenigen Monaten wieder eine gewisse Rückwendung der Volkspartei gegeben.

Die Furche: Woher rührt die Legendenbildung rund um den Staatsvertrag, Stichwort: Reblaus?

Stourzh: Das entspricht in keiner Weise der historischen Realität. Die Reblaus-Karikatur stammt ja aus Deutschland. Glück und Geschick, wie gesagt, es war kein Entweder-Oder. Glück: Eine neue flexiblere Konstellation der sowjetischen Außenpolitik. Bruno Kreisky sagte im Vorfeld, dass wir bei wirklichen Zugeständnissen nicht Nein sagen können. Geschick: Julius Raab wusste aus seinem engen Kontakt mit Österreichs Botschafter in Moskau, Norbert Bischoff, "Neutralität" ist das Zauberwort, damit kann es gelingen - und damit ist es gelungen.

Das Gespräch führten Wolfgang Machreich und Rudolf Mitlöhner.

Buchtipp:

UM EINHEIT UND FREIHEIT

Staatsvertrag, Neutralität und das Ende der Ost-West-Besetzung Österreichs 1945-1955.

Von Gerald Stourzh, Böhlau Verlag,

Wien 1998, 4. Aufl., 836 Seiten, geb.,

Reduzierter Preis:

e 39,- (= befristeter Sonderpreis zum Jubiläum, gültig 2005), später e 69,-

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