Das große Entsetzen tritt nicht ein

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„Jedem das Seine“ in der Josefstadt: In dem Drama verweben Silke Hassler und Peter Turrini die Verfolgung ungarischer KZ-Häftlinge mit der Passionsgeschichte.

Die Frage nach der Darstellbarkeit der Entsetzen des Holocaust ist vieldiskutiert und letztendlich ungelöst. Irritiert reagiert man im Normalfall bezüglich der Verwendung von Humor am vermeintlich falschen Ort: Historisch belegt sind Kabarettaufführungen im KZ genauso wie der Erfolg leichter Komödien in den letzten Kriegsjahren. Das Wissen, dass das Bedürfnis nach Unterhaltung in Zeiten starker Not hoch ist, macht eine theatrale Auseinandersetzung heute dennoch alles andere als einfach.

Knapp vor Ostern führt Herbert Föttinger, der dem nach Peymanns Abschied heimatlos gewordenen Peter Turrini seit 2007 ein neues Theaterzuhause bietet, „Jedem das Seine“ auf. In dem als „Volksstück“ titulierten Drama verwebt das Autorenpaar Peter Turrini/Silke Hassler die Verfolgung ungarischer KZ-Häftlinge in den letzten Tagen vor Kriegsende mit der Passionsgeschichte. Der Titel nennt eine vielzitierte und politisch missbrauchte Redewendung: „Jedem das Seine“. Platon hat sie als Grundsatz des Rechts geprägt, pervertiert eingesetzt war sie als Motto am Eingangstor des KZ Buchenwald angebracht. Turrini/Hassler lassen die von der nationalsozialistischen Propaganda fehlgeleiteten Dorfbewohner diesen Satz zitieren, um tiefsitzende Vorurteile zu verdeutlichen.

Vor allem Branko Samarovski gibt der Figur des Bauern interessante Facetten zwischen stur-verzweifelter Ablehnung und purem Opportunismus. In seinem Heustadel werden zehn ungarische Juden auf ihrem Marsch nach Mauthausen festgehalten.

Die Idee ist tröstlich …

Turrini/Hassler haben Stereotypen gezeichnet: Elias Rotenberg (Gideon Singer) als klassisch-tradierter Jude, der humanistisch gebildete Professor (Kurt Sobotka), der am verstimmten Pianino ein wenig Ruhe wiederfindet und von seiner sanftmütigen Frau Hanna (Maria Urban) befürsorgt wird, sowie in der Hauptrolle Ludwig „Lou“ Gandolf (Norman Hacker), Operettensänger aus Budapest, der in dieser Atmosphäre bar jeder Hoffnung eine rettende Idee entwickelt: nämlich akkurat Viktor Léons Operette „Wiener Blut“ aufzuführen. Die Bäuerin (Elfriede Schüsseleder), deren Sohn in Russland gefallen ist, hat einen Rest Humanität im Leib und versorgt die Hungernden zunächst mit rohen Erdäpfeln und schließlich mit verstimmten Musikinstrumenten. Und nicht zuletzt ist da noch die Magd Poldi (Daniela Golpashin), die auf die Rückkehr ihres Verlobten hofft, der bei der SS ist. Stets ausgegrenzt, findet sie mit ihrer demolierten Gitarre und den Kostümen der Passionsspiele Aufnahme innerhalb dieser Gruppe, die zu einer undifferenzierten Schicksalsgemeinschaft zusammenfindet.

Sicher: Die Idee, dass die Fantasie stärker als die Wirklichkeit sein kann, ist tröstlich; Auch kann einen das Theater über das Traurige im Leben erheben (wie Lou es formuliert), aber was hier in der Josefstädter Fassung zu sehen ist, stellt einen bagatellisierenden Umgang mit tatsächlichen Grausamkeiten dar.

In Föttingers Inszenierung ist alles plakativ: Zu Beginn stehen die zehn jüdischen Häftlinge im düsteren Licht an der Rampe. Der Wind weht hörbar bitter kalt. Rolf Langenfass hat die Bühne in ihrer Kahlheit belassen. Ein langsames Crescendo eröffnet eine Inszenierung, die ohne Rhythmus ins Leere läuft. Der erwartete Höhepunkt, das versprochene Lachen, das einem im Hals stecken bleibt, das unaussprechliche Entsetzen treten nicht ein. Dagegen reihen sich Klischees aneinander und das verzweifelte Ringen der Arbeit in den Proben zu „Wiener Blut“ wird überdeutlich als Metapher fürs Überleben inszeniert.

Als die Nachricht von Hitlers Tod kommt, feiert „Wiener Blut“ im Heustadel Premiere. In der Hoffnung, dass für die Protagonisten alles doch noch gut ausgegangen ist, beginnt das Publikum aufatmend zu applaudieren. Doch die brutale Wirklichkeit wird als Nachspann auf die kahlen Wände projiziert: Am Folgetag wurde der Stadel angezündet und alle sind verbrannt. „Keiner hat überlebt“, so der Schlusssatz, der noch einmal die Katastrophe wiederholt.

Der joviale Applaus bestätigt, dass hier politisches Bewusstsein zugunsten von Unterhaltung hintangestellt wird.

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