Das Gute Leben Suchen Und Erzählen

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Der AnwALt unD SchriFtSteLLer LouiS begLey Feiert Am 6. oktober 2013 Seinen 80. geburtStAg.

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Der AnwALt unD SchriFtSteLLer LouiS begLey Feiert Am 6. oktober 2013 Seinen 80. geburtStAg.

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Von der Philosophie hat die Literatur die Idee des glücklichen Lebens geerbt. Doch an die atlasschwere Aufgabe trauen sich heute nur noch wenige Autoren ernsthaft heran. Auch Louis Begley misstraut den großen Gefühlen und dem gefälligen Happy End. Doch sieht er den Katastrophen des Glücks ins Gesicht und erzählt von der Suche nach dem guten Leben. Das macht ihm so eindringlich und feinfühlig kein anderer Autor nach.

Neun Romane hat Louis Begley geschrieben, den ersten 1991, im Alter von 68 Jahren. Der zehnte erscheint im Herbst, pünktlich zu des Autors 80. Geburtstag, bei Suhrkamp in deutscher Übersetzung: "Erinnerungen an eine Ehe". Auch hier schreitet Louis Begley seinen Themenkreis souverän aus. Es geht - durchaus in Anlehnung an Ingmar Bergmanns Film "Szenen einer Ehe" - um Heiratshindernisse und Ehrensachen, um Moral und Berufserfolg, um das wunschlose Unglück der besseren Gesellschaft. Der Erzähler ist nicht zufällig ein Schriftsteller. Nicht ohne eine höchst sympathische Selbstironie beschreibt er seine Nöte, von den Fakten zu den Fiktionen zu kommen, für einen Roman zu recherchieren, ohne die Wahrheit zu verfälschen. Aus autobiographischer Perspektive hat sich Louis Begley dazu in seinen Heidelberger Poetikvorlesungen geäußert. Kein Wunder, begann doch mit der Erfindung der eigenen Kindheitsgeschichte in dem Roman "Wartime lies"(1991),"Lügen in Zeiten des Krieges" (1994), sein literarischer Weg.

Geboren wurde Louis Begley unter dem Namen Ludwik Begleiter als einziges Kind polnisch-jüdischer Eltern am 6. Oktober 1933 in der ostgalizischen Provinzstadt Stryj, die zwischen den Weltkriegen polnisch war und heute zur Ukraine gehört. Im Sommer 1941 besetzten deutsche Truppen das von der Roten Armee geräumte Land. Im Schlagschatten der Wehrmacht rückten die Vernichtungstruppen der Sicherheitspolizei nach. Louis Begley floh mit seiner Mutter, getarnt als polnische Katholiken.

Als der Krieg zu Ende war, wanderte Louis Begley Anfang März 1947 mit seinen Eltern in die Vereinigten Staaten aus. In New York anglisierte er seinen Namen, begann ein Jurastudium in Harvard und wurde ein erfolgreicher Anwalt in der Kanzlei "Debevoise & Plimpton" an der Wall Street.

Verdichtung und Wandlung der Erinnerungen

Zum Schriftsteller wurde Begley 1989, als er sich für vier Monate aus der Kanzlei zurückzog, um sein erstes Buch zu schreiben. "Wartime lies" ist keine Lebensbeichte, sondern ein Erinnerungsroman, der die eigenen Erlebnisse verdichtet und umwandelt. Die "Lügen in Zeiten des Krieges", derer sich der junge Romanheld Maciek mitsamt seiner Tante Tania bedient, sichern Überleben in todesfeindlicher Umgebung und zeigen zugleich die Macht der Erinnerungsfiktion. "Ich habe mit der Stimme des beobachtenden Maciek versucht, Schicht für Schicht totale Unmenschlichkeit, das Grausen, den Horror mit einem konstanten Erzählton in Sprache umzusetzen", sagte Begley 1994 in einem Interview mit der Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung.

Vom Holocaust wird mit den Mitteln von Mythos und Literatur erzählt, ohne den unheilbaren Bruch auch nur je zu verdecken, den Auschwitz in der Geschichte der Menschheit bedeutet. Der Autor erweist sich als Meister der indirekten Aussage und der leisen Anspielung. Zu den "Lügen in Zeiten des Krieges" gehört der souveräne Umgang mit Ellipsen: "Überraschend und ganz unverständlich sagte Vater die Kreuzfahrt im Mittelmeer ab, die er mit Tania und mir im Sommer hatte unternehmen wollen. Er sagte, die Zeit sei nicht danach, sich so weit von zu Hause zu entfernen". Der Satz fällt im März 1938, nach dem Anschluss Österreichs. Kurz darauf, nach dem Einmarsch der Deutschen, wird wieder zwischen katholischen und jüdischen Polen unterschieden, die polnische Bevölkerung beteiligt sich an den Pogromen, das Haus der Familie wird zum Gestapo-Hauptquartier.

Elegante Gesellschaftsromane

Nach dem Romandebüt entstand eine Suite von eleganten Gesellschaftsromanen. Die Figuren sind mittlere Helden, klaglose Hiobgestalten, Anwälte mit advokatorischen Kniffen, fast wie bei Kafka, über den Louis Begley, auch er Autor und Jurist, 2008 ein kluges Buch geschrieben hat ("Die ungeheure Welt, die ich im Kopf habe"). Unsympathisch sind sie nicht, diese Banker und Broker, Anwälte, Architekten und Schriftsteller, deren Erfolgsbilanzen regelmäßig bei den eigenen Herzensaffären versagen. "Schiffbruch", so Begleys Romantitel von 2003, ist ihr Schicksal, Erinnern an eine amour fou ihr Programm, stoisches Entsagen ihre Konklusion.

Ben heißt der vielleicht repräsentativste unter diesen Helden - neben dem philosophierenden Pensionshelden Schmidt, dem zwei wunderbare Romane (1996 und 2001 in deutscher Übersetzung erschienen) gewidmet sind, und ein Film mit Jack Nicholson in der Hauptrolle wie auf den Leib geschrieben ist. Dieser Ben regiert Begleys zweiten Roman, "The Man Who Was Late"(1992), der vier Jahre später, wie immer in Christa Krügers kongenialer Übersetzung, in Deutschland erschien ("Der Mann, der zu spät kam"). Er ist ein "jüdischer Flüchtling", der in Amerika das gute Leben erlernen will, aber sich in den Widersprüchen zwischen Selbsthass und Glücksverlangen verheddert. Glück hat er durchaus in der Welt des "bargeldlosen Wohlergehens", zumal bei den Frauen. Aber er kann damit nicht glücklich sein.

Tragische Liebesgeschichten aus der High Society erzählen auch "Wie Max es sah"(1995) und "Mistlers Abschied"(1999). Als Mistler von seinem tödlichen Leberkrebs erfährt, flieht er nach Venedig, einem Ort, vor dessen morbider Kulisse sich das Sterben des reichen und berühmten Mannes seit jeher wirkungsvoll inszenieren ließ. In Venedig sucht Mistler nach jenem "Moment absoluter Freiheit", bevor "das ganze Geschäft des Sterbens beginnt". Die Macht, die den Tod, wenn nicht besiegt, so doch aufhält, ist die Liebe, der Eros.

Im Zentrum von Begleys literarischem Werk steht die Frage nach der Zukunft der humanistischen Werte. Was geschieht, wenn die persönlichen "Vorstellungen vom Guten und Menschenwürdigen", von Intrigen, Manipulationen und Vorverurteilungen durchkreuzt werden, hat er in einem Buch über den "Fall Dreyfus"(2009) untersucht. Es trägt, vielsagend und warnend genug, den Untertitel "Teufelsinsel, Guantanamo, Alptraum der Geschichte". Das gute Leben ist kein Geschenk. Es muss erzählt werden, durch die Katastrophen hindurch, die ja im wörtlichen Sinne Glückswenden bedeuten.

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