Das harte Los der Christen im Nordirak

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Zweieinhalb Jahre wüteten die Dschihadisten unter den Christen in der Ninive-Ebene. Nach der Rückeroberung wollen einzelne Familien in ihre Dörfer zurück, viele geben auf. Eine Delegation aus Österreich überreichte Patriarch Louis Sako den Kardinal-König-Preis.

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Zweieinhalb Jahre wüteten die Dschihadisten unter den Christen in der Ninive-Ebene. Nach der Rückeroberung wollen einzelne Familien in ihre Dörfer zurück, viele geben auf. Eine Delegation aus Österreich überreichte Patriarch Louis Sako den Kardinal-König-Preis.

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Die Offensive zur Befreiung von West-Mossul aus dem Würgegriff der Kämpfer des "Islamischen Staates" (IS) lief an, als eine kleine Delegation mit dem Linzer Bischof Manfred Scheuer nach Erbil reiste. Der Besuch galt der Solidarität mit den tausenden christlichen Flüchtlingen, die seit dem IS-Ansturm 2014 in Lagern um Erbil und Dohuk leben. Zugleich war er eine Geste der Wertschätzung für Louis Raphael Sako, den chaldäischen Patriarchen, der seine Gemeinde zum Durchhalten ermuntert.

Doch eine Rückkehr in die Heimatdörfer ist derzeit für die meisten Christen undenkbar. Auf der Fahrt in die menschenleeren Dörfer der befreiten Ninive-Ebene begleiten uns schwer bewaffnete Peschmerga. Die Gegend ist noch nicht entmint, das von den IS-Kämpfern gebaute Tunnelsystem nicht zur Gänze ausgeforscht.

In Batnaya, einst ein 3000-Seelen-Dorf nahe Mossul, hinterließ der IS-Terror ein Ruinenfeld. Häuser liegen in Schutt und Asche, andere stehen noch, wurden aber ausgeplündert. Matratzen, Möbelstücke, Scherben liegen herum. Auf den Straßen ausgebrannte Autowracks. Ab und zu ein geparkter PKW vor einem Haus - wenn ein geflohener Besitzer kommt, um nach seiner einstigen Habe zu suchen.

Ruinenfeld in Batnaya, Freude in Teleskof

Am Portal der geschändeten Kyriakos-Pfarrkirche steht eine Madonnenstatue ohne Kopf. Der Kirchenraum ist verwüstet. Auf dem Boden zertrampelte Heiligenbilder, verbrannte Bibeln. An der Wand Schmierereien, die Christen als "Kreuzsklaven" verhöhnen. "Dieses Land ist islamische Land, ihr Schmuzigen", drohten Dschihadisten in fehlerhaftem Deutsch. Doch auf der Kuppel grüßt ein neues Kreuz. Ein starkes Signal nach der Befreiung.

In der Kleinstadt Teleskof hauste der IS nur kurz. Einst lebten 1450 Familien hier, erzählt Pfarrer Salar. 45 Familien bereiten die Rückkehr vor. Der Patriarchen-Besuch ist Anlass für ein Freudenfest. Zum Gottesdienst in der Georgskirche sind hunderte frühere Bewohner angereist. "Es ist eine Zeit der Verfolgung und des Martyriums", sagt Bischof Scheuer. Der Kardinal-König-Preis an Sako sei "ein Zeichen der Anteilnahme an euren Leiden". Nach der Messfeier sprechen Vertreter der Kirchengemeinde. "Ihr gebt uns Kraft", würdigt ein Mann die Präsenz des Patriarchen. Von der Kirche kam 400.000 Euro Soforthilfe für die Christen, "von der Regierung nichts". Dann pilgern Priester und Kirchenvolk zu einem Hügel neben Teleskof. Sako und Scheuer segnen ein großes, jüngst montiertes Kreuz, das weithin leuchtet. Es folgt ein Feuerwerk. Die Menschen jubeln.

Für kurze Zeit vergessen sie, dass im nahen Mossul die Entscheidungsschlacht läuft. 167.000 Menschen sind aus der Metropole geflohen. Ein Lehrer erzählt auch vom Exodus aus der Christen-Stadt Karakosch; 40 Prozent der mehrheitlich syrisch-katholischen Christen wollen auswandern. Auch Pater Said aus Amman ist hier. Er betreut in Jordanien 3000 irakische Flüchtlingsfamilien. "Sie wollen alle weg."

Kardinal-König-Preis an Patriarch Sako

Tags darauf fahren wir in eines der vier christlichen Flüchtlingslager bei Erbil. Insgesamt betreuen die Chaldäer 11.000 Familien aller christlichen Konfessionen. 2.000 Häuser wurden zusätzlich angemietet. Im Containerdorf "Ankawa 2" leben 5000 Menschen. Alles finanziere die Kirche, sagt der Sektionschef des kurdischen Religionsministeriums. Elf Schulen wurden für Binnenflüchtlinge eröffnet. Ein Mann kommt auf den Beamten zu, umarmt ihn zum Abschied. Er wandert nach Australien aus. Wie viele, denen der Mut zum Neuanfang fehlt. Ein Blick in einen Familien-Container: ein Wohn-Schlafraum, ein Küchenkammerl. Vater Sabri arbeitete bei der irakischen Armee, später bei einem Catering in Karakosch. Auch er möchte mit seiner Frau und den vier Kindern nach Australien. Bewegung kommt auch in die Reihen der Rückkehrwilligen. Im Priesterseminar in Ankawa/Erbil erfahren wir, rund 500 Familien in den Erbil-Camps hätten den Wunsch nach einer Rückkehr nach Mossul signalisiert, wenn die Stadt ganz aus der Gewalt des Daesh befreit sei.

Im Rahmen einer Messfeier in Erbil überreichte Scheuer, Präsident der Kardinal-König-Stiftung, dem chaldäischen Oberhirten den Preis. Nach der Befreiung Ende 2016 war Sako sofort von Bagdad in die Ninive-Ebene geeilt, um sich ein Bild von den Zerstörungen zu machen und die Gläubigen zu ermutigen. Für einen Neustart bräuchte jede Familie rund 3000 US-Dollar. Das Credo Sakos: "Nicht aufgeben! Das ist unsere Heimat." Den Preis, der ihm für seine Verdienste um die Christen zuerkannt wurde, widme er "dem ganzen Irak". Die Christen seien gefordert. "Einheit bedeutet Stärke." Der Patriarch wünscht sich ein Zusammenleben mit den anderen Volksgruppen. Zum Schutz der Christen plädiert er für internationale Beobachter nach OSZE-Vorbild.

Die Regionalregierung streicht das gute Verhältnis zu den Christen hervor. "In den Dörfern unter Peschmerga-Schutz arbeiten wir eng mit den Kirchen zusammen", betont Innenminister Karim Sinjari. "Aussöhnung ist der Schlüssel." Er zitiert Präsident Mahmud Barzani: "Es gibt keine Minderheiten." Außenminister Falah Mustafa Bakir erklärt, der neue Verfassungsentwurf garantiere allen demokratische Rechte. "Wir wollen eine geordnete Trennung zwischen Religion und Staat."

Sicherheit und Vertrauensbildung haben im Autonomen Kurdistan Priorität. Die Regierung ermuntert die Christen, ihre Vorstellungen für die Zukunft darzulegen. Dazu gehöre auch der Aufbau eigener Schutzkräfte. Minister Bakir: "Viele Christen und Jesiden sind traumatisiert." Muslimische Nachbarn hätten mit anrückenden Islamisten paktiert und Häuser von Christen, mit denen sie jahrzehntelang friedlich zusammengelebt hatten, geplündert.

Kein Vertrauen in Bagdad

Der künftige Status der Ninive-Ebene gibt allen Rätsel auf. "Wir haben für fast zwei Millionen Flüchtlinge die Tore geöffnet." Kurdistan verfechte eine tolerante Haltung. "Wenn Christen und Jesiden im Irak eine Zukunft haben, dann hier." Auch Aramäisch solle Bildungssprache werden. In Bagdad werde sogar die kurdische Sprache diskriminiert, fügt Bakir hinzu.

Das Verhältnis mit der irakischen Zentralregierung ist zerrüttet. Der Außenminister zum Status quo: "Gute Kooperation auf militärischem Gebiet, nicht in Politik und Wirtschaft." Die Bagdader Regierung "kümmert sich nicht um morgen, sondern nur um heute und gestern." Bakir weiter: "Wir können die Verantwortung nicht allein tragen."

Die Autonome Region Kurdistan steckt seit 2014 in einer Finanzkrise. Gerade als die IS-Kämpfer anmarschierten und der Strom der Binnenflüchtlinge einsetzte, habe Bagdad die Mittel gekürzt. 3700 öffentliche Projekte kamen laut Bakir zum Stillstand.

Geschäftsleute in Erbil lassen kein gutes Haar an Bagdad. "Die jetzige Regierung ist die schlechteste seit Saddam Hussein", sagt ein Bauunternehmer: "Sie tut nichts." Die Türkei, Nutznießer der Boom-Jahre, investiere nicht mehr. Der Mann gibt uns eine Warnung mit auf den Weg: Europa möge sich angesichts der Muslim-Massen vor Islamisierung in Acht nehmen. Derlei Ängste werden auch in Kirchenkreisen laut.

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