P rophet Mohammed sagte: "Die Menschen sind wie Edelmetalle, manche sind Gold, andere Silber, die besseren Menschen vor dem Islam sind die besseren nach dem Islam.“ Moralische Werte werden also nicht aus dem Islam selbst abgeleitet, sondern aus anderen Kategorien. Schon im achten Jahrhundert gab es eine innerislamische Debatte um folgende Frage: Sind Menschen auf den Koran und die Prophetie angewiesen, um zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können? Werden Gut und Böse nur durch Gott begründet, oder kann der Mensch sie durch seine Vernunft begründen? Die Mu‘taziliten, die als die rationalistische Schule im Islam galten, vertraten die Ansicht, dass Religionen keine Werte gründen, sondern lediglich an die guten Werte erinnern. Werte könnten allein aus der Vernunft abgeleitet werden. Diese Position konnte sich jedoch in der islamischen Ideengeschichte kaum durchsetzen, obwohl sie im Einklang mit der erwähnten prophetischen Aussage steht.
Religion und Vernunft sind jedoch nicht die einzigen Quellen.Nach dem islamischen Selbstverständnis hat Gott dem Menschen von seinem Geist eingehaucht, dieses Göttliche im Menschen ist eine wertvolle Quelle, die sehr oft vernachlässigt wird. Das Göttliche in uns findet seinen Ausdruck in unserer Bereitschaft, bedingungslos Liebe zu geben, empathisch zu sein, ehrenamtliche Arbeit zu übernehmen, aber auch in unserer Bereitschaft, Menschen als solche zu würdigen. Der Koran bezeichnet das Herz als Ort dieser Quelle und appelliert an den Menschen, seinem Herzen mehr Aufmerksamkeit zu widmen, um mehr aus dieser Quelle schöpfen zu können. Ich sehe die Aufgabe von Religion darin, uns auf diese göttliche Quelle in uns aufmerksam zu machen, denn neben der Vernunft besitzen wir einen zweiten Schatz. Wollen wir diesen nicht auch erforschen?
* Der Autor ist Prof. f. Islam. Religionspädagogik an der Uni Münster
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!