Das Himmelsereignis des Jahres: 2 Minuten Nacht

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Die totale Sonnenfinsternis ist ein Grund, am 11. August 1999 daheim in Österreich zu sein.

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Die totale Sonnenfinsternis ist ein Grund, am 11. August 1999 daheim in Österreich zu sein.

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Wenn das Wetter keinen Strich durch die Rechnung macht, wird es sich lohnen, den Urlaub 1999 so zu planen, daß man am 11. August, einem Mittwoch, im Lande ist. Westösterreicher können einen Ausflug nach Augsburg oder München, die Kärntner ins Salzburgische und die Wiener auf den Wechsel einplanen. Am 11. August findet nämlich um die Mittagszeit das seltene Ereignis einer in Österreich sichtbaren totalen Sonnenfinsternis statt. Die Zone, in der man erleben kann, wie sich der Mond langsam vor die Sonnenscheibe schiebt und sie schließlich ganz verdeckt, ist ein 14.000 Kilometer langer, sehr schmaler Streifen. Rechts und links davon gibt es auch eine Sonnenfinsternis, aber nur eine partielle, die viel weniger bietet. Einige Hotels in der Nähe attraktiver Beobachtungspunkte sind schon jetzt ausgebucht.

Wer sich vorher einliest, hat mehr davon. Daher sind die Jahrbücher für Stern- und Himmelsfreunde heuer für einen größeren Kreis interessant. Zwei Klassiker: Das "Kosmos Himmelsjahr 1999" des Kosmos-Verlages und "Der Sternenhimmel 1999" von Birkhäuser. Der Kosmos-Führer ist verständlicher und für Einsteiger bestens geeignet. Unter dem Eindruck einer Sonnenfinsternis hat ja schon mancher begonnen, sich auch nächtens für den Himmel zu interessieren. "Der Sternenhimmel" setzt mehr voraus und bemüht sich stellenweise zuwenig um Verständlichkeit, dafür gibt es hier für jeden Tag des Jahres eine Übersicht, was mit freiem Auge, Feldstecher oder Teleskop zu sehen ist, einschließlich der Stellung der sichtbaren Jupiter- und Saturnmonde und der Sternenvorbeigänge am Mond. Ein Muß für Fernrohrbesitzer.

Die Sonnenfinsternis wird in beiden Büchern ausführlich behandelt. Im "Sternenhimmel" steht einer der schönsten Berichte, die je über das Naturschauspiel geschrieben wurden: Adalbert Stifters Bericht von der totalen Sonnenfinsternis 1842 in Wien. Er war tief beeindruckt von dem Ereignis, das immer gleich abläuft und auch zu seiner Zeit schon oft geschildert worden war, "und zwar so gut, so daß ich eine totale Sonnenfinsternis im voraus so treu beschreiben zu können vermeinte, als hätte ich sie bereits gesehen. Aber da sie nun wirklich eintraf ... da geschahen freilich ganz andere Dinge, an die ich weder wachend noch träumend gedacht hatte, an die keiner denkt, der das Wunder nicht gesehen. Nie und nie in meinem ganzen Leben war ich ... von Schauer und Erhabenheit so erschüttert, wie in diesen zwei Minuten, es war nicht anders, als hätte Gott auf einmal ein deutliches Wort gesprochen, und ich hätte es verstanden ...

Endlich wurden auch auf Erden die Wirkungen sichtbar und immer mehr, je schmäler die am Himmel glühend Sichel wurde; der Fluß schimmerte nicht mehr, sondern war ein taftgraues Band, matte Schatten lagen umher, die Schwalben wurden unruhig, der schöne sanfte Glanz des Himmel erlosch, als liefe er von einem Hauche matt an, ein kühles Lüftchen hob sich ... erschütternd war dieses allmähliche Sterben mitten in der noch vor wenigen Minuten herrschenden Frische des Morgens. Wir hatten uns das Eindämmern wie etwa ein Abendwerden vorgestellt, nur ohne Abendröte; wie geisterhaft aber ein Abendwerden ohne Abendröte sei, hatten wir uns nicht vorgestellt, aber auch außerdem war dies Dämmern ein ganz anderes, es war ein lastend unheimliches Entfremden unserer Natur; gegen Südost lag eine fremde gelbrote Finsternis ... nicht anders als wie der letzte Funke eines erlöschenden Dochtes schmolz eben auch der letzte Sonnenfunken weg, wahrscheinlich durch die Schlucht zwischen zwei Mondbergen ... Die Luft wurde kalt, empfindlich kalt, es fiel Tau, daß Kleider und Instrumente feucht waren."

Die plötzliche Abkühlung, die Stifter so eindringlich beschreibt, führt mitunter dazu, daß bei bedecktem Himmel die Wolken aufreißen und den Blick auf die verfinsterte Sonne freigeben. Daher raten die Fachleute, bei ungünstigem Wetter die Hoffnung nicht aufzugeben. Auch den durch eine Mondschlucht scheinenden letzten Sonnenfunken, das sogenannte Perlschnurphänomen, hat Stifter genau beobachtet. Vor der Totalität und danach zerfällt durch die Unebenheiten des Mondes der Sonnenrand sekundenlang in Lichtstreifen und -punkte. Da der Mond genau vermessen ist, weiß man, wie hoch die Krater sind, welche das Perlschnurphänomen 1999 bewirken werden. Das "Kosmos-Himmelsjahr" enthält Skizzen für die Zentrallinie der Totalität und für Standorte bis zu 40 Kilometer nördlich oder südlich von ihr.

Die Korona mit den vielgerühmten Protuberanzen, aus der Sonne hervorschießenden, durch die völlige Abdunklung des Gestirns sichtbar werdenden Gasausbrüchen, dürfte heuer besonders prächtig ausfallen. Die Intensität der Ausbrüche hängt direkt mit der Menge der Sonnenflecken zusammen, für das Jahr 2000 wird ein Sonnenfleckenmaximum erwartet.

Unter dem Kernschatten des Mondes wird es stockdunkel, direkt auf seiner Zentrallinie dauert die totale Finsternis am längsten. Die ersten, welche die Verfinsterung der gerade aufgehenden Sonne höchstens 47 Sekunden lang zu sehen bekommen, werden die Passagiere und Besatzungen von Schiffen sein, die vor der kanadischen Ostküste unterwegs sind. In den folgenden 40 Minuten überquert der Mondschatten den Atlantik und die Zone, in der die totale Finsternis zu sehen ist, verbreitert sich von 49 auf über 100 Kilometer südlich von London. Der Kernschatten verfehlt Paris um 30 Kilometer, ebenso wie in Wien wird die Sonne hier nur zu 99 Prozent ihres Durchmessers verdeckt. In Metz wird sie für zwei Minuten und 13 Sekunden völlig verdeckt. Auch Stuttgart liegt direkt auf der Zentrallinie. Karlsruhe, Augsburg, München, Rosenheim und Salzburg erleben ebenfalls eine totale Sonnenfinsternis, bloß keine ganz so lange.

Übrigens ist die Dauer von Mal zu Mal verschieden. Wenn der Mond besonders weit von der Erde entfernt ist, langt es nur für eine ringförmige Finsternis, bei der die Sonne nicht ganz verdeckt wird. Befindet sich die Erde am sonnenfernsten Punkt ihrer Umlaufbahn, der Mond aber am erdnächsten der seinen, kann die Totalität bis zu sieben Minuten und 31 Sekunden dauern. Am 16. Juli 2.186 wird es eine Sonnenfinsternis geben, die mit sieben Minuten, 29 Sekunden die Höchstzeit beinahe schafft.

Diesmal müssen wir uns mit zwei Minuten und 23 Sekunden Maximaldauer begnügen, die kurz vor Bukarest erreicht wird. Um 12.41 Uhr Sommerzeit streicht der Mondschatten mit 2.600 Stundenkilometern bei Salzburg über die österreichische Grenze, zwei Minuten später erreicht er Linz. In Salzburg dauert die totale Verfinsterung zwei Minuten, zwei Sekunden, in Linz 30 Sekunden, in Graz eine Minute, vier Sekunden. Kapfenberg und Eisenerz liegen nahe der Zentrallinie, Szombathely genau auf ihr. Für die Wiener ist sie in der Buckligen Welt am bequemsten zu erreichen. Hier wird die totale Finsternis etwa zwei Minuten und 20 Sekunden dauern. Auf seinem weiteren Weg an Ankara vorbei über Pakistan beschleunigt sich der Mondschatten auf 7.200 Stundenkilometer, um sich im Golf von Bengalen zu verabschieden.

Doch wo immer man sich auch befindet: Es kann nicht eindringlich genug davor gewarnt werden, die Sonnenfinsternis - außer in der kurzen Zeit der sicheren Totalität - mit ungeschütztem Auge zu beobachten. Allein nach der totalen Sonnenfinsternis vom 7. März 1970 wurden in den USA 145 Fälle von völliger oder teilweiser Erblindung durch unvorsichtiges In-die-Sonne-Schauen bekannt. Die partielle Sonnenfinsternis, die der Totalität vorausgeht, dauert eine gute Stunde - ebenso nachher. In dieser Zeit wird das Sonnenlicht subjektiv immer schwächer, was aber eine gefährliche Täuschung ist. Dadurch schmerzt es nämlich immer weniger und schließlich gar nicht mehr, wenn man in die Sonne blickt. Das ändert aber nichts am Brennglaseffekt des Augapfels - und damit an der Gefahr schwerer Netzhaut-Verbrennungen. Wenn man bemerkt, daß etwas nicht stimmt, ist es zu spät. Auch mit Ruß geschwärzte Gläser bieten nicht genügend Schutz.

Beiden Büchern liegt eine Brille bei, mit der man die Sonne gefahrlos beobachten kann, da ihr Kunststoffmaterial genügend Licht absorbiert. Sie kann später zum Beobachten der Sonnenflecken benützt werden, doch muß sie sorgsam behandelt werden. Jede Perforation macht den Schutzeffekt zunichte.

Kosmos Himmelsjahr 1999 Von Hans-Ulrich Keller (Herausgeber) und Erich Karkoschka, Kosmos Verlag, Stuttgart 1998, 272 Seiten, viele Bilder, Graphiken und Tabellen, Pb., öS 181,- Der Sternenhimmel 1999 Verlag Birkhäuser, Basel 1998, 380 Seiten, viele Bilder, Graphiken und Tabellen, Pb., öS 291,-

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