Das ignorierte Weltkulturerbe

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Das Dresdner Elbtal ist eine einzigartige Kulturlandschaft und UNESCO-Kulturerbe. Jetzt soll dort eine Autobahnzubringer-Straße gebaut werden. Ein Unheil versprechendes Zeichen.

Deutschland war, was das UNESCO-Welterbe anbelangt, lange Zeit ein Musterknabe. Bereits 1976 trat die Bundesrepublik dem Übereinkommen bei und brachte - gemeinsam mit der wiedervereinigten DDR - im Laufe der vergangenen 32 Jahre 33 Kulturdenkmäler in das "Welterbe der Menschheit" ein - im Durchschnitt also ein Kulturgut pro Jahr. Zu den bekanntesten deutschen Welterbestätten zählen der Aachener, der Speyerer und der Kölner Dom, die Klosteranlagen von Lorsch und Maulbronn, die Altstädte von Lübeck, Quedlinburg, Weimar, Stralsund und Regensburg sowie die Kulturlandschaften Oberes Mittelrheintal und Dresdner Elbtal. Deutschland zählt somit zu jenen Ländern europaweit, die die größte Zahl an Kultur- gütern als Welterbe zertifizieren lassen konnten.

Sanssouci mit Einkaufskomplex?

Das Blatt des ehemaligen Musterknaben wendete sich jedoch in den 90er Jahren, als im heutigen Welterbe-Bereich der "Schlösser und Parks von Potsdam-Sanssouci und Berlin" ein Bahnhofs- und Einkaufskomplex errichtet werden sollte. UNESCO-Vertreter machten deutlich, dass die geplanten Maßnahmen im Falle der Realisierung die Kulturlandschaft stark beeinträchtigen würden. Die Deutsche UNESCO-Kommission bemühte sich um Lösungen des Konflikts, da andernfalls mit der Eintragung der Potsdamer Welterbestätten in die "Rote Liste des gefährdeten Welterbes" zu rechnen war: "Eine solche Entscheidung des UNESCO-Welterbe-Komitees wäre für die Bundesrepublik Deutschland ein schwerwiegender Imageverlust und hätte weltweit negative Auswirkungen auf die Wertschätzung von Kulturgütern."

Streit: Deutschland vs. UNESCO

Rund ein Jahrzehnt lang schwelte der Streit zwischen Deutschland und der UNESCO, konnte dann aber beigelegt werden. Nicht rechtzeitig genug handelten hingegen die Politiker im Zusammenhang mit einem Hochhaus-Komplex am gegenüberliegenden Rheinufer der Stadt Köln. 2004 landete der Kölner Dom "wegen der Gefährdung der visuellen Integrität" auf der "Roten Liste gefährdeter Welterbestätten". Erstmals in der Geschichte des deutschen Denkmalschutzes musste die Bundesrepublik diese internationale Schmach über sich ergehen lassen. Doch schon bald zogen die politischen Verantwortlichen das Bauprojekt wieder zurück, um den Kölner Dom der "Roten Liste" zu entziehen.

Doch anstatt aus den Fehlern entsprechende Lehren zu ziehen, legt sich Deutschland nun erneut mit der UNESCO an, indem es den Bau der sogenannten "Waldschlösschenbrücke", einem Autobahnzubringer, im Dresdner Elbtal (seit 2004 Welterbe) zulässt. Demzufolge hat das UNESCO-Welterbe-Komitee diese Kulturlandschaft 2006 auf die "Rote Liste des gefährdeten Welterbes" gesetzt und droht, ihr den Welterbe-Status abzuerkennen, sollten die bereits in Angriff genommenen Bauarbeiten nicht eingestellt werden. Das Argument der Brückenbefürworter, eine Mehrheit der Dresdner hätte sich für den Brückenbau entschieden, greift hier zu kurz. Denn erstens wurde das Elbtal in Kooperation mit der Stadt Dresden zur Aufnahme ins Welt- erbe nominiert und zweitens ist der Vertragsstaat selbst und nicht die betroffene Region für die Erhaltung des Welterbes zuständig. Überdies sind gemäß Welterbe-Konvention alle jene Natur- und Kulturgüter, die auf Antrag eines Staates von der UNESCO zum "Welterbe der Menschheit" erklärt wurden, nicht nur im Interesse dieses Staates, sondern vor allem im Interesse der gesamten Völkergemeinschaft zu schützen. Dementsprechend verfolgt man mittlerweile auch im Ausland die Entwicklung des Dresdner Elbtales, das durch die Autobahnbrücke ihre Schönheit und Integrität verlieren würde, mit großer Besorgnis.

Denn im Falle eines Brückenbaues würde die Glaubwürdigkeit und Wertigkeit der UNESCO-Welterbe-Konvention weitgehend in Frage gestellt werden und sich möglicherweise ein internationaler Domino-Effekt mit unabsehbaren Folgen für viele weitere Welterbestätten in Europa als auch auf anderen Kontinenten einstellen. Deutschland würde all jenen Bevölkerungsteilen weltweit in den Rücken fallen, die mit Hilfe der UNESCO-Welterbe-Konvention ihr Natur- und Kulturerbe zu retten und für kommende Generationen zu erhalten bemüht sind. Dies betrifft nicht nur die indigenen Völker, sondern auch Staatsbürger der Industriestaaten, deren natürliches und kulturelles Erbe zunehmend unter die Räder kommt.

UNESCO rügt Österreich

Selbst Österreich, das mit Schloss Schönbrunn, den Altstädten von Graz, Salzburg und Wien, den Kulturlandschaften Inneres Salzkammergut, Neusiedler See und Wachau sowie der Semmeringbahn immerhin acht Kulturgüter in das "Welterbe der Menschheit" eingebracht hat, nimmt die Kriterien der Welterbe-Konvention nicht wirklich ernst und wird hierfür auch Jahr für Jahr vom UNESCO-Welterbe-Komitee gerügt. Insbesondere wegen Bauprojekten in den Altstädten von Salzburg und Wien sowie nahe dem Schloss Schönbrunn gerät Österreich immer wieder in die Kritik des Welterbe-Komitees. Wien wurde zum Beispiel aufgefordert, den Bau eines der Hochhäuser am Wiener Westbahnhof knapp außerhalb der Pufferzone zu stoppen, weil die als verträglich angesehene Höhe von 60 Metern nun doch um 40 Meter überschritten werden soll. Damit gerät die visuelle Integrität der historischen Altstadt in Gefahr. Auch für das Komet-Gründe-Meidling-Projekt in der Umgebung von Schönbrunn wurde ein Baustopp verlangt. Obwohl die Stadt Wien dem Welterbe-Komitee 2006 zugesichert hatte, die Höhe von 60 Metern nicht zu überschreiten, sehen die aktuellen Planungen bis zu 78 Meter vor.

Semmeringbahn ohne Welterbe-Titel?

Und sollte der Bau des Semmering-Basistunnels tatsächlich genehmigt werden, läuft Österreich Gefahr, mit der Semmeringbahn und der umgebenden Landschaft auf der "Roten Liste des gefährdeten Welterbes" zu landen. Ist dem Dresdner Elbtal der Welt- erbe-Status aufgrund des Baues der "Wasserschlösschenbrücke" einmal aberkannt worden, dann wäre der Schritt zur Aberkennung des Welterbe-Titels der Semmeringbahn nur noch ein kurzer. Wenn in Europa die Dämme hinsichtlich Welterbes brechen, hätte dies unabsehbare Folgen für das Natur- und Kulturerbe weltweit. Deutschland wäre gut beraten, im Interesse der Völkergemeinschaft auf das Brückenprojekt zu verzichten.

Der Autor ist Landschaftsökologe und österreichischer Staatspreisträger für Umweltschutz.

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