Das Imperium

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Gore-Cousin Vidal: "Unser zweiparteiiges Einparteiensystem". Insiders der politischen Kaste.

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Gore-Cousin Vidal: "Unser zweiparteiiges Einparteiensystem". Insiders der politischen Kaste.

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Von Amerikas Demokratie, ihrem antiquierten Wahlmännersystem, ihren offiziellen und inoffiziellen Spielregeln ist jetzt viel die Rede. Unterdessen macht der Cousin von Al Gore, Gore Vidal, wieder einmal mit einer Kritik an dieser amerikanischen Demokratie von sich reden. Und zwar mit einer Sammlung von Aufsätzen, die es nun auch auf Deutsch gibt: "Das ist nicht Amerika!" Er kritisiert die USA temperamentvoll und fundamental. Was er vorbringt, gibt zu denken. Gore Vidal ist ein glänzender, aggressiver Formulierer und ein profunder Kenner der politischen Klasse der USA. Er kennt das System, von dem er redet.

Mit betont sportlichem Interesse verfolgt Amerika das Kopf-an-Kopf-Rennen von Florida. Tagelang geht es nicht nur darum, wer nun wirklich Präsident wird, sondern auch, ob sich Al Gore, falls er endgültig unterliegt, nicht auch noch den Ruf eines schlechten Verlierers einhandelt. Das könnte seine Chancen bei den nächsten Präsidentenwahlen in vier Jahren verschlechtern, falls er dann noch einmal ins Rennen geschickt wird.

Wenn wir Gore Vidal folgen, ist dieses sportliche Interesse an der politischen Bedeutung der Präsidentenwahlen völlig angemessen, weil sie nämlich überhaupt keine haben. Wirklich zu reden haben US-Präsidenten kaum. Sie unterscheiden sich nur in Nuancen und tanzen nach der Pfeife jener, die wirklich das Sagen haben. Die wahren Herren Amerikas seien die großen Konzerne. Da "immer dieselben Unternehmen unser zweiparteiiges Ein-Parteien-System finanzieren, geht es in diesen Wahlen wenig oder gar nicht um Politik".

Das sei zwar nicht neu, meint Gore Vidal, der als Kind im Sommer in der Badehose durch das Kapitol tollte, wo sein (und Al Gores) blinder Großvater als Senator residierte. Die USA seien schon von ihren Gründervätern nicht als Demokratie, sondern als Republik konzipiert worden, in der die Reichen bestimmen sollten. Was er als gelernter Historiker überzeugend belegt. Als ihm ein Lieblingsfeind, der Kennedy-Intimus Arthur Schlesinger, vorwarf, er habe Jeffersons Unabhängigkeitserklärung falsch zitiert, konterte Vidal mit der kühlen Feststellung, er habe Jeffersons vom Kongress entschärftes Original wiedergegeben. Er zitiert Quellen, die Amerika "selbstredend" aus seiner Geschichtsschreibung tilgte. Etwa das Bekenntnis von Smedley Butler, er habe sich als Kommandant der US-Marine "die meiste Zeit dazu hergegeben, für die Großunternehmer, für Wall Street und die Bankiers den Edelsöldner zu spielen ... Ich habe 1914 mitgeholfen, Mexiko zu einem sicheren Land für die amerikanischen Erdölinteressen zu machen. In Haiti und Kuba war ich zur Stelle, damit die Jungs von der National City Bank gefahrlos ihre Profite einstreichen konnten."

Trotzdem, meint er, habe sich das Land seit dem Zweiten Weltkrieg in erschreckendem Ausmaß zu seinem Nachteil verändert. Amerikas Imperialismus habe zwar tiefe historische Wurzeln, doch nach dem Zweiten Weltkrieg habe es seine weltbeherrschende Stellung konsequent für die Interessen seiner Reichen missbraucht. Die Nato sei nicht zum Schutz vor den Russen, sondern dazu geschaffen worden, "den USA die militärische, politische und wirtschaftliche Vorherrschaft über das westliche Europa zu sichern". Die erweiterte Nato sei "für unsere Rüstungsindustrie - wenn auch nicht für deren Arbeitnehmer - wie eine Lizenz zum Gelddrucken". Der Kongress habe "seine ausdrückliche Hoheit, über Krieg oder Frieden zu entscheiden, kampflos an die Exekutive abgetreten. Und das war das Ende der amerikanischen Verfassung." Auch "das zweite seiner großen Rechte, die Budget-Hoheit", sei nichts mehr wert, "wenn der Kongress dem Pentagon mehr Geld aufdrängt, als selbst dieses schwarze Loch verlangt hat".

Während die USA zum weltbeherrschenden Imperium wurden, was aber niemand laut sagen darf, und das Wort "liberal" "abgrundtief dämonisiert" wurde, sank im Reiche des Big Business das Realeinkommen der meisten Haushalte um sieben Prozent. Die Freiheitsrechte, so Vidal, würden progressiv so eingeschränkt, dass man von einem Krieg gegen das eigene Volk reden könne. Der große Vorwand sei die Drogen-Hysterie, die nahezu jeden brutalen Übergriff deckt. Er belegt dies mit erschreckenden Beispielen. Man solle sich, meint er, darauf besinnen, "dass die Vereinigten Staaten von Männern gegründet wurden, die glaubten, jeder Mensch habe das Recht, mit seinem Leben anzufangen, was er wolle, solange er seines Nachbarn Streben nach Glück nicht in die Quere käme". Da aber so manches Nachbarn "Traum vom Glück sich in der Verfolgung anderer erschöpft", wirtschafteten sich die USA bereits mit der Prohibition der Jahre 1919 bis 1933 ein gigantisches organisiertes Verbrechen ein. Heute dürfen die Amerikaner wieder saufen. Dafür steht auf dreimaliges Erwischtwerden mit Haschisch oder Mariuhana Lebenslang. Zwei Prozent der Bevölkerung sitzen oder sind nur auf Bewährung frei. Dafür haben die USA "kein Gesundheits- und kein Erziehungswesen, das diesen Namen verdienen würde".

Liest man Gore Vidal, darf man erwarten, dass die US-Außenpolitik Österreichs schwarz-blaue Koalition demnächst in die Arme schließt. Ihre Wirtschafts- und Steuerpolitik sowie der Abbau von Sozialleistungen sind völlig auf US-Linie. Aber auch die aggressiv betriebene negative Besetzung von Wörtern wie "links" und "sozialistisch" für alles noch so brav Großkoalitionär-Sozialdemokratische und die scharfe Linie des Justizministers können dem neuen US-Präsidenten nur gefallen, falls er tatsächlich Bush heißt.

Doch so intelligent Gore Vidal amerikanische Entwicklungen kritisiert, so blind ist er für die europäischen Realitäten der Nachkriegszeit. Man gewinnt den Eindruck, für den 1925 geborenen, wohl schon in der Roosevelt-Ära geprägten Mann sei Stalin im Rückblick noch immer der "Onkel Joe", als den im Zweiten Weltkrieg Präsident Roosevelt Stalin sah. Europa fühlte sich vom Onkel Joe aber wohl nicht nur dank antikommunistischer US-Hetze, sondern zeitweise eben auch sehr real bedroht. Auch über die Sexualität äußert Vidal manch pseudo-fortschrittlichen Blödsinn. Wo er sich um positive politische Alternativen bemüht, stürzt er auf peinliche Weise ins Bodenlose ab. Die weiße "nördliche Konföderation", in der er Europa, Russland, Kanada und die USA zusammenschließen möchte, um den Asiaten standzuhalten, ist schlicht eine Schnapsidee. Trotzdem: Dieses Buch muss man lesen!

Das ist nicht Amerika!

Von Gore Vidal, Albrecht Knaus Verlag, München 2000, 320 Seiten, geb., öS 307,-/e 21,-

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