Das indonesische TRAUMA

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Die Literatur von Indonesien, heuer Gastland auf der Frankfurter Buchmesse, erinnert vor allem an Suhartos mörderische Diktatur.

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Die Literatur von Indonesien, heuer Gastland auf der Frankfurter Buchmesse, erinnert vor allem an Suhartos mörderische Diktatur.

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Just im 70. Jahr seiner Unabhängigkeit ist Indonesien heuer das Gastland auf der Frankfurter Buchmesse. Der Archipel mit über 17.500 Inseln, über 200 Sprachen, zahlreichen Kulturen und fünf offiziellen Religionen (plus zahlreichen inoffiziellen) begeht aber auch einen anderen Jahrestag: vor 50 Jahren begann die mörderische Umwandlung einer postkolonialen Demokratie in eine drei Jahrzehnte währende Militärdiktatur. Die Macht von Suhartos "Orde Baru" ("Neue Ordnung") ist heute noch nicht ganz gebrochen. Das indonesische Trauma sitzt auch tief in der Literatur.

"Der Reisende hatte Verschiedenes fragen wollen, fragte aber im Anblick des Mannes nur:'Kennt er sein Urteil?''Nein', sagte der Offizier ... 'Es wäre nutzlos, es ihm zu verkünden. Er erfährt es ja auf seinem eigenen Leib'", heißt es in Franz Kafkas "In der Strafkolonie". Zehn Jahre Strafkolonie Buru, weitere vier Jahre in anderen Gefängnissen: Diese "Strafe" erfuhr der Schriftsteller Pramoedya Ananta Toer, genannt Pram, durch das indonesische "Gesetz" an Leib und Leben. Es gab keine Anklage, es gab kein Urteil, das Ende der Gefangenschaft war nicht abzusehen. "Uns alle verband, daß wir zwischen 1965 und 1970 von den Organen der Neuen Ordnung ohne offiziellen Haftbefehl festgenommen wurden. Rechtlich betrachtet wurden wir gekidnappt", schreibt Pram in "Stilles Lied eines Stummen" (Horlemann 2000).

Zeit und Geschichte, Gewalt und Erinnern

Es ist schade, dass es wenigstens aus Anlass des Gastlandauftrittes keinen einzigen Titel von Pram auf deutsch gibt, weder neu aufgelegt noch neu übersetzt, denn die indonesische Tragödie ist exemplarisch in sein Schicksal eingeschrieben: Am Ende kidnappt Suharto alle und macht ganz Indonesien zur Strafkolonie.

Kafkas Gefangener kam gerade noch einmal mit dem Leben davon, bevor ihm das Todesurteil in einem zwölfstündigen Martyrium in den Körper gestochen werden konnte. Pram entkam Suhartos Strafkolonie erst 1979, bis dahin hatte die internationale Öffentlichkeit ein waches Auge, und so schuf er dort sogar einige seiner wichtigsten Werke. Inzwischen ist dieser Schriftsteller selbst Geschichte, so erscheint er als eine der zahllosen Referenzen auf Autoren und Künstler in dem aufsehenerregenden Romandebüt von Laksmi Pamuntjak ("Alle Farben Rot", Ullstein 2015). Dieser Roman beschreibt den Terror des Systemwechsels 1965/66 und den Terror von politischer Gewalt und die Unterdrückung danach. Hauptfigur ist Amba, zur Zeit der Ereignisse von 1965/66 eine junge Frau, die ihr Abschlussexamen anstrebt und sich während eines Engagements als Übersetzerin in Bishma verliebt. Der Chirurg hat in Ostdeutschland studiert und verehrt Bertolt Brecht und Rosa Luxemburg. Es ist die große, die wahre Liebe, aber in den Wirren des aufkommenden Putsches verschwindet Bishma aus Ambas Leben.

Da dieser Zeitabschnitt auktorial erzählt wird, erfährt der Leser entscheidende Details über historische Ereignisse und Akteure: über die linke Kulturvereinigung Lekra - zu der auch Pram gehörte -, die Kommunistische Partei PKI, den Frauenverband Gerwani, linke Studentengruppen und Gewerkschaften und ihren Kampf gegen muslimische und militärische Gegner. Aber Ambas Geschichte hat einen dreifachen Fokus, der das große Thema transzendiert: "Zeit und Geschichte, Gewalt und Erinnern". Ihr Name und der ihres Geliebten sowie das tragische Motiv einer Dreiecksgeschichte entstammen dem in Indonesien sehr populären Mahabharata. Als junge Frau bezeugt sie den Anfang der realen Tragödie Indonesiens im 20. Jahrhundert, als Witwe findet sie auf ihrer Suche nach Bishma das Land, das Suharto hinterlassen hat, und am Ende auch Bishmas Briefe aus der Strafkolonie Buru, die er nie schicken durfte -eine deutliche Reminiszenz an "Stilles Lied eines Stummen" von Pram.

Viele Frauen schweigen nicht mehr

Es ist nicht das erste Mal, dass indonesische Autoren sich die Gewaltgeschichte der Militärdiktatur vornehmen, aber es ist das erste Mal, dass wir es international wirklich mitbekommen. Näheres kann man im politischen Lesebuch der Journalistin Anett Keller erfahren ("Indonesien 1965ff. Die Gegenwart eines Massenmordes", regioSpectra 2015), das Essays von indonesischen Akademikern und Publizisten, Porträts von Opferorganisationen sowie Berichte von Zeitzeugen versammelt. Es ist bezeichnend, dass die meisten Zeugenberichte von Frauen stammen, denn weibliche Opfer erfuhren das Leid in Indonesien in vielfacher Weise.

Die Frauen von Gerwani wurden vergewaltigt und gefoltert, bei Hetzjagden, in Gefängnissen und Lagern, sie wurden oft auch nach der Entlassung sexuell von den Schergen des Systems missbraucht. Dazu kam die soziale Stigmatisierung durch den ET-Stempel im Pass (für Ex-Tapol = Exhäftling) - mit allen Nachteilen im Berufsleben, bei der Wohnungssuche, im Alltag. Im übelsten Fall erfolgte die Verstoßung durch die eigenen Männer oder Familien. Viele dieser Frauen und ihrer Freunde kämpfen heute, sie akzeptieren das Schweigen nicht mehr, sie akzeptieren den perfiden Rollentausch der Geschichtsfälschung nicht mehr, der aus ihnen, den Opfern, dämonische Täter macht. Es ist mehr als ermutigend, dass gerade Frauen sich literarisch mit diesem Thema auseinandersetzen.

So auch Leila S. Chudori, die wie viele Schriftsteller Indonesiens vom Journalismus lebt und mit "Pulang (Heimkehr nach Jakarta)", Weidle 2015, eine spannungsvolle Doku-Fiktion vorlegt. Sie führt die in vielen übersetzten Romanen implizierte Kontaktgeschichte zwischen Archipel und Kontinent explizit aus, als Exilthema zwischen Paris und Jakarta: Das ist der räumliche Bogen. Der Zeitrahmen wird zwischen 1965 und 1998 gespannt, Erzählzeit ist kurz vor dem Sturz Suhartos und verbunden wird die Geschichte durch die Ich-Erzählerin Lintang. Sie hat Probleme mit ihrem im Exil verbitterten Vater, der mit seinen Freunden in Paris ein indonesisches Spezialitätenrestaurant führt, aber nie in der europäischen Gesellschaft angekommen ist.

Liebe und Unterdrückung

Aus familiären Spannungen in Paris wird echte Gefahr, als Lintang für ihre Abschlussarbeit an der Filmhochschule nach Jakarta reist. Dort erlebt sie zwei Gewalten: die Macht der Liebe auf den ersten Blick und die Todesgefahr der politischen Unterdrückung. Diese großen Lebensthemen gehen hier vielleicht nicht wirklich tragisch ineinander auf, aber "Pulang (Heimkehr nach Jakarta)" ist eine spannungsvolle Erzählung über viel zu wenig bekannte Verhältnisse.

Die Auslöschung der Linken in Indonesien ist eines der übelsten Verbrechen des Kalten Krieges, die Zahl der Opfer ungeklärt - von bis zu drei Millionen ist die Rede. Dabei war der systematische Massenmord das blutige Vorspiel für einen auch vom Westen gewünschten und unterstützten Systemwechsel. In Ayu Utamis Roman "Larung" (Horlemann 2015) spekuliert ein junger Aktivist über die Beteiligung von CIA und englischem Geheimdienst, aber obwohl das Ende der "Orde Baru" bevorsteht, kann man nichts wirklich wissen: Es gibt kein freies Wort, keine freie Wissenschaft, Kunst und Literatur sind gebunden, und doch gibt es Widerstand. Utamis' vitalistisch anmutendes Erzählen ist eine sinnliche Erkundung dieses Widerstandes. Dabei wird die Suche nach Erhellung bewusst als Risiko der Sprache selbst aufgefasst - totalitäre Gewaltgeschichte lässt sich im Roman nicht wie in einem Schaufenster der Literatur ausstellen.

Und so beginnt im Trüben einer Familiengeschichte, was im noch Trüberen schlecht organisierten Widerstandes enden wird. Der junge Student Larung will aus Mitleid seine geliebte aber hinfällige Großmutter töten. Über deren lastend dunkle Dschungelerzählungen, ein Motiv, das auch die Geheimnisse des Terrors umkreist, gelangt man in die dynamisch rasante Welt New Yorks, wo sich zwei junge Paare in erotischer Befreiung versuchen. Am Ende wird es militant, und auch hier gilt: Der Preis für Widerstand in Zeiten der Diktatur ist das Leben. Aber was ist zu tun? In Kafkas "Strafkolonie" richtet sich der Offizier selbst, weil das Ende seiner Gewaltherrschaft unausweichlich ist. In Indonesien, so zeigt immerhin Utamis' etwas obskurer Roman, richten sich die Henker nie selbst, obwohl ihre Zeit längst gekommen ist (siehe auch Interview mit Ayu Utami, S. 14).

Poesie und Opfergeschichte

Was hat im Schatten des Traumas die Lyrik zu sagen? Sehr viel natürlich, noch mehr als die Romane bietet dieses Genre unabsehbare Kontaktflächen für den beweglichen archipelischen Geist. Poesie geht auf direktem Weg zum Gefühl, erkundet das unfassbare Leid einer Opfergeschichte, die lange Zeit wortlos bleiben musste. Welch ein Diskussionesbedarf da ist, zeigt das Interesse an dem Langgedicht "Das Taschentuch der Fang Yin" von Denny J.A., das an die Opfergeschichte der Chinesen in Indonesien erinnert. Der Text, der die Übergriffe im Wendejahr 1998 thematisiert, als tausende sino-indonesische Frauen vergewaltigt wurden, gilt zwar nicht als "hohe Literatur", wird aber im Internet millionenfach abgerufen.

Zu den bedeutenden Poeten der Gegenwart zählen Agus R. Sarjono ("Gestatten, mein Name ist Trübsinn", regioSpectra 2015); Sitor Situmorang ("Zwischen zwei Kontinenten", Ostasien 2015) sowie Dorothea Rosa Herliany. "gelandet im irgendwo, irre ich", heißt es in ihrem Lyrikband "Hochzeit der Messer" (Verlagshaus Berlin 2015) "durch dieses labyrinth, unterwegs /ohne plan und alles hier /ist finster. ich haste durch den gang / zwischen fluss und absturz".

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