Das Jahrtausendgeschäft

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Das Jahr 2000: Statt Utopien und Endzeitvisionen soll das bis zum Erbrechen vermarktete Millennium volle Kassen bringen.

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Das Jahr 2000: Statt Utopien und Endzeitvisionen soll das bis zum Erbrechen vermarktete Millennium volle Kassen bringen.

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Das Jahr 2000 - seit mindestens drei Jahrhunderten zieht die Magie dieses Datums die Menschen in ihren Bann. Lange Zeit waren fürchterliche Endzeitvisionen und hoffnungsvolle Gesellschaftsutopien mit dem Übergang ins dritte Jahrtausend verbunden, je näher das Datum jedoch rückte, desto mehr verblaßten die apokalyptischen und utopischen Vorstellungen. Nur noch einige religiöse Fanatiker und New-Age-Adepten sind vom kommenden Weltuntergang überzeugt, daß mit Sylvester 2000 bessere Zeiten kommen, daran glaubt schon lange niemand mehr. Das Millennium präsentiert sich als triviales Medienspektakel. Werdende Mütter hoffen, daß ihr Kind um genau Mitternacht das Licht der Welt erblickt und somit als "Millenniumsbaby" weltweit gefeiert wird - dafür haben sie sich im April mächtig ins Bettzeug gelegt. Im Internet wird ein "Sprung ins dritte Jahrtausend angeboten" - mit dem Fallschirm. Die Cheopspyramide erhält für Sylvester 2000 eine goldene Spitze, der amerikanische Popstar Will Smith rappt das "Willennium" herbei. Auch österreichische Marketingexperten wurden kreativ: eine große Handelskette hat das "Billennium" ausgerufen, ein Möbelhaus lockt mit dem "Jahrtausender".

Nicht minder an der Sache vorbei als diese Millenniums-Platitüden gehen auch die bekannten Einwände, daß das neue Jahrtausend nicht mit dem 1. Jänner 2000, sondern erst ein Jahr später beginnt. Im Jahr 532 beschloß der Abt Dionysius Exiguus, nicht mehr den Amtsantritt Kaiser Diokletians - unter dem grausame Christenverfolgungen stattgefunden hatten -, sondern die Geburt Christi an den Beginn der Zeitrechnung zu stellen. Der skythische Mönch errechnete, daß Christi Geburt 532 Jahre zurückläge und erklärte jenes Jahr zum Jahr 1 der neuen Zeitrechnung. Daher sind in Wirklichkeit erst mit dem 1. Jänner 2001 zwei volle Jahrtausende vergangen. In Wirklichkeit? Dionysius hat sich nämlich verrechnet. Mittlerweile ist erwiesen, daß König Herodes, während dessen Regierungszeit Jesus geboren wurde, bereits vier Jahre vor unserer Zeitrechnung gestorben ist. Demnach schreiben wir eigentlich bereits mindestens das Jahr 2004. Es ist also müßig, zu diskutieren, wann das Millennium nun in Wirklichkeit stattfindet. Der Jahrtausendwechsel ist ohnehin ein Produkt unserer Kultur, in der die Zahl 1.000 eine wichtige Rolle spielt. Daher findet die Zeitenwende in den Köpfen der Menschen jetzt statt und nicht erst in einem Jahr.

Das unsere Kultur prägende Denken in Jahrhunderten und Jahrtausenden entstand erst in der Neuzeit. Entgegen der weit verbreiteten Annahme hat im Jahr 999 keine Weltuntergangshysterie geherrscht. "Die wenigen Quellen, die davon berichten, stammen aus der Neuzeit und spiegeln die Ängste ihrer Zeit wieder, etwa Pest und Türkenkriege", bekräftigt Brigitte Rauter, eine der Kuratorinnnen der Millenniums-Ausstellung des Österreichischen Museums für Volkskunde in Wien. Außerdem wußte die Mehrheit der europäischen Bevölkerung im 10. Jahrhundert gar nicht, in welchem Jahr sie lebte, da es keine einheitliche Zeitrechnung gab. Die Jahrhundertwende vom 17. zum 18. Jahrhundert war die erste mit großen Feierlichkeiten begangene. Und schon damals wurde gestritten, wann denn nun das neue Jahrhundert beginne: 1700 oder 1701.

Goldene Zeitalter Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert phantasierten zahllose Zukunftsromane, wie die Welt im Jahr 2000 aussehen würde. Das unendlich weit weg liegende, magische Datum wurde zur Projektionsfläche verschiedenster Utopien, zum Synonym für die Zukunft schlechthin. Mit dem Bestseller "Rückblick aus dem Jahr 2000" des amerikanischen Schriftstellers Edward Bellamy (1887) wurden Zukunftsromane zur Massenlektüre. In den fortschrittsbegeisterten fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts noch erwarteten die Menschen für das Jahr 2000 bemannte Raumflüge zu entfernten Galaxien, eine Weltregierung und atomgetriebene Staubsauger. Wie wir wissen, ist aus all den Träumen vom goldenen Zeitalter, in dem Krankheiten und Kriege, Armut und Unterdrückung der Vergangenheit angehören, nichts geworden.

Ebenso verbreitet wie Utopien waren apokalyptische Endzeitvisionen - wobei der Weltuntergang zumindest für einige Auserwählte durchaus auch paradiesische Zustände einläutet. Die populärste Quelle apokalyptischen Gedankenguts ist die Offenbarung des Johannes, das letzte Buch des neuen Testaments, das namensgebend für die gesamte Literaturgattung wurde (Apokalypse heißt nichts anderes als Offenbarung). Von sieben mal sieben Plagen und Katastrophen, darunter die vier apokalyptischen Reiter, ist darin die Rede, die einen Großteil der Menschheit dahinraffen werden. Am Ende steht der vernichtende Kampf zwischen Gut und Böse, in dem schließlich der wiedergekehrte Messias den Antichristen und das apokalyptische Tier besiegt. Zahlreiche Sektenführer prophezeiten auf Basis dieser Offenbarung den Weltuntergang - und führten damit zumindest ihren eigenen Untergang herbei. 84 Davidianer, darunter ihr Führer David Koresh, verbrannten sich 1993, weil sie in den FBI-Agenten, die ihren Sitz in Waco belagerten, für die Heerscharen des Satans hielten. Für den Jahreswechsel 1999/2000 erwartet etwa die Endzeit-Sekte "Concerned Christians" die Wiederkunft des Messias in Jerusalem. Die israelische Polizei befürchtet einen Massenselbstmord, sollte Christus zu diesem Zeitpunkt nicht wiederkehren.

Säkulare Endzeitvision Allerdings grassiert eine säkulare Form der Endzeitvision: das sogenannte Y2K-Problem. Weil altertümliche Computerprogramme das Jahr 2000 als das Jahr 1900 mißverstehen - sie rechnen nur mit den letzten beiden Stellen der Jahreszahl - könnten Flugzeuge abstürzen, die Stromversorgung von Metropolen zusammenbrechen, Atomkraftwerke durchbrennen oder gar aus Versehen ein atomarer Schlagabtausch zwischen Rußland und den USA ausgelöst werden. Mit diesen Befürchtungen machen Softwarehersteller das Geschäft des Jahrtausends.

Mittlerweile wollen viele nichts mehr wissen vom bis zum Erbrechen vermarkteten Millennium oder gar von Untergangsszenarien. Laut Umfragen wollen weitaus mehr Menschen Sylvester 2000 in Ruhe zu Hause verbringen als in den Jahren zuvor. Vor allem die Reisebranche hat das Millenniumsgeschäft bei weitem überschätzt. Überteuerte Flüge mußten abgesagt werden, so manches Millenniums-Event droht ein Flop zu werden, viele Hotelbetten werden leer bleiben. Auch Hamsterkäufe von Nahrungsmitteln für bevorstehende Katastrophen, sei es apokalyptischer oder computerbedingter Natur, sind bisher ausgeblieben. Der Wiener Psychiater Stephan Rudas jedenfalls hält zumindest die Österreicher für "millenniumsfest": "Weltuntergangsszenarien finden in der österreichischen Mentalitäts-Geografie wenig Resonanz. Für den gelernten Österreicher findet der Weltuntergang täglich und in erträglichen Dosierungen statt."

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