Das Juwel in der Lotosblüte

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In die "Geheimnisvolle Welt des Alten Tibet" entführt die niederösterreichische Landesausstellung auf der Schallaburg.

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In die "Geheimnisvolle Welt des Alten Tibet" entführt die niederösterreichische Landesausstellung auf der Schallaburg.

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Om mani peme hung. Unablässig murmeln Tibeter die heiligen Silben vor sich hin, während sie in ihren Händen Gebetsmühlen drehen. Dieses wichtigste und älteste Mantra im Tibetischen Buddhismus bedeutet wörtlich nichts weiter als "Juwel in der Lotusblüte", besitzt aber einen komplexen Interpretationshintergrund. Es symbolisiert den Erleuchtungsgeist, der sich im menschlichen Bewußtsein entfalten soll. Durch das Rezitieren strebt der Gläubige die Erleuchtung, die Befreiung aus dem leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten, an, nicht aus egoistischen Gründen, sondern um zum Wohle aller Wesen wirken zu können.

Das Mantra ist Chenresig, dem Bodhisattva des Mitgefühls und des Erbarmens zugeordnet, also einem transzendenten Wesen, das sich der Errettung aller Wesen verschrieben hat. Chenresig ist nicht nur der bekannteste Bodhisattva, sondern auch eine der Schutzgottheiten Tibets; der Dalai Lama gilt als seine Verkörperung. In diese so fremde Welt von schützenden und manchmal auch zornigen Gottheiten, von magischen Ritualen und Gebeten, von machtvollen Lamas und einfachen Gläubigen führt die Ausstellung "Geheimnisvolle Welt des Alten Tibet" auf der niederösterreichischen Schallaburg. Sie wird am 21. April mit rituellen Cham-Tänzen eröffnet. Tibetische Mönche in farbenprächtigen Gewändern und mit fein geschnitzten Masken versehen stellen tänzerisch das Mysterium von Leben und Tod dar.

Tibetischer Alltag In der Schau soll vor allem der Alltag der Tibeter und ihre Kultur präsentiert werden. Kleidungsstücke, Haushaltsgegenstände und wertvoller Schmuck geben Einblick in das karge Leben der Nomaden im Hochland, in strenger Kälte und auf harten Böden. Die Yak-Herden sind oft der einzige Besitz der Großfamilien, die in Zelten leben und mit ihre Tieren von Lagerplatz zu Lagerplatz ziehen.

Erstaunlich ist, dass ein Volk, das unter derart unwirtlichen geographischen Umständen mit einfacher Erwerbstätigkeit am Rande des Existenzminimums überlebt, eine derart ästhetische und komplexe Hochkultur entwickelt hat. Thangkas, auf Seide gemalte Rollbilder mit Darstellungen von Gottheiten und Mandalas - geometrischen Bildern, die bei der Meditation helfen sollen -, sind in ihrer Feinheit und Symmetrie jederzeit mit den Kunstwerken anderer Hochkulturen zu messen. So ist in der Ausstellung ein dreidimensionales gläsernes Mandala in der "Schatzkammer" aufgebaut, die das Innere eines tibetischen Sakralraumes wiedergibt.

Der wissenschaftliche Leiter der Ausstellung, der Ethnologe, ehemalige Kunsthändler und begeisterte Tibetfan Gerhardt Schuster versucht, die Schallaburg als Ganzes in tibetische Atmosphäre zu tauchen. Der steile Aufgang zur Burg ist mit Tausenden von Gebetsfahnen geschmückt. Auf ihnen sind gute Wünsche zum Wohlergehen aller Wesen gedruckt, die der Wind über die Erde verbreiten soll, um Segen zu bringen. Die gleiche Funktion haben die Manisteine, die den Weg säumen. Der Renaissance-Innenhof wird vom Architekten Ramesh Kumar Biswas in einen tibetischen Tempelvorhof verwandelt, mit einem Darchen, einem heiligen Pfahl, in der Mitte.

Die Ausstellung selbst umfasst die gigantische Menge von über 900 Exponaten, anstelle der sonst üblichen 100 bis 200 Objekte. Zehn Museen aus ganz Europa haben sich mit zum Teil einzigartigen Prunkstücken an der Tibet-Schau beteiligt. So stellt das Völkerkundemuseum München 250 vergoldete Skulpturen zur Verfügung. Diese stellen entweder den historischen Gründer des Buddhismus, Buddha Shakyamuni, dar oder einen der zahlreichen transzendenten Buddhas und Bodhisattvas des tibetisch-buddhistischen Pantheons.

Unter den Objekten befindet sich eine ein Meter hohe (!) goldene Statue von Chenresig, der am häufigsten angerufen wird, um Gläubige in Not zu erretten. Weiters findet sich ein 66 cm hoher Buddha mit Türkisen und Korallen besetzt unter den Leihgaben. Buddha selbst hatte zu seinen Lebzeiten immer abgewehrt, als göttliches Wesen verehrt zu werden, sondern darauf bestanden, lediglich als Lehrer anerkannt zu werden. Doch die Nachwelt hat sich darum nicht viel geschert und ihn in den Zustand der Transzendenz erhoben. So gibt es heute irdische, transzendente, vergangene und zukünftige Buddhas. Eine ausgefeilte Ikonographie gibt dem Gläubigen die Möglichkeit, die vielzähligen Buddhas mit ihren unterschiedlichen Qualitäten und Fähigkeiten voneinander zu unterscheiden.

Die Exponate wurden nicht einfach nur ausgepackt und aufgestellt, sondern - aus versicherungstechnischen Gründen - sorgfältig von zwei Kustoden untersucht und ihre Beschaffenheit genauestens protokolliert.

Ein Aspekt der Ausstellung ist die tibetische Kunst des Buchdruckes. Hier stellt die Bayerische Staatsbibliothek, die über die größte Sammlung tibetischer Schriften verfügt, zahlreiche Objekte zur Verfügung, darunter solche, die nie zuvor in der Öffentlichkeit zu sehen waren. Die tibetische Schrift ist erst im 7. Jahrhundert n. Chr. im Auftrag des Königs Songtsen Gampo entwickelt worden, aufbauend auf dem Sanskrit-Alphabet und der Gupta-Schrift. Für die Beschriftung von Buchdeckeln, Gebetsmühlen und anderen Kultgegenständen wurde eine besondere Zierschrift verwendet.

Heilige Schriften Die tibetischen Bücher sind länglich, weil man die Form der schmalen indischen Palmblatt-Manuskripte übernommen hat - aus Respekt vor den Heiligen Schriften. Besonders wertvolle Handschriften wurden mit Gold- oder Silberschrift auf schwarz lackiertem Grund geschrieben und mit feinen Miniaturen verziert. Die Buchseiten wurden zwischen zwei Holzdeckel gelegt und in gelbes Tuch eingeschlagen. Diese Buchdeckel wurden aufwendig künstlerisch gestaltet, mit geschnitzten Buddha-Figuren und Malereien. Seit dem 15. Jahrhundert wurde die Technik des Blockdruckes in Tibet regelmäßig angewandt. So wurde der Kanjur, die Lehrreden Buddhas, sowie der Tanjur, die Kommentarwerke, mit Blockdruck hergestellt. 48.000 beidseitig beschnitzte Druckplatten waren dazu nötig. Viele bedeutende Klöster betrieben eine eigene Druckerei, die religiöse Texte und Gebetsfahnen druckten.

Ein besonders wertvolles Stück der Ausstellung ist ein auf Stoff geschriebener Erlass des 7. Dalai Lama, der als Geschenk mit einer Delegation nach Europa und dort im weiteren Verlauf in die Hände von Lucrezia Borgia sowie des Königs von England kam.

Ein weiterer Aspekt der Ausstellung ist die tibetische Medizin. Hier kommen Leihgaben des Heinrich-Harrer-Museums in Kärnten zum Tragen. Die tibetische Heilkunde geht von einer Einheit von Körper und Geist, von innerer Haltung und physischer Gesundheit aus. Zur Vorbeugung sowie zur Behandlung von Krankheiten werden vor allem Kräuterpillen, Tees und Diätvorschriften verwendet, außerdem Akupunktur und Moxa, das Verbrennen von Räucherkegeln auf der Haut. Bestimmte Krankheiten sind nach Auffassung tibetischer Ärzte nicht heilbar, da sie karmisch bedingt sind, also durch negative Absichten und Taten in früheren Leben hervorgerufen. Die anatomischen Erkenntnisse wurden auf Medizin-Thangkas dargestellt, die den Schülern als Anschauungsmaterial dienten. Auf der Schallaburg wird auch ein Symposium zur Tibetischen Medizin veranstaltet - Teil eines umfangreichen Begleitprogrammes, das von einer tibetischen Rassehunde-Schau bis zu Tibetfilmen und Diavorträgen reicht.

Ritualgegenstände Der Schwerpunkt liegt auf Kult- und Ritualgegenständen, da der gesamte Alltag der Tibeter von der Religion durchdrungen ist. Vor jeder wichtigen Handlung, sei es Reise, Hochzeit, Einkauf, wird der Astrologe oder Orakeldeuter befragt. An Reliquienschreinen am Wegesrand gilt es, Verbeugungen zu machen, Reiskörner zu opfern und Gebetsfahnen aufzuhängen. Die wichtigsten Utensilien eines Lamas sind Glocke und Dorje. Letzterer ist ein Ritualinstrument, abgeleitet vom Donnerkeil des hinduistischen Gottes Indra und Symbol für die unveränderliche Leerheit und Klarheit als Grundlage der Wirklichkeit. Glocke und Dorje stehen für Methode und Weisheit als die zwei wichtigsten Faktoren auf dem Weg zur Erleuchtung. Beide zusammen stehen für den Dualismus der Welt, der sich in der Meditation auflöst.

21. April bis 28.Oktober Informationen: www.schallaburg.at

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