Das kleine Geld gegen Elend

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Mikrokredite sind in den vergangenen Monaten vermehrt in negative Schlagzeilen geraten. Ein Lokalaugenschein auf den Philippinen zeigt, wie die Kleindarlehen positiv wirken können.

"Nach dem Tod meines Mannes musste ich die Kinder von einem Tag auf den anderen alleine ernähren. Ich wusste nicht mehr weiter. Ich war verzweifelt. Die "Women’s Rural Bank“ gab mir einen Kredit über 1500 Pesos und zeigte mir, wie man Banana-Chips macht. So habe ich angefangen. Jetzt ist mein jüngster Sohn zehn Jahre alt und die anderen sind schon aus dem Haus und verdienen ihr eigenes Geld“, erzählt Flori Logmabez.

Auf einem wackeligen Holztisch verkauft sie auf dem Markt von Rosario in der Region Calabrazon im Herzen der Philippinen ihre in Plastik verpackten Banana-Chips. Rund um sie kleine hölzerne Standln mit Schweineköpfen, Hühnern und sortierten Fischen. Zu Pyramiden aufgehäufte Mangos und Büschel mit Bananen, Reis in allen Variationen.

Die Witwe und Mutter von vier Kindern beginnt zu weinen, wenn sie an ihre Anfänge als Geschäftsfrau vor einigen Jahren zurückdenkt. Der Mikrokredit der "Women’s Rural Bank“ hat Flori Logmabez zur Kleinunternehmerin gemacht und ihr ermöglicht, wirtschaftliche Eigeninitiative zu ergreifen.

Die "Women’s Rural Bank“ in Rosario in der Region Batangas hat in den vergangenen Jahren - seit ihrer Gründung durch sechs engagierte Frauen 1998 - bereits mehr als 25.000 Mikrokredite an Klientinnen vergeben. "Die Women’s Rural Bank möchte Frauen auf dem Land eine Chance geben, wirtschaftlich auf eigenen Beinen zu stehen“, sagt die Mitbegründerin und Präsidentin der "Women’s Rural Bank“, die 72-jährige ehemalige Universitäts-Professorin für Landwirtschaft, Angelina Briones. "Wir geben den Frauen Mikrokredite, die sie mit nur zwei Prozent zurückzahlen. Die illegalen Kredit-Haie verlangen oft mehr als 20 Prozent! Ein positiver Nebeneffekt ist, dass durch den wirtschaftlichen Erfolg und die finanzielle Unabhängigkeit das Selbstvertrauen dieser Frauen wächst. 25.000 Klientinnen hatten wir bisher. Einige kommen zu uns und erzählen stolz, dass sie weiterführende Schulen für ihre Kinder finanzieren oder Krankenhausaufenthalte für ein Familienmitglied bezahlen konnten. Das sind sehr konkrete, positive Ergebnisse.“

60 Milliarden Dollar

Die "Women’s Rural Bank“ wird über die Initiative WISE ACT von der kfb, der Katholischen Frauenbewegung Österreich, unterstützt und ist nur eines der inzwischen unzähligen Institute weltweit, das Mikrokredite vergibt.

Das Volumen der Mikrokredite wird weltweit inzwischen auf 60 Milliarden Dollar geschätzt. Und man geht von mehr als 100 Millionen Kundinnen aus. Überwiegend sind es Frauen, die durch die Mikrokredite eine Anfangschance zur wirtschaftlichen Partizipation erhalten. Und die ihre Kredite auch überaus zuverlässig zurückzahlen.

Mikrofinanzierung galt in den letzten Jahren als DAS Erfolgsrezept im Kampf gegen Armut. Kleine Geldsummen werden mit niedrigen Zinsen an Menschen verliehen, die sich selbständig machen wollen, selbst aber über zu wenig finanzielle Mittel dazu verfügen und bei kommerziellen Banken wegen fehlender Sicherheiten keinen Kredit bekommen. Die Kreditsummen sind relativ gering und betragen meist zwischen einem und 500 Euro.

Missbrauch einer Idee

Spätestens seit der Verleihung des Friedensnobelpreises im Jahr 2006 an Muhammad Yunus und die Grameen Bank in Bangladesch sind Mikrokredite einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Muhammad Yunus brachte die Bank zu den armen Frauen in die Dörfer, da die Frauen nicht zu den Banken gehen konnten, und bewirkte damit auch eine Förderung des Kleinunternehmertums, der wirtschaftlichen Eigeninitiative. Doch nicht erst seit der Entlassung des Nobelpreisträgers als Direktor der von ihm selbst gegründeten Grameen Bank durch die Zentralbank, der ein längerer Zwist mit der Premierministerin Bangladeschs vorangegangen war, hat das Konzept der Mikrokredite, das einst so populäre Instrument der Armutsbekämpfung, Risse bekommen.

In Indien gab es eine Selbstmordserie von Frauen; Auslöser sollen die ausständigen Zinszahlungen ihrer Kredite gewesen sein. Aber auch in anderen Ländern Südasiens - der Region mit der größten Verbreitung von Mikrokrediten - gibt es Probleme. Dort kam es innerhalb kurzer Zeit zu einem enormen Wachstum von Mikrofinanzinstitutionen (MFI).

"Viele missbrauchen die Idee“, klagte Nobelpreisträger Muhammad Yunus in einem Interview mit der "ZEIT“. "Sie nehmen sie, um damit möglichst viel Geld zu verdienen. Sie ziehen Investoren an und wollen an die Börse. Das ist verkehrt!“

Ninita Beniforma ist eine der mehr als 100 Millionen Kundinnen einer Mikrofinanzierungsinstitution, die ihre geringen Zinsen immer pünktlich zurückzahlt. Ninita Beniforma ist 57 Jahre alt, verheiratet und hat drei Kinder im Teenager-Alter. Sie betreibt einen der auf den Philippinen an jeder Ecke zu findenden "Sari-Sari-Store“, am besten vielleicht mit "Tante-Emma-Laden“ zu übersetzen. Er liegt in einer Siedlung am Rande eines riesigen Fabriksgeländes. Kleine Häuschen aus Holz unter tropischer Vegetation. "Ich habe den Sari-Sari-Store eröffnet, nachdem die Fabrik von einem Tag auf den anderen geschlossen wurde. Da waren mein Mann und ich, wie so viele andere in unserer Siedlung, arbeitslos. Also habe ich einen Kredit aufgenommen. Mit diesem Geld habe ich ein paar Packungen Kaugummis, Taschentücher und andere Kleinigkeiten gekauft und einen Tisch vor mein Haus gestellt. Mit dem Erlös bin ich wieder gegangen und habe mehr Ware gekauft“, erzählt Ninita Beniforma.

Mittlerweile ist Ninita Beniforma durch ihren Fleiß ein Beispiel für viele in der Siedlung geworden. Sie spricht von ihren Kindern, dass all ihre Ersparnisse in deren Ausbildung geht, von einer kleinen Garküche beim Busbahnhof, die sie gerne pachten würde. Und die 57-jährige, rundliche Frau mit der positiven Ausstrahlung ist jemand, die ihren Erfolg teilt, sich um besonders Benachteiligte kümmert und sich für sie einsetzt.

Ninita Beniforma hat immer klug und vorsichtig gewirtschaftet. Anders als viele Kreditnehmer, bei denen es zunehmend üblich geworden ist, einen Mikrokredit durch einen Kredit bei einer anderen MFI oder bei einem Geldverleiher zu tilgen. Diese multiplen Kreditaufnahmen führen bei vielen Kreditnehmern zu Überschuldung. Und dementsprechend zu Verzweiflung.

Ob die Selbstmordserie in Indien aber tatsächlich in direktem Zusammenhang mit nicht rückbezahlten Zinsen steht, ist nicht klar.

Kontroversen um Mikrokredite

Die Wirkung der Mikrofinanzierung auf die Armut wird in letzter Zeit allerdings kontrovers diskutiert. Zahlreiche Studien und Evaluierungen erbrachten positive Resultate und zeigten, dass sich die Einkommen der Kreditnehmer erhöhten und sich dadurch der Bildungs- und Gesundheitsstand der Familien verbesserte. Aber auch hier konnte der Nachweis, dass diese positiven Effekte auf Mikrokredite zurückzuführen seien, nicht eindeutig erbracht werden. Zahlreiche Hilfsorganisationen wie die kfb und die Christoffel Blindenmission unterstützen Einrichtungen, die Mikrokredite vergeben.

Gleich neben ihrem aus einem einzigen Raum bestehenden Häuschen hortet Rema Arata ihre sorgfältig gesammelten und getrennten Schätze: Plastikflaschen und Glas liegen in großen Haufen, in einem eigens abgesperrten Bereich werden Kupferdrähte und Batterien verwahrt. Der Mikrokredit von KUMARE war eine wichtige Starthilfe. Doch auch darüber hinaus‚ hat der Projektpartner der kfb der Familie geholfen, erzählt Rema Arata: "Der Taifun Ondoy im Jahr 2009. Alles hat er zerstört. Das Dach unseres Hauses wurde weggeblasen. Und mein Fahrrad mit Anhänger, mit dem ich den Müll sammle, war kaputt. Ich wusste nicht mehr weiter. Ich habe viel gebetet. 3000 Pesos habe ich von KUMARE bekommen. Die musste ich nicht zurückzahlen! Und dann haben sie meinem Sohn auch noch ein Stipendium gewährt und das Schulgeld bezahlt.“

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