Das KunstMuseumPalais

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Die bedeutendste Grafiksammlung der Welt, die Albertina, wird am 14. März wiedereröffnet.Erstmals sind die historischen Prunkräume zugänglich.

Wien. 12. März 1945: die Stadt im Bombenhagel. Eine Bombe richtet mäßigen Schaden an jenem Haus an, das die bedeutendste Grafische Sammlung der Welt beherbergt, der Albertina. Die benachbarte Wiener Staatsoper wird weitgehend zerstört. Während diese aber großzügig wieder aufgebaut wird, soll die Albertina abgerissen werden. Es gilt, eine alte Hass-Rechnung gegen den letzten Bewohner des Palais zu begleichen. Der glücklose Habsburger Erzherzog Friedrich war der letzte Oberkommandierende der Truppen der österreichisch-ungarischen Monarchie gewesen. Die geplante Devastierung machte angesichts der herrlichen Prunkräume Halt, das Haus bekam eine unsägliche Arbeiterkammerbarock-Fassade appliziert. Wien, 58 Jahre später, 13. März 2003: Die Albertina wird endlich wieder in altem Glanz erstrahlen - mit neuen Zielen.

Modernstes Bundesmuseum

Der Direktor des Hauses, der Kunsthistoriker Klaus Albrecht Schröder, hat seit seiner Bestellung vor drei Jahren für eine Vision gekämpft. Mehr als 100 Millionen Euro konnte er vom Bund, der Stadt Wien und privaten Sponsoren lukrieren, um dem 250 Jahre alten Wohnpalast im Herzen Wiens einerseits seinen herrschaftlichen Charakter zurückzugeben und andererseits das modernste Bundesmuseum Österreichs zu schaffen.

Als Herzog Albert 1822 starb, hinterließ er 1.100 Kassetten mit 15.200 Zeichnungen und rund 160.000 Kupferstiche in 884 Bänden. Eine unermesslich reiche Schatzkammer: allein 100 Zeichnungen von Albrecht Dürer, Werke von Leonardo da Vinci, Michelangelo, Raffael, Rubens, Rembrandt...

Der größte Feind jeder Zeichnung ist das Licht. Dauerausstellungen der Albertina-Schätze kann und wird es auch in Zukunft nicht geben. Klaus Albrecht Schröders neues Konzept - die Schatzkammer Albertina zu hüten und dennoch erhoffte 400.000 Besucher jährlich anzulocken - zeigt sich am neuen Namen des Hauses: Die Albertina wird nicht mehr "Grafische Sammlung" heißen, sondern KunstMuseumPalais. Das Palais soll den Lebensstil der zweiten dynastischen Ebene, gleich nach dem Kaiserhaus, spiegeln. Zum erstenmal werden 18 historische Prunkräume mit ihren herrlichen Intarsienböden, seidenen Wandbespannungen, Vergoldungen und Statuen mit eigener Eintrittskarte zu besichtigen sein.

In der Albertina wird man von nun an eintauchen können in jene Atmosphäre, die der Gründer der Grafischen Sammlung, Herzog Albert von Sachsen-Teschen, sein Adoptivsohn Erzherzog Carl, der Napoleon-Besieger von Aspern, Erzherzog Albrecht (sein Reiterstandbild steht auf der Albrechtsrampe) und der letzte Albertina-Bewohner, Erzherzog Friedrich - vier Generalfeldmarschälle - dem Haus gaben. Doch ist der zentrale Ballsaal der Albertina nicht martialisch ausgestattet, sondern mit Skulpturen von Apoll und den neun Musen. Und wo sich heute eine neue unterirdische Ausstellungshalle befindet, tauchten während der Bauarbeiten 130 römische Gräber aus dem zweiten bis vierten Jahrhundert auf. Goldketten, Goldarmbänder, neun Meter unter der Erde; nicht zu vergessen Teile der mittelalterlichen Wehrmauer von Wien.

Bisher konnten sich Liebhaber der Zeichnung kostbarste Werke in den Studiensaal kommen lassen, um in intimer Begegnung das Wunder zu erleben, "wie der ganze Geist unmittelbar in die Fertigkeit der Hand übergeht" (Friedrich Hegel). Das wird es nicht mehr geben. Forscher freilich haben weiterhin Zugang zur grafischen Kunst der Albertina. Schröders Präsentationskonzept sieht so aus: Neueste Lichttechnik ermöglicht es, die großen Meister der Albertina für einen beschränkten Zeitraum zu sehen, ohne im Schummerlicht schwindlig zu werden. Also etwa Dürer-Blätter vom 4. 9. bis 30. 11. 2003. Bei allem, was gezeigt wird, wird es sich um Originale handeln. Faksimiles erübrigen sich jetzt.

Zeichnungen und Bilder

Neu ist auch das Ziel, Zeichnungen und Gemälde aus einer Künstlerhand zusammenzuführen. Schröder hält nichts davon, Zeichnungen unter Quarantäne zu stellen. So wird Dürers "Vater" aus der Albertina dem Gemälde aus den Uffizien gegenübergestellt, ebenso "Christus unter den Schriftgelehrten" dem Bild aus der ThyssenBornemisza-Sammlung in Madrid. Dieser Gedanke steht auch hinter der ersten Sonderausstellung "Edvard Munch. Thema und Variation" (14. 3.-22. 6. 2003). Munch hat, wie Albrecht Dürer, Rembrandt und Goya, ein bedeutendes malerisches Werk hinterlassen, aber in der Zeichnung noch Größeres geleistet. Der neuen Programmlinie entsprechend dokumentieren 70 Gemälde von Munch und 200 Druckgrafiken, Aquarelle, Pastelle und Zeichnungen sein schöpferisches Umgehen mit Malerei und Lithografie, Holzschnitt und Radierung.

Zeichnung in neuen Medien

Herzog Albert und seine Gemahlin Christine, die Lieblingstochter Kaiserin Maria Theresias, waren die reichsten Menschen der Monarchie. Geld spielte beim Erwerb von kostbarsten Grafiken keine Rolle. Der Sammler Albert kaufte nicht nur alte Meister, sondern auch Zeitgenössisches, und das mit atemberaubender Urteilssicherheit. Schröders Budget für Neuankäufe ist lächerlich: Die Republik gibt 30.000 Euro pro Jahr, dazu kommen 170.000 Euro von Sponsoren. Sein Credo für Neuerwerbungen: "Ich werde nur Kunstwerke kaufen, von denen ich überzeugt bin, dass sie ebenso wichtig sind wie der Feldhase' von Dürer, der Rückenakt' von Michelangelo oder die Gewitterlandschaft' von Rembrandt zu ihrer Zeit." Seit Alberts Zeiten waren Käufe bestimmt von der Papiergröße: Nur was dem Format der Albertina-Kassetten entsprach, hatte eine Chance, als Albertina-würdig anerkannt zu werden.

Einer der ersten Schritte Schröders war es, ein Großformat-Depot einzurichten. Auch wird zukünftig in der Albertina der Tatsache Rechnung getragen, dass die Zeichnung das Blatt Papier verlassen hat. Der amerikanische Konzeptkünstler Sol Lewitt schreibt Partituren für Zeichnungen, die wie Noten in der Musik jederzeit neu "interpretiert", ausgeführt werden können. Der Südafrikaner William Kentridge macht Zeichnungen auf zweieinhalb mal zwei Meter großen Blättern. Bevor er diese ausradiert und überarbeitet, filmt er das Blatt kurz. Mehrere hundert Varianten werden so gefilmt: Die Zeichnung ist in ein anderes Medium gewandert.

Das Sprengen der Gattungsgrenzen, charakteristisch für den Weg der Kunst nach 1960, soll in der Albertina neu ebenso erkennbar werden wie die Bedeutung der Fotografie in der modernen Kunst. Die Albertina besitzt die größte und historisch wichtigste Sammlung an Fotografien des 19. Jahrhunderts. Wurde sie bisher als "Archivmaterial" gehütet, soll sie von nun an als Kunstform präsentiert werden. Das 18. Jahrhundert dachte grafisch, das 19. fotografisch. Die Form, die das 20. Jahrhundert geprägt hat, ist das Kino. Das Österreichische Filmmuseum ist ebenfalls in der Albertina beheimatet.

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