Das Leben aus der stillen Kraft des Hörens feiern

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25 Jahre Osterfestival Tirol der Galerie St. Barbara. Ein jährliches Ereignis im Namen der Toleranz und wider die Gleichgültigkeit. Heuer steht es unter dem Motto "massiv.ich".

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25 Jahre Osterfestival Tirol der Galerie St. Barbara. Ein jährliches Ereignis im Namen der Toleranz und wider die Gleichgültigkeit. Heuer steht es unter dem Motto "massiv.ich".

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Ein Mann erlebt im kriegsumtosten Sarajewo 1992, wie 22 Menschen getötet werden, die um Brot anstanden. In den nächsten 22 Tagen setzt er sich unter Lebensgefahr mit seinem Cello an die Todesstelle und spielt ein Adagio von Albinoni. Spielt an gegen den Krieg. Jahre später, vor Ostern in Innsbruck und Umgebung: An 22 Tagen jeweils um 15 Uhr spielen 22 Cellisten an verschiedenen Orten im Gedenken an die mutige Tat des bosnischen Kollegen.

Das Osterfestival Tirol beginnt stets mit solchen täglichen Inseln des Innehaltens. Dann entfalten sich in rund drei Wochen bis Ostern Passionsmusiken, Orchesterkonzerte, traditionelle und zeitgenössische Musik aus verschiedenen Kontinenten, Tanz, Theater, Filme und Gespräche zu einer Ereignisbündelung wider die Gleichgültigkeit.

Wider die Konformität

Das diesjährige 25. Osterfestival Tirol in Innsbruck, Hall i.T. und Wattens unter dem Motto "massiv.ich" thematisiert "den immer unfruchtbarer werdenden Egoismus des Einzelnen. Rücksichtslosigkeit und Desorientiertheit auf der einen Seite und andererseits Konformität, Gleichschaltung in der freiwillig aufgesuchten Masse".

Johann Sebastian Bach ist ein bleibender Schwerpunkt des Osterfestivals, heuer markant mit der Matthäuspassion (Frieder Bernius, 15. März), der verschollenen, von Rudolf Leopold rekonstruierten Markuspassion (27.) und dem Osteroratorium (Frans Brüggen, 30.). Komponistennamen wie Cage, Ligeti, Stockhausen, Feldman, Ustvolskaya und Cardew, auch Barockmusik von Buxtehude (24.) tragen Traditionen weiter. Die ethnische Schiene wird mit indischer Musik (22.) und dem Ballett Kambodscha (23.) fortgeführt. Intensiviert wurde in den letzten Jahren der zeitgenössische Tanz. Am Karfreitag gastiert der Puppenspieler Nikolaus Habjan mit seinem Zawrel-Stück.

Das Jubiläumsprogramm spiegelt den Geist des Osterfestival Tirol. Es wurde nicht spekulativ aus dem Boden gestampft. 21 Jahre lang ist ihm, gespeist von künstlerischem Spürsinn, konzeptionellem Umfeld, sozialem Engagement und emotionaler Tragfähigkeit, der Nährboden bereitet worden. Die Festival-Quelle entspringt in Hall i. T.

Begegnung der Kulturen

Seit 1968 gibt es dort die Galerie St. Barbara mit Schwerpunkt Musik und Tanz, geleitet von Gerhard und Maria Crepaz. Ab 1972 wurde die Einrichtung weit über Tirol hinaus wirksam. Nicht zuletzt, weil da junge Künstler ersten Ranges auftraten, bevor sie von der Welt entdeckt wurden: das Alban Berg Quartett, Jordi Savall, René Jacobs, Musica Antiqua Köln, Il Giardino Armonico, Markus Hinterhäuser, Pierre-Laurent Aimard, später Philippe Jaroussky und viele andere. In Hall gab es Neue Musik, wie sie die Musikszene aufmischte, aber in weitem Umfeld nicht zu erleben war. Den bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten konnte man begegnen: György Ligeti, Cornelius Cardew, Terry Riley, Steve Reich, Michael Nyman, Gavin Bryars, Klaus Huber, Friedrich Cerha, Dieter Schnebel, Karlheinz Stockhausen, John Cage, Conlon Nancarrow. Aber es war auch die Zeit, als die Alte Musik neu entdeckt wurde, auch da war die Galerie St. Barbara früh mit dabei. Dazu Kammermusik und Liederabende, Jazz war ein Thema und Tanz.

Zentral die Begegnung der Kulturen, da sind eine übergreifende Spiritualität und politische Aufmerksamkeit besonders spürbar. 1989 veranstalteten Crepaz &Crepaz das erste Osterfestival, das damals noch "Musik der Religionen" hieß. Es ist - mittlerweile von der nächsten Generation geleitet - das Herzstück der Galerie St. Barbara. Gerhard Crepaz spricht über das Wesen des Festivals als "Dialog zwischen Kultur und Religion, sich in Toleranz dem anderen, dem Fremden zu öffnen, indem man es zuerst einmal kennen lernt. Das Festival wendet sich an ein breites Publikum, das über Grenzen des Geschmacks, der Emotion und intellektueller Traditionen hinweg bereit ist, das Leben aus der stillen Kraft des Hörens gemeinsam zu feiern."

Durch die Authentizität der Künstler und oft erstmalige Auslandspräsentationen hermetischer Kunst kommt es zu außergewöhnlichen Begegnungen. Es gab bisher indische Ragas und Tänze, balinesischen Gamelan, japanischen Zen, Musik vom Berg Athos, ein jiddisches Fest, korsische Karfreitags-Tradition, türkische Musik, Karwoche

Indische Musik

Bambusflötist Hariprasad Chaurasia, bedeutender Virtuose indischer Musik zwischen uralter Tradition und neuem Ausdruck (o.). "Irgendwo" heißt das Tanztheater-Stück der Choreographin Malou Airaudo, die aus Pina Bauschs Ensemble kommt (u.). in der Sixtina, Musik der Indios, griechischbyzantinische Kirchenmusik, Theater und traditionelle Musik aus Japan und Korea, afghanische, persische und marokkanische Musik, persische Trommler und Tänze, Spuren der Sephardim, Tänze und Gesänge der syrischen Derwische, peruanische Barockmusik, höfische Musik aus Burma, buddhistische Gesänge, klassische Musik aus dem Iran und vieles mehr.

Probleme und Rückschläge gab es genug und dagegen gesetzte Durchhaltekraft. Im dunklen Frieden der einst durchfeierten Osternächte war jeder im Kirchenraum auf dem Weg zu sich selbst. Und da war jener denkwürdige Karfreitag 1997, als Dieter Schnebel, Geistlicher und bedeutender Komponist, als evangelischer Pfarrer in der Innsbrucker Jesuitenkirche predigte und die Uraufführung seines "lamah/warum?" begleitete.

Osterfestival Tirol

15. bis 31. März 2013

Innsbruck/Hall i. T./Wattens

www.osterfestival.at

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