"Das Leben ist so schön kompliziert“

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Am Theater kann man - im Unterschied zu Film und Fernsehen - komplizierte Vorgänge nicht kurz abhandeln, meint Ignaz Kirchner. Und: Das Theater eröffnet ganz andere Freiräume.

Der Burgschauspieler Ignaz Kirchner ist ab 20. April als Freitag in der Dramatisierung von Daniel Defoes Roman "Robinson Crusoe“ zu sehen. Die FURCHE sprach mit Kirchner über Machtverhältnisse, Fernando Pessoas "Buch der Unruhe“ und wie man selbst den ärgsten Bösewichten eine positive Seite abgewinnen kann.

Die Furche: Am Freitag ist erstmals der englische Bildungsroman "Robinson Crusoe“ am Theater zu sehen. Wie darf man sich die Bühnenversion vorstellen?

Ignaz Kirchner: Das ist ja angeblich ein Buch, das jeder kennt, dabei haben die wenigsten den vollständigen Roman gelesen. Man kennt ihn zumeist durch Kinderbücher und durch ein paar - furchtbare - Filme. Aber nun wird es am Theater eine schöne Überraschung geben, eine richtige Surprise.

Die Furche: Sie sind auch hier wieder in der Rolle des Unterlegenen, des Menschenfressers Freitag, zu sehen. Wie kommt es, dass Sie oft in Herr-Knecht-Konstellationen spielen?

Kirchner: Er ist ja nur scheinbar der Knecht. In Wirklichkeit geht es doch auf der ganzen Welt um solche Machtverhältnisse. Die Frage muss heißen: Wie kommt der Knecht dahin, dass er meint, er ist der Knecht? Denn es gibt ja keinen Herrn ohne Knecht. Da geht es um Schlauheit und das Spiel mit den Verhältnissen. Wenn von der Beziehung nicht gerade das Überleben abhängt, könnten die Knechte doch ihre Verhältnisse jederzeit verlassen. Die Konstellation ist auch mit der Arbeitswelt vergleichbar, wo es nicht nur um Herr und Knecht geht. Das ist vielfältiger. Die Arbeitgeber lassen die Angestellten glauben, dass sie gar keine Knechte sind. Und deswegen schreit ja auch keiner. Das könnte auch für die Korruption in Österreich gelten: Da passiert kaum etwas, da wird ja keiner verurteilt. In Deutschland hätten da schon einige zurücktreten müssen. Heute traue ich mich, das zu sagen, aber als ich vor 26 Jahren nach Wien kam, hätte ich das nicht artikulieren dürfen, da galt ich als Piefke.

Die Furche: In Wien sind Sie mit der Rolle des Jago in "Othello“ zum Star geworden. Was war das Besondere an Ihrer Darstellung?

Kirchner: Meine Lesart von Jago war eine ganz spezielle. Wenn man eine so negative Rolle wie den Jago spielt, dann muss man besonders die positiven Elemente suchen. Ich mache das auch privat. Ich versuche immer etwas Schönes zu finden. Auch schlimme Menschen haben irgendein Detail, das attraktiv, positiv ist.

Die Furche: Das heißt Sie kontrastieren Ihre Rollen gerne?

Kirchner: Ja, natürlich, es wäre doch langweilig, nur eine Seite zu zeigen. Tatsächlich spiele ich am liebsten Bösewichte oder zwiespältige Figuren, die sind am spannendsten. In "Robinson Crusoe“ geht es zusätzlich um kolonialistische, imperialistische Aspekte, nicht nur um die Herr-Knecht-Beziehung. Das Schöne am Spiel ist, dass man Tausende Möglichkeiten zeigen kann, als Untergebener Widerstand zu leisten. In Thomas Bernhards "Elisabeth II.“ etwa stehe ich hinter dem Rollstuhl meines Herrn, der die immer gleichen, langweiligen Geschichten erzählt. Ich schneide dann Grimassen hinter ihm.

Die Furche: Wenn Sie auf der Bühne stehen, dann vermitteln Sie das Gefühl der Sicherheit und der gleichzeitigen Verletzlichkeit. Wie bereiten Sie sich auf eine Rolle vor?

Kirchner: Es gibt tausend Methoden des schauspielerischen Zugangs. Ich sammle beispielsweise alles zu einer Rolle und einem Stück. So schneide ich etwa Bilder aus, die mir irgendwie wichtig erscheinen. Diese Ausschnitte werden in ein Buch eingeklebt. Da ist alles dabei, was mich interessiert: Gesten, Moden, Gegenstände. Das mache ich schon seit 1976 (zeigt das Buch). Hier ist zum Beispiel ein Bild eines Mannes, der mit Menschenfressern gelebt hat, da steht dann in seiner Sprache: "Ich komme als euer Essen.“ Das kann ich jetzt für die Rolle des Freitag brauchen. Ich sehe mir auch Filme an, die mit dem jeweiligen Stück zu tun haben, und lese Bücher. Im Moment eben über Menschenfresser. Außerdem bin ich dafür bekannt, dass immer auch etwas Unberechenbares passieren kann. Wenn jemand bei meinen Pessoa-Lesungen zu spät kommt, dann bestrafe ich ihn nicht, indem ich etwa sage "Pünktlichkeit ist eine Zier.“ Ich wiederhole einfach alles noch einmal, weil man bei Pessoa nichts versäumen darf. Der zu spät Kommende bestraft dann die anderen, weil sich die alles noch einmal anhören müssen. Das mache ich selbst bei 20 Minuten.

Die Furche: Seit zwei Jahren lesen Sie Pessoas "Buch der Unruhe“ im Vestibül. Ist es das Thema der Identitäten, das Sie im Speziellen interessiert?

Kirchner: Wenn man Schauspieler ist, dann trägt man die Identitäten ja wie die Hemden. Pessoa hat das allerdings extrem gemacht, er hat seine Identitäten gewechselt und hatte sogenannte Heteronyme. Aber das "Buch der Unruhe“ ist noch mehr, es ist ein Weltbuch. Schlagen Sie eine Seite auf, dann lesen Sie Sätze wie "Ob es nun Götter gibt oder nicht, wir sind ihre Knechte.“ Darüber kann man schon längere Zeit nachdenken. Es ist ein Lehrbuch. Über den Tod schreibt Pessoa: "Wie rasch vergeht doch alles, was so geht, wie schnell verstummt doch alles vor den Göttern und alles ist so wenig. Wir wissen nichts und Phantasie ist alles. Umkränz mit Rosen dich und trink und liebe und schweig, der Rest ist nichts.“ Das Buch ist voll von großartigen Sätzen. Deswegen kommen die Leute, denn sein Text hat mit jedem zu tun. Und natürlich auch mit mir.

Die Furche: Im Gegensatz zu vielen Kollegen drehen Sie kaum …

Kirchner: Nein, warum sollte ich? Ich habe gar keine Zeit. Ich spiele 19 Vorstellungen im Monat. Ich beschäftige mich mit Shakespeare, Pessoa, Defoe, ich lese viel. Außerdem verdiene ich ausreichend am Theater und brauche nicht noch mehr Geld. Ich kann mir meine Miete leisten, meinen Kaffee, meine Zigaretten. Das genügt. Das sind Entscheidungen, die man trifft.

Die Furche: Was kann das Theater anderes als Film und Fernsehen?

Kirchner: Am Theater kann man komplizierte Vorgänge nicht kurz abhandeln. Ich halte auch das Leben für kompliziert, für schön kompliziert! Deshalb lese ich auch das gesamte "Buch der Unruhe“ ohne auch nur einen einzigen Satz zu streichen. Im Fernsehen sieht man zumeist nur Klischee-Psychologie. Das Theater kann - im besten Fall - sowohl berühren als auch ein Empathie-Vermögen entwickeln. Außerdem liebe ich das Theater, weil es Freiräume zulässt. Man kann immer dort hinsehen, wo der eigene Blick hin möchte. Beim Film und Fernsehen hat der Zuseher diese Freiheit nicht.

Die Furche: Was halten Sie vom postdramatischen Theater?

Kirchner: Das postdramatische Theater ist reine Unsicherheit. Glücklicherweise ist es ja wieder im Abklingen. Ich kann auch die drei Wörter "Begehren, traumatisch, Diskurs“ nicht mehr hören. Schauspieler wollen Figuren spielen und nicht Diskurse repräsentieren. Ich kann mir glücklicherweise meine Rollen aussuchen, das ist ein Privileg. Die Zuseher können das auch.

Die Furche: Die Kritiker eher nicht …

Kirchner: (lacht) Da haben Sie recht!

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