Das Leid und der Glaube an Gott

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Eine alte Auseinandersetzung: Wie kann Gott gerechtfertigt werden angesichts der Übel und Leiden in der Welt? Anmerkungen über die Theodizee-Frage und den – christlichen – Glauben an Gott.

1. Der (von Leibniz 1697 im Anschluss an Röm 3,5 geprägte) Begriff Theodizee bedeutet wörtlich übersetzt „Rechtfertigung Gottes“, nämlich angesichts der Übel und Leiden in der Welt, der naturbedingten ebenso wie der von Menschen verursachten.

Das Theodizeeproblem ist schon alt. Es tritt dort auf, wo drei Dinge zusammen gegeben sind: wo man (1) das Leid in der Welt nicht verharmlost, (2) einen einzigen Gott als Urgrund oder Schöpfer der Welt und zugleich als vollkommen mächtig und gütig annimmt, (3) dem Menschen die Würde der Freiheit – und damit des Fragens und Protestierens – auch Gott gegenüber zuerkennt. Dann ergibt sich ein Widerspruch zwischen dem Glauben an einen all-mächtigen, gütigen Schöpfer und dem übergroßen, abgründigen Leid in seiner Schöpfung.

Diesen Widerspruch suchten die theoretischen Theodizeeversuche durch rationale Erklärungen (Leid als Strafe für Verfehlung, als Mittel der Prüfung, Züchtigung, Läuterung, als notwendiger Kontrast des Guten und Teil der Gesamtordnung) aufzulösen. Diese Theodizeen bleiben zutiefst unglaubwürdig, weil sie an der konkreten Leiderfahrung vorbeigehen, das bestehende Unrecht rechtfertigen, indem sie es mit Gott in Einklang bringen, und beanspruchen, das Ganze der Wirklichkeit, also Welt und Gott zusammen, zu überschauen in einer Art Vogelperspektive, während wir immer nur Froschperspektiven haben.

Anders die existenzielle Theodizeefrage. Sie entspringt nicht der distanzierten Außenperspektive, sondern ureigener Erfahrung von großem Leid (bei Hiob, in Leidens- und Klagepsalmen, in Gebeten vieler Religionen, in Auschwitz). Sie ist eine Frage vor Gott und an Gott, die sich in Zweifel, Klage, Anklage, Protest und im Schrei ausdrückt: „Warum?“ Sie schiebt die ganze ungelöste Not ihm hin. Sie rechtfertigt Gott nicht, sondern rechtet mit ihm, so, dass die Beziehung zu Gott selbst auf dem Spiel steht und verhandelt wird. Sie spricht Gott nicht frei, sondern behaftet ihn beim Leid seiner Schöpfung.

Wer die Theodizeefrage festhält, versucht den Widerspruch der Übel gegen Gott – und Gottes gegen die Übel – nicht zu beseitigen, sondern auszuhalten: im Appell an Gott, in mitfühlender Solidarität mit den Leidenden und in praktischer Leidminderung.

Gott leidet mit

2. Der biblische Glaube reimt Übel, Leiden, Böses nicht mit Gott zusammen. Denn Gott, der v. a. in Leben, Passion und Auferstehung Jesu als die für alle entschiedene Liebe (griech.: Agape) offenbar wird, steht gegen das Leid: Er will es nicht.

Aber indem er die Schöpfung in relative Eigenständigkeit und evolutive Eigendynamik frei-gibt, gibt er ihr relative Eigenmacht, begrenzt sich also in der Äußerung seiner Macht, und muss er in Kauf nehmen, dass nicht erst die Menschen, sondern auch schon die Natur, die Evolution, die vormenschlichen Wesen Wege gehen, die nicht immer gott-gewollt sind. Nicht alles, was die Natur tut (z. B. Tsunamis oder genetische Defekte), ist Gottes Wille. Gott zwingt die Dinge nicht in eine bestimmte Richtung, sondern lädt ein, wirbt, lockt:

Alles in der Welt vom Urknall an geschieht in einem ständigen – mehr oder weniger gelingenden und oft auch misslingenden – Dialog zwischen Gott (als Urgrund) und den (in ihre Eigendynamik freigegebenen) Geschöpfen. Soweit Dinge und Wesen für einander und darin für Gott offen sind, kommt er mit seinem guten Willen zum Zug; soweit sie sich sperren, entstehen Übel, Schuld und Böses.

Er aber „will andere als Mitliebende haben“ (Duns Scotus). Deshalb hält er sich nicht aus dem Drama heraus, lässt sich vom Weltlauf betreffen und geht selbst in ihn ein: er leidet (nicht nur im gekreuzigten Jesus, sondern) in allen Gequälten und in den Quälenden. Von Anfang an leidet er mit seiner Schöpfung gleichsam Geburtswehen, dass die Agape, nicht ihr Gegenteil, mehr Raum finde. Er bangt darum, wie wir Geschöpfe uns selber formen, dass wir heilsame Wege gehen. Und er wirkt aktiv-kreativ durch Menschen, die für ihn offen sind, aber auch durch naturale und soziale Ereigniskonstellationen: wirbt um Guttat und Heilung, gibt dazu Impulse, macht Angebote, gibt Kraft, eröffnet neue Möglichkeiten.

Gott – ein Wort gegen das Leid

3. Der Glaube hofft, dass es überhaupt keine Situation gibt, in der Gottes Möglichkeiten am Ende wären. Er traut Gott zu, dass er für diese schöne und geplagte Welt in seiner radikal anderen (Ewigkeits-)Dimension – durch Untergang und Verwandlung hindurch – eine Gutmachung bereit hält und alle schließlich doch zu gewinnen vermag. Der Glaube hat (v. a. mit Jesus Christus) Anzeichen dafür, dass Gott Liebe ist, und hofft, dass Gott sich vollends als für alle entschiedene Liebe erweisen wird.

Vieles in der Welt ist mit dem Glauben an diesen Gott nicht vereinbar und würde ihn widerlegen, wenn es das letzte Wort behielte. Doch wer immer entschieden für das Gute Partei ergreift, der setzt – ob er es weiß oder nicht – letzten Endes auf diesen Gott, dass er sich erweise. Auf ihn zu setzen, ist ein Lebensexperiment, wie jede andere Weltanschauung auch.

So ist Gott ein Wort des Protestes und der aktiven Hoffnung gegen das Leid.

* Der Autor ist Emeritus für kath. Systematische Theologie an der Universität Frankfurt

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