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Die diesjährigen Innsbrucker Festwochen haben unter ihrem Leiter René Jacobs die faszinierenden Wurzeln des Oratoriums entdeckt.

René Jacobs, ein Wiederentfacher der italienischen Barockoper mit inniger Liebe zur Sakralmusik, widmete sein Fest heuer der Entwicklung und verschiedenen Spielarten des Oratoriums, und übernahm selbst den Löwenanteil.

Im 17. Jahrhundert hatte sich in Italien das ursprünglich zur Andacht im Betsaal entstandene Oratorium ins Dramatische geweitet, und zwei "dramatische Oratorien" wurden nun im Tiroler Landestheater szenisch aufgeführt: Als Entdeckung Bernardo Pasquinis "Il martirio di Sant'Agnese", 1677 auf ein Libretto von Kardinal Benedetto Pamphili komponiert, und der wieder im Repertoire verankerte "Belshazzar" (1745) von Georg Friedrich Händel.

Das formale und klangliche Spektrum erweiterte Jacobs konzertant durch Antonio Caldaras "Maddalena ai piedi di Cristo" sowie mit dem Innsbruck Festival Chorus um Werke von Domenico Mazzocchi und Giacomo Carissimi.

Händels "Belshazzar" erfuhr durch René Jacobs (Musik), Christoph Nel (Regie) und Roland Aeschlimann (Bühne) eine tiefgreifende Umsetzung. Jacobs verlieh seiner rhetorischen Detailfreude und Klangsinnlichkeit trotz allen Glanzes mit der Akademie für Alte Musik eine gespannte Innerlichkeit, und die Szeniker setzten durch Zurückhaltung, Hintergründigkeit, psychologische Verdichtung und geschickte Chorbehandlung nicht nur die Geschichte, sondern viel vom Wesen des Oratoriums optisch um. Die Stufen des Turmes zu Babel, die der pubertär-zügellose Herrscher Belshazzar erschreckt beklettert, von krankem Geist gejagt und akrobatisch sich windenden Vertrauten umgeben, verdichten sich zu jener Wand, auf der die mahnenden Zeichen - aus Ritzen quellendes Blut - erscheinen. Belshazzar trägt statt des Zepters eine goldene Axt.

Der Chor verkörpert die Völker der ketzerischen Babylonier, der gefangenen Juden und der befreienden Perser, überragend gesungen vom RIAS-Kammerchor und umgeben von der berührenden Rosemary Joshua als Königinmutter, dem virtuosen Counter Bejun Mehta als Perserkönig und Kenneth Tarver in der Titelrolle.

"Sant'Agnese" öffnete sich einer wunderschönen, dissonanzenseligen Musik, bearbeitet von Alessandro De Marchi, der die Academia Montis Regalis vom Cembalo aus leitete: Aufgeladen im ersten, so sublim es ging im zweiten Teil. Vincent Boussard (Regie) und Vincent Lemaire (Bühne) nahmen die Szene extrem zurück, verzichteten auf alle Wunderspiele der Agnes-Legende und reihten Bild an Bild. Zwischen ihrem kindlichen Erschrecken und Transzendieren schwebte Agnes' leidensüchtiger Sopran - Emmanuelle de Negri - nicht mehr als licht, am besten besetzt war Antonio Abete als römischer Präfekt.

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