Das Maßlose aufs Maß reduziert

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"Ein Sportstück" von Elfriede Jelinek als Kammerspiel in einer starken Saison am Tiroler Landestheater.

Wer sich an Elfriede Jelineks "Sportstück" macht, ufert aus, dichtet das eigene Unglück mit hinein wie Einar Schleef am Burgtheater, oder verlegt, wie in Deutschland, aus einem grotesken Missverständnis heraus die Aufführung ins Eishockeystadion oder eine Riesenkunsthalle.

Dann wagt das Tiroler Landestheater das Ungeheuerliche und macht aus den endlos montierten Textflächen ein dichtes Kammerspiel. Alles Spektakuläre, jede optisch-assoziative Versuchung ist ausgeblendet. Regisseur Thomas Oliver Niehaus vertraut allein auf den Text, erprobt einen neuen Zugang und rettet das "Sportstück" fürs Theater.

Mit Beelzebub sind Jelineks Angstteufel nicht auszutreiben, aber mit Benennung. Niehaus hat viel gestrichen, konzentriert sich auf Wesentliches, ohne die Banalität, die Jelineks Suada auch produziert, zu leugnen. Mit geringsten äußerlichen Mitteln holt er die Größe, Kraft und Aggression, die Poesie und Verletztheit aus dem Text, und das Publikum bejubelt ein theatralisches Literaturereignis.

Die Sprache wird zur Partitur und die Szene reduziert. Helfried Lauckner und Bettina Munzer lassen als Ausstatter im nahezu leeren Raum agieren. Ausgangspunkt ist eine Probensituation. Die 14 Schauspielerinnen und Schauspieler sitzen im Bühnenhintergrund an Tischen, verwandeln ihre Realität in Spiel und zurück und treten für die Monologe vor.

Sport, die Fortsetzung des Krieges mit veränderten Mitteln. Sport, das Hassthema der Elfriede Jelinek, stark genug, ihre beißende Selbstironie und Weissagung mitzutragen. In den Kammerspielen bekommt das Maßlose Maß. Natürlich steigen die Männer auf den Tisch, um unter ihren Skimützen kollektiv die Gemütlichkeit zu besingen, aber es gibt keine Feste der dampfenden Leiber und Massenszenen. Nik Neureiter ist allein der Chor. Die Bedingungen des "Sportstücks" werden aus Familienbeziehungen abgeleitet, die seit der Orestie gültig sind. Jelinek arbeitet Autobiografisches ab.

Eleonore Bürcher wird als Klytämnestra bzw. Mutter des toten Sportlersohnes zur Tragödin, Sinikka Schubert ist als Helena hell und sehr heutig, Frank Roeder als Achill ein Gegenstück. Isabella Bartdorff gibt Elfi Elektra und Birgit Melcher unverkennbar die "Frau Autorin". Das Ensemble wächst über sich hinaus und macht das Leitmotiv Gewalt primär seelisch erfahrbar.

Das Tiroler Landestheater zieht zunehmend Zuschauer aus den Bundesländern, aus Süddeutschland und Italien an. Benjamin Brittens "Peter Grimes" ist in der Inszenierung von Intendantin Brigitte Fassbaender zu einer intensiven Metapher für Angst und Ausgesetztsein des Einzelnen geworden, getragen von einem großartigen, bedrohlichen Chor und dem herausragenden John Charles Pierce in der Titelrolle. Ebenfalls erlebenswert ist Schostakowitschs Oper "Lady Macbeth von Mzensk", ein emotionales Kraftwerk in Schwarz-Weiß-Rot, auf dessen vielen Spielebenen Regisseur David Prins das Liebespaar (Susanna von der Burg und Dan Chamandy) nicht nur toben, sondern seine Seelenpein darstellen lässt.

Überregional gefeiert wird auch das Tanztheater des Jochen Ulrich, derzeit mit seiner "Coppelia"-Adaption. Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck hat unter den Dirigenten Claudio Büchler, Leif Klinkhardt und Michael Mader entscheidenden Anteil am Innsbrucker Theater-Hoch.

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